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»Und zwischendurch?« fragte Krabat. »Ich meine: nach Feierabend?«

»Dann nicht«, sagte Tonda. »Dann liegt es bei uns allein, wie wir damit fertig werden. Aber ich kann dich beruhigen, Krabat! Erstens geschieht es nicht allzu oft, daß wir nachts aus den Federn müssen - und zweitens läßt sich auch das ertragen.«

Über die Osternacht und von Tondas Kummer mit seinem Mädchen sprachen sie nie mehr, auch andeutungsweise nicht. Und doch glaubte Krabat zu wissen, wo Tonda gewesen war, als er wie tot am Feuer gesessen und in die Ferne gestarrt hatte. Immer wenn Krabat an die Geschichte mit Worschula dachte, fiel ihm sogleich die Kantorka ein: vielmehr ihre Stimme, wie er sie damals gehört hatte, von Schwarzkollm herüber, um Mitternacht. Das befremdete ihn, und er hätte sie gern vergessen, doch es gelang ihm nicht.

Einmal die Woche, am Freitag, versammelten sich die Mühlknappen nach dem Abendbrot vor der Schwarzen Kammer, verwandelten sich in Raben, auch Krabat erlernte das bald, und ließen sich auf der Stange nieder. Der Meister las ihnen jeweils einen bestimmten Abschnitt aus dem Koraktor vor, dreimal im ganzen, den mußten sie wiederholen - gleichgültig, was und wieviel sie davon behalten hatten: in diesem Punkt war der Meister nicht kleinlich.

Krabat war eifrig darum bemüht, sich alles, was sie der Meister lehrte, zu merken: den Wetterbann und den Hagelzauber, das Festmachen und den Umgang mit Freikugeln, das Sich-Unsichtbarmachen, die Kunst des Aus-sich-Hinausgehens und was sonst an der Reihe war. Tagsüber bei der Arbeit und nachts vor dem Einschlafen wiederholte er unermüdlich die Texte und Formeln, um sie sich einzuprägen.

Denn Krabat hatte inzwischen begriffen: Wer in der Kunst der Künste bewandert war, der gewann über andere Menschen Macht; und Macht zu gewinnen - soviel, wie der Meister besaß, wenn nicht mehr -, das erschien ihm als hohes Ziel, dafür lernte und lernte und lernte er.

Es war in der zweiten Woche nach Ostern, da wurden die Mühlknappen eines Nachts aus den Betten geholt. Der Meister stand in der Tür des Schlafraums, ein Licht in der Hand.

»Es gibt Arbeit, der Herr Gevatter kommt, tummelt euch, tummelt euch!«

Krabat fand in der Aufregung seine Schuhe nicht, barfuß lief er den anderen nach, vor die Mühle hinaus.

Es war Neumond, die Nacht war so schwarz, daß die Mühlknappen nicht die Hand vor den Augen sahen. Jemand trat Krabat im allgemeinen Gedränge mit seinen Holzschuhen auf die Zehen.

»He!« rief der Junge. »Kannst du nicht aufpassen, Trampeltier!«

Da verschloß eine Hand ihm den Mund. »Kein Wort mehr!« flüsterte Tonda.

Dem Jungen fiel auf, daß keiner der Burschen gesprochen hatte, seit sie geweckt worden waren. Sie blieben auch weiter stumm, für den Rest der Nacht; Krabat desgleichen.

Er konnte sich denken, welcherart Arbeit ihnen bevorstand.

Bald schon, mit lodernder Hahnenfeder am Hut, kam der Fremde auf seinem Fuhrwerk dahergerasselt. Die Burschen stürzten zum Wagen, sie rissen die schwarze Plane auf und begannen die Säcke ins Haus zu schleppen - zum Toten Gang in der hintersten Ecke der Mahlstube.

Es war alles wie vor vier Wochen, als Krabat die Burschen durchs Giebelfenster beobachtet hatte, nur daß der Meister sich diesmal neben dem Fremden aufs Sitzbrett des Wagens schwang. Heute war er es, der mit der Peitsche knallte: knapp über ihre Köpfe weg, daß die Burschen sich duckten, wenn sie den Luftzug spürten.

Krabat hatte schon fast vergessen, wie schwer man zu schleppen hatte an solch einem vollen Sack, und wie rasch man dabei außer Atem kam. »Gedenke, daß du ein Schüler bist!«

Die Worte des Meisters: je länger er darauf herumkaute, desto weniger schmeckten sie ihm.

Die Peitsche knallte, die Burschen rannten, das Mühlrad lief an, und das Rattern und Jaulen des Toten Ganges erfüllte das Haus. Was enthielten die Säcke wohl? Krabat warf einen Blick in die Schütte. Im spärlichen Licht der Laterne, die unter der Decke schaukelte, war nicht viel zu erkennen. Waren es Roßäpfel, die er hineinkippte, waren es Föhrenzapfen? Es konnten auch Steine sein, runde, schmutzverkrustete Steine...

Dem Jungen blieb keine Zeit zu genauerem Hinsehen, schon kam Lyschko herangekeucht mit dem nächsten Sack. Krabat den Ellbogen in die Rippen stoßend, drängte er ihn beiseite.

Michal und Merten hatten am Auslauf des Mahlkastens Posten gefaßt, sie füllten das fertig vermahlene Gut in die leeren Säcke ab und verschnürten sie. Nun ging alles wie damals weiter. Beim ersten Hahnenschrei war die Fuhre aufs neue vollgepackt, war die Plane geschlossen und festgezurrt. Der Fremde griff nach der Peitsche - und hussa! preschte er mit dem Wagen los: so schnell, daß der Meister gerade noch abspringen konnte, ohne den Hals zu brechen.

»Komm!« sagte Tonda zu Krabat.

Während die anderen Burschen im Haus verschwanden, gingen die beiden zum Weiher hinauf, um die Schleuse zu schließen. Sie hörten, wie unten das Mühlrad auslief und alles still wurde; nur der Hahn krähte, und die Hühner gackerten.

»Kommt er oft?« fragte Krabat und deutete mit dem Kopf in die Richtung, wo das Gefährt im Nebel verschwunden war.

»Jede Neumondnacht«, sagte Tonda.

»Du weißt, wer er ist?«

»Nur der Meister weiß das. Er nennt ihn den Herrn Gevatter - und fürchtet ihn.«

Langsam gingen sie durch die taufeuchten Wiesen zur Mühle hinab.

»Etwas versteh ich nicht«, meinte Krabat, bevor sie das Haus betraten. »Das letztemal hat der Meister mitgearbeitet, als der Fremde hier war - und heute?«

»Damals«, sagte der Altgesell, »mußte er einspringen und das Dutzend vollmachen. Aber seit Ostern sind wir ja wieder vollzählig in der Schwarzen Schule - jetzt kann er sich's leisten, daß er die Neumondnächte mit Peitschenknallen verbringt.«

Ochsenblaschke aus Kamenz

Manchmal schickte der Meister die Mühlknappen paarweise oder in kleinen Gruppen mit Aufträgen über Land, um ihnen Gelegenheit zu verschaffen, die in der Schwarzen Schule erworbenen Kenntnisse anzuwenden.

Eines Morgens kam Tonda zu Krabat und meinte: »Heut muß ich mit Andrusch nach Wittichenau auf den Viehmarkt. Wenn du mitkommen magst - der Meister ist einverstanden.«

»Fein«, sagte Krabat. »Das ist mal was anderes als die ewige Müllerei!«

Sie schlugen den Waldweg ein, der bei den Neudorfer Teichhäusern auf die Landstraße mündet. Es war ein schöner, sonniger Julitag. In den Zweigen ratschten die Häher, ein Specht ließ sein Klopfen hören,

Schwärme von Bienen und Hummeln erfüllten die Himbeersträucher mit ihrem Gesumm.

Krabat merkte, daß Tonda und Andrusch Gesichter machten, als ginge es auf die Kirmes. Das konnte nicht nur am schönen Wetter liegen. Andrusch war ja auch sonst ein lustiger Vogel und immer gut aufgelegt; aber daß Tonda vergnügt vor sich hinpfiff, kam selten vor. Zwischendurch

knallte er mit dem Ochsenziemer.

»Du übst das wohl«, meinte Krabat, »damit du es auf dem Heimweg kannst?«

»Auf dem Heimweg?«

»Ich denke, wir sollen in Wittichenau einen Ochsen kaufen.«

»Im Gegenteil«, meinte Tonda.

In diesem Augenblick machte es hinter dem Jungen »Muh!« Als er sich umdrehte, stand da, wo eben noch Andrusch gestanden hatte, ein feister Ochse, rotbunt, mit glattem Fell, der ihn freundlich anglotzte.

»He!« sagte Krabat und rieb sich die Augen.

Tonda war plötzlich auch weg. An seinem Platz stand ein altes wendisches Bäuerlein, Bastschuhe an den Füßen, die Leinenhosen vom Knöchel aufwärts mit Riemen verschnürt, einen Strick um den Kittel, die Mütze speckig, den Pelzrand kahlgewetzt.