»Das«, sagte Krabat, »weiß ich für Zeit und Ewigkeit.«
Am Morgen nach Tondas Begräbnis waren die Mühlknappen übereingekommen, daß Hanzo von nun an die Stelle des Altgesellen bekleiden sollte, und Hanzo erklärte sich damit einverstanden.
Der Meister blieb außer Haus bis zum Vorabend des Dreikönigstages. Sie lagen schon auf den Pritschen, und Krabat wollte gerade das Licht ausblasen, da öffnete sich die Bodentür. Der Meister erschien auf der Schwelle, sehr bleich, wie mit Kalk bestrichen. Er warf einen Blick in die Runde. Daß Tonda nicht da war, schien er zu übersehen; wenigstens ließ er es sich nicht anmerken.
»An die Arbeit!« befahl er. Dann machte er kehrt und verschwand für den Rest der Nacht.
In die Müllerburschen kam Leben. Sie schlugen die Decken zurück, sprangen hoch von den Strohsäcken, zogen hastig die Kleider über.
»Los!« drängte Hanzo. »Der Meister wird uns sonst ungeduldig, ihr kennt ihn ja!«
Petar und Staschko rannten zum Mühlenweiher, die Schleuse öffnen. Die anderen stolperten in die Mahlstube, schütteten Korn auf und ließen die Mühle anlaufen. Als sie in Fahrt kam, mit Ächzen und Stampfen und dumpfem Gedröhne, wurde es den Gesellen leicht ums Herz.
»Sie mahlt wieder!« dachte Krabat. »Die Zeit geht weiter...«
Um Mitternacht waren sie mit der Arbeit fertig. Als sie den Schlafraum betraten, sahen sie, daß auf der Pritsche, die Tonda gehört hatte, jemand lag: ein schmächtiges blasses Bürschlein mit schmalen Schultern und rotem Schöpf. Sie umringten den Schläfer und weckten ihn - so, wie sie Krabat geweckt hatten, damals, vor einem Jahr. Und wie Krabat vor ihnen erschrocken war, so erschrak nun der Rotschopf beim Anblick der elf Gespenster an seinem Bett.
»Keine Angst!« sagte Michal. »Wir sind hier die Müllerburschen, vor uns brauchst du nicht zu zittern. - Wie heißt du denn?«
»Witko. - Und du?«
»Ich bin Michal - und dies hier ist Hanzo, der Altgesell. Dies ist mein Vetter Merten - dies Juro...«
Am anderen Morgen, als Witko zum Frühstück kam, trug er Tondas Kleider. Sie paßten ihm, wie für ihn gemacht. Er schien sich nichts weiter dabei zu denken und fragte auch nicht, wem sie vorher gehört hatten. Das war gut so, das machte die Sache für Krabat erträglicher.
Am Abend - der neue Lehrjunge hatte sich tagsüber in der Mehlkammer abgerackert und war schon zu Bett gegangen - am Abend befahl der Müller die Burschen und Krabat zu sich in die Meisterstube. Bekleidet mit einem schwarzen Mantel, saß er in seinem Armstuhclass="underline" zwei brennende Kerzen vor sich auf dem Tisch, zwischen denen ein Handbeil lag - und sein Dreispitz, der gleichfalls von schwarzer Farbe war.
»Ich habe euch«, sagte er, als die Gesellen sich in der Stube versammelt hatten, »zu mir beschieden, wie es die Mühlenordnung verlangt. Ist ein Lehrjunge unter euch? Der mag vortreten!«
Krabat verstand nicht gleich, daß der Meister ihn meinte. Petar versetzte ihm einen Rippenstoß, da besann er sich und trat vor.
»Deinen Namen!«
»Ich heiße Krabat.«
»Wer bürgt dafür?«
»Ich«, sagte Hanzo, an Krabats Seite tretend. »Ich bürge für diesen Jungen und seinen Namen.«
»Einer ist keiner«, versetzte der Meister.
»Das wohl«, ließ sich Michal vernehmen, wobei er an Krabats andere Seite trat. »Zwei aber sind ein Paar, und ein Paar ist ausreichend für die Zeugenschaft. Darum verbürge auch ich mich für diesen Jungen und seinen Namen.«
Zwischen dem Meister und den Gesellen an Krabats Seite entspann sich ein Wechselgespräch, das nach festen Regeln verlief und in festen Formeln. Der Meister fragte die beiden, ob, wo und wann der Lehrjunge Krabat das Müllerhandwerk erlernt habe, und sie versicherten ihm, daß der Junge in allen Künsten und Handgriffen hinlänglich unterwiesen sei.
»Dafür bürgt ihr mir?«
»Dafür bürgen wir«, sagten Hanzo und Michal.
»Wohlan denn, so wollen wir diesen Lehrjungen Krabat nach Mühlenordnung und Zunftgebrauch freisprechen!«
Freisprechen? Krabat glaubte nicht recht zu hören. War seine Lehrzeit denn abgelaufen - jetzt, nach dem ersten Jahr schon?
Der Meister erhob sich, er setzte den Dreispitz auf. Dann ergriff er das Handbeil und trat auf den Jungen zu. Indem er ihn mit der Schneide des Beiles am Scheitel und an den Schultern berührte, rief er:
»Von Zunft wegen, Krabat! Ich, als dein Lehrherr und Meister, spreche dich hiermit, in Gegenwart der versammelten Mühlknappen, deines bisherigen Standes als Lehrjunge los und ledig. Fortan sollst du ein Geselle unter Gesellen sein und als Knappe gehalten werden nach Mühlenbrauch.« Damit drückte er Krabat das Beil in die Hand, das im Gürtel zu tragen ein Vorrecht der freigesprochenen Burschen war; dann entließ er ihn mit den anderen aus der Stube.
Krabat war überrascht und verwirrt, damit hatte er nicht gerechnet. Als letzter verließ er den Raum und zog hinter sich die Tür zu. Da wurde ihm unversehens ein Mehlsack über den Kopf gestülpt, dann packte ihn wer bei den Schultern und wer an den Beinen.
»Ab mit ihm, in die Mahlstube!«
Das war Andrusch, der da gerufen hatte. Krabat versuchte sich freizustrampeln - vergebens! Lachend und lärmend schleppten die Burschen ihn in die Mahlstube, warfen ihn auf die Mehlkiste und begannen ihn durchzuwalken. »Ein Lehrjunge ist er gewesen!« rief Andrusch. »Nun laßt ihn uns zwischen die Steine nehmen, ihr Brüder - ein Mühlknappe muß ohne Spelz und Makel sein!«
Sie kneteten Krabat wie einen Brotteig durch; sie rollten ihn auf der Mehlkiste hin und her, daß ihm schwindlig wurde; sie knufften und pufften ihn mit den Fäusten - und einer hieb ihm ein paarmal mit aller Gewalt auf den Schädel, bis Hanzo dazwischenfuhr: »Aufhören, Lyschko! Wir wollen ihn freimüllern, aber nicht totschlagen!«
Als sie von Krabat abließen, kam er sich vor, als sei er tatsächlich durch eine Mühle gedreht worden. Petar zog ihm den Sack herunter, und Staschko streute ihm eine Handvoll Mehl auf den Kopf.
»Er ist durchgemahlen!« verkündete Andrusch. »Ich danke euch, Brüder! Nun ist er ein Knappe von Schrot und Korn geworden, dessen sich keiner von uns zu schämen braucht.«
»Hoch!« riefen Petar und Staschko, die hier mit Andrusch das große Wort führten. »Hoch mit ihm!« Abermals wurde Krabat an Armen und Beinen gepackt, die Mühlknappen warfen ihn in die Höhe und fingen ihn auf. Das taten sie dreimal hintereinander, dann schickten sie Juro um Wein in den Keller, und Krabat mußte ihnen reihum Bescheid trinken.
»Deine Gesundheit, Bruder - zum Wohlsein!«
»Zum Wohlsein, Bruder!«
Während die anderen weitertranken, setzte sich Krabat abseits auf einen Stapel von leeren Säcken. War es ein Wunder, daß ihm der Schädel brummte - nach allem, was er an diesem Abend erlebt hatte?
Später kam Michal und setzte sich neben ihn.
»Du scheinst mit gewissen Dingen nicht klarzukommen.«
»Nein«, sagte Krabat. »Wie konnte der Meister mich freisprechen! Ist meine Lehrzeit denn schon zu Ende?«
»Das erste Jahr auf der Mühle im Koselbruch gilt für drei«, meinte Michal. »Es sollte dir nicht entgangen sein, daß du seit deiner Ankunft älter geworden bist, Krabat - genau um drei Jahre.«
»Aber das ist nicht möglich!«
»Doch«, sagte Michal. »Auf dieser Mühle sind noch ganz andere Dinge möglich - das solltest du mittlerweile gemerkt haben.«
Ein milder Winter
Wie der Winter begonnen hatte, so blieb er auch: schneereich und mild. Das Eis vor der Schleuse, am Wehr und im Mühlgraben machte den Burschen wenig zu schaffen in diesem Jahr. Rasch war es weggepickelt, und manchmal fror eine halbe Woche lang nichts mehr nach. Dafür schneite es oft und reichlich - zum Kummer des neuen Lehrjungen, der mit Schneeräumen kaum noch nachkam.