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Wortlos verkrochen die Burschen sich nach dem Abendbrot auf die Strohsäcke. »Gute Nacht«, sagte Krabat wie jeden Abend, weil es sich für den Lehrjungen so gehörte.

Heute schienen ihm die Gesellen das übelzunehmen. »Halt's Maul!« fauchte Petar, und Lyschko warf einen Schuh nach ihm.

»Öha!« rief Krabat, vom Strohsack hochschnellend. »Immer sachte! Man wird doch wohl gute Nacht sagen dürfen...«

Ein zweiter Schuh kam geflogen, er streifte ihn an der Schulter; den dritten fing Tonda ab.

»Laßt den Jungen in Frieden!« gebot er. »Auch diese Nacht wird vorübergehen.«

Dann wandte er sich an Krabat.

»Du solltest dich hinlegen, Junge, und still sein.«

Krabat gehorchte. Er ließ es geschehen, daß Tonda ihn zudeckte und ihm die Hand auf die Stirn legte.

»Schlaf du nun, Krabat - und komm gut hinüber ins neue Jahr!«

Für gewöhnlich schlief Krabat die Nächte durch bis zum nächsten Morgen, es sei denn, man weckte ihn. Heute erwachte er gegen Mitternacht ganz von selber. Es wunderte ihn, daß das Licht in der Lampe brannte und daß auch die anderen Burschen wach waren - alle, soweit er es übersehen konnte.

Sie lagen auf ihren Pritschen und schienen auf etwas zu warten. Kaum daß sie atmeten, kaum daß sich einer zu rühren wagte.

Im Haus war es totenstill - so still, daß der Junge sich vorkam, als sei er taub geworden.

Aber er war nicht taub, denn mit einemmal hörte er dann den Schrei - und das Poltern im Hausflur - und wie die Gesellen aufstöhnten: halb entsetzt, halb befreit.

War ein Unglück geschehen?

Wer war es, der da geschrien hatte in höchster Todesnot?

Krabat besann sich nicht lange. Mit einem Satz war er auf den Beinen. Er rannte zur Bodentür, wollte sie aufreißen, wollte die Treppe hinuntereilen, um nachzusehen.

Die Tür war von draußen verriegelt. Sie ließ sich nicht öffnen, so wild er auch daran rüttelte.

Jemand legte ihm dann den Arm um die Schulter und sprach ihn an. Es war Juro, der dumme Juro, Krabat erkannte ihn an der Stimme.

»Komm«, sagte Juro. »Leg dich jetzt wieder auf deinen Strohsack.«

»Aber der Schrei!« keuchte Krabat. »Der Aufschrei vorhin!«

»Meinst du«, erwiderte Juro, »wir hätten ihn nicht gehört?«

Damit führte er Krabat an seinen Platz zurück.

Die Mühlknappen hockten auf ihren Pritschen. Schweigend, mit großen Augen starrten sie Krabat an. Nein - nicht Krabat! Sie starrten an ihm vorbei, auf den Schlafplatz des Altgesellen.

»Ist - Tonda nicht da?« fragte Krabat.

»Nein«, sagte Juro. »Leg dich jetzt wieder hin und versuch zu schlafen. Und heul nicht, hörst du! Mit Heulen macht man nichts ungeschehen.«

Am Neujahrsmorgen fanden sie Tonda. Mit dem Gesicht nach unten lag er am Fuß der Bodenstiege. Die Mühlknappen schienen nicht überrascht zu sein; nur Krabat vermochte es nicht zu fassen, daß Tonda tot war. Schluchzend warf er sich über ihn, rief ihn beim Namen und bettelte:

»Sag doch was, Tonda, sag doch was!«

Er griff nach der Hand des Toten. Gestern noch hatte er sie gespürt, auf der Stirn, vor dem Einschlafen. Jetzt war sie starr und kalt. Und sehr fremd war sie ihm geworden, sehr fremd.

»Steh auf«, sagte Michal. »Wir können ihn hier nicht liegen lassen.«

Er und sein Vetter Merten trugen den Toten in die Gesindestube und legten ihn auf ein Brett.

»Wie ist es dazu gekommen?« fragte der Junge.

Michal zögerte mit der Antwort.

»Er hat sich«, sagte er stockend, »den Hals gebrochen.«

»Dann ist er wohl - auf der Treppe fehlgetreten - im Finstern ...«

»Kann sein«, sagte Michal.

Er drückte dem Toten die Augen zu, schob ihm ein Bündel Stroh in den Nacken, das Juro geholt hatte.

Tondas Gesicht war fahl. »Wie aus Wachs«, dachte Krabat. Er konnte nicht hinsehen, ohne daß ihm die Tränen kamen. Andrusch und Staschko brachten ihn in den Schlafraum.

»Laß uns hierbleiben«, meinten sie. »Unten stünden wir bloß im Weg herum.«

Krabat hockte sich auf den Rand der Pritsche. Er fragte, was nun mit Tonda geschehen werde.

»Was eben so geschieht«, sagte Andrusch. »Juro versorgt ihn, der tut so was nicht zum erstenmal - und dann werden wir ihn begraben.«

»Wann?«

»Heute nachmittag, denke ich.«

»Ohne den Meister?«

»Den brauchen wir nicht dazu«, sagte Staschko barsch.

Am Nachmittag trugen sie Tonda in einem Fichtensarg aus der Mühle, hinaus in den Koselbruch, auf den Wüsten Plan. Das Grab war schon vorbereitet, die Wände der Grube waren mit Rauhreif bedeckt, der Aushub zugeschneit.

Sie begruben den Toten hastig und ohne Umstände. Ohne Pastor und Kreuz, ohne Kerzen und Klagelied. Keinen Augenblick länger als nötig verweilten die Burschen am Grabe.

Krabat allein blieb zurück.

Er wollte für Tonda ein Vaterunser beten, aber es war ihm entfallen: so oft er auch anfing, er brachte es nicht zusammen. Auf wendisch nicht, und auf deutsch erst recht nicht.

Das zweite Jahr

Nach Mühlenordnung und Zunftgebrauch

Der Meister blieb während der nächsten Tage verschwunden, in dieser Zeit stand die Mühle still. Die Mühlknappen lungerten auf den Pritschen herum, sie hockten am warmen Ofen. Sie aßen wenig und sprachen nicht viel, besonders nicht über Tondas Tod. Als habe es einen Altgesellen, der Tonda hieß, auf der Mühle im Koselbruch nie gegeben.

Am Ende der Pritsche, die ihm gehört hatte, lagen Tondas Kleider, sauber gefaltet und aufeinandergeschichtet: die Hosen, das Hemd und der Kittel, der Leibgurt, das Schurztuch und oben darauf die Mütze. Juro hatte die Sachen am Abend des Neujahrstages heraufgebracht, und die Burschen bemühten sich, so zu tun, als gelänge es ihnen, darüber hinwegzusehen. Krabat war traurig, er fühlte sich gottverlassen und elend. Daß Tonda ums Leben gekommen war, konnte kein Zufall gewesen sein: das wurde ihm mehr und mehr zur Gewißheit, je länger er sich darüber Gedanken machte. Es mußte da etwas geben, wovon er nichts wußte, was die Gesellen vor ihm geheimhielten. Worin bestand das Geheimnis? Warum hatte Tonda es ihm nicht anvertraut?

Fragen und wieder Fragen, die sich dem Jungen aufdrängten. Hätte er wenigstens etwas zu tun gehabt! Das Herumlungern machte ihn noch ganz krank.

Juro allein war in diesen Tagen beschäftigt wie immer. Er heizte die Öfen, er kochte, er sorgte dafür, daß das Essen rechtzeitig auf den Tisch kam, obgleich die Gesellen das meiste davon in den Schüsseln ließen. Es mag wohl am Morgen des vierten Tages gewesen sein, daß er den Jungen im Hausflur ansprach.

»Magst du mir einen Gefallen tun, Krabat? Du könntest mir ein paar Späne schneiden.«

»Ist recht«, sagte Krabat und folgte ihm in die Küche.

Neben dem Herd lag ein Bündel Kienholz bereit, zum Aufspanen. Juro ging an den Schrank, um ein Messer zu holen, doch Krabat erklärte, er habe sein eigenes bei der Hand.

»Um so besser! Dann los - und gib acht, daß du dich nicht schneidest!«

Krabat machte sich an die Arbeit. Es war ihm, als ginge von Tondas Messer eine lebendige Kraft aus. Nachdenklich wog er es in der Hand. Zum erstenmal seit der Neujahrsnacht faßte er wieder Mut, zum erstenmal spürte er neue Zuversicht.

Juro war unbemerkt neben ihn getreten und schaute ihm über die Schulter.

»Dein Messer«, meinte er - »damit kannst du dich sehen lassen ...«

»Ein Andenken«, sagte der Junge.

»Von einem Mädchen wohl?«

»Nein«, sagte Krabat. »Von einem Freund, wie es keinen mehr geben wird auf der Welt.«

»Das weißt du bestimmt?« fragte Juro.