»Was ich wem zumute oder nicht, geht dich einen Dreck an! Hast du vergessen, daß ich der Meister bin? Was ich anschaffe, schaffe ich an, damit basta! Ich werde dir eine Lektion erteilen, an die du dein Lebtag denken sollst! - Raus da, ihr andern!«
Er jagte die Mühlknappen aus der Kammer und schloß sich mit Michal ein.
Die Burschen trollten sich voller Sorge zu Bett. Sie hörten die halbe Nacht lang ein gräßliches Kreischen und Krächzen im Haus - dann kam Michal die Bodenstiege heraufgewankt, bleich und verstört.
»Was hat er mit dir gemacht?« wollte Merten wissen.
Erschöpft winkte Michal ab.
»Laßt mich, ich bitte euch!«
Die Burschen konnten sich denken, wer Michal dem Meister verraten hatte. Anderntags hielten sie in der Mehlkammer eine Beratung ab und beschlossen, es Lyschko heimzuzahlen.
»Wir werden ihn«, sagte Andrusch, »heut nacht von der Pritsche holen und ihm das Fell gerben!«
»Jeder mit einem Knüttel!« rief Merten.
»Und hinterher«, knurrte Hanzo, »bekommt er die Haare geschoren und Stiefelfett ins Gesicht geschmiert - und dann Ruß drüber!«
Michal saß in der Ecke und schwieg.
»Sag du auch was!« rief Staschko. »Schließlich bist du es, den er beim Meister vergeigt hat!«
»Gut«, meinte Michal, »ich werde euch etwas sagen.«
Er wartete, bis sie still waren, dann begann er zu sprechen. Mit ruhiger Stimme sprach er, wie Tonda an seiner Stelle gesprochen hätte.
»Was Lyschko getan hat«, sagte er, »war eine Lumperei. Aber was ihr da vorhabt, ist nicht viel besser. Im Zorn legt man seine Worte nicht auf die Goldwaage - gut. Doch nun habt ihr euch Luft gemacht, nun soll Schluß sein. Erspart es mir, daß ich mich für euch schämen muß!«
Vivat Augustus!
Die Müllerburschen verprügelten Lyschko nicht: sie mieden ihn während der nächsten Zeit. Keiner sprach mit ihm, keiner gab Antwort, wenn Lyschko ihn etwas fragte. Den Brei und die Suppe setzte ihm Juro in einem besonderen Napf vor, »weil du von niemand verlangen kannst, daß er mit einem Haderlumpen aus einer Schüssel ißt«. Krabat fand das in Ordnung. Wer seine Mitgesellen beim Meister anschwärzte, der verdiente es, daß sie ihm ihre Verachtung zu spüren gaben.
Neumonds, wenn der Gevatter mit seinem Mahlgut vorfuhr, mußte der Müller jetzt wieder mithalten bei der Arbeit. Er tat es mit großem Eifer, als gelte es, den Gesellen zu zeigen, was Zupacken heißt - oder war es ihm mehr um den Herrn Gevatter zu tun?
Übrigens war der Meister im Spätwinter viel unterwegs, bald zu Roß, bald im Pferdeschlitten. Die Burschen machten sich wenig Gedanken darüber, von welcher Art die Geschäfte sein mochten, die ihn dazu veranlaßten. Was sie nichts anging, brauchten sie nicht zu wissen; und was sie nicht wußten, tat ihnen auch nicht weh.
Eines Abends um den Josephitag, der Schnee war geschmolzen, es regnete stark, und die Mühlknappen wußten es zu schätzen, daß sie im Trocknen saßen bei diesem Sauwetter: eines Abends verlangte der Meister plitz-platz nach der Reisekutsche, er müsse in einer wichtigen Sache weg, es sei eilig!
Krabat half Petar die beiden Braunen anschirren, nahm, als sie fertig waren, das Handpferd am Zügel und sagte: »Wüh!«
Während Petar ins Haus rannte, um dem Meister zu melden, die Kutsche sei fahrbereit, führte Krabat Gespann und Wagen hinaus auf den Vorplatz. Er hatte sich eine Pferdedecke über den Kopf gezogen, des Regens halber, und hatte auch für den Meister vorsorglich ein paar Decken bereitgelegt, denn es war eine leichte Kutsche mit einem Wagenschlag, der in Fahrtrichtung offenstand.
Von Petar mit einem Windlicht gefolgt, kam der Meister herbeigestapft. Er trug einen weiten Mantel und seinen schwarzen Dreispitz. Sporen klirrten an seinen Stiefeln, ein Degen wippte unter dem Manteltuch.
»Verrückt!« dachte Krabat, während der Müller sich auf dem Kutschbock zurechtsetzte. »Muß das sein, daß er ausfährt bei diesem Hundewetter?«
Der Meister hatte sich in die Decken eingewickelt, nun fragte er beiläufig:
»Magst du mitkommen?«
»Ich?«
»Weil du wissen wolltest, weshalb ich ausfahre.«
Krabats Neugier war stärker als alle Scheu vor dem Regen, im Nu saß er neben dem Müller oben.
»Nun zeig, ob du fahren kannst!« Damit reichte der Meister ihm Peitsche und Zügel. »Wir müssen in einer Stunde in Dresden sein!«
»Dresden? In einer Stunde?« Krabat hatte sich wohl verhört.
»Los, fahr schon!«
Sie rumpelten auf dem holprigen Waldweg dahin. Es war finster, als ginge es durch ein Ofenrohr.
»Schneller!« drängte der Meister. »Kannst du nicht schneller fahren!«
»Dann werden wir umschmeißen, Meister...«
»Unsinn! gib her!«
Von jetzt an kutschierte der Müller selbst. Und wie er kutschierte: mit Windeseile zum Wald hinaus, auf die Kamenzer Landstraße. Krabat klammerte sich am Sitz fest, er mußte die Sohlen gegen das Fußbrett stemmen. Regen peitschte ihm ins Gesicht, der Fahrtwind wehte ihn fast vom Wagen.
Nebel war aufgekommen, sie rasten hinein, er umfing sie in dichten Schwaden. Nicht lange, da tauchten sie mit den Köpfen darüber hinaus - und dann weiter und weiter, bis er den Braunen gerade noch zu den Fesseln reichte.
Es hatte zu regnen aufgehört, der Mond schien, Nebelschleier bedeckten den Boden, silberweiß, eine weite Fläche, wie zugeschneit. Fuhren sie über Wiesen? Kein Hufschlag zu hören, kein Poltern von Wagenrädern. Das Rütteln und Schütteln der Kutsche hatte seit einer Weile aufgehört. Krabat hatte den Eindruck, als ob sie auf einem Teppich dahinrollten, wie auf Schnee, wie auf Daunen. Herrlich griffen die Pferde aus, weich und federnd. Es war eine Lust, so dahinzujagen unter dem Mond auf der weiten Heide.
Plötzlich ein Ruck, daß der Wagen in allen Fugen krachte! Ein Baumstrunk? Ein Prellstein? Was tun, wenn die Deichsel gebrochen war, eines der Räder womöglich ...
»Ich werde mal nachsehen!«
Krabat steht schon mit einem Fuß auf dem Trittbrett - da packt ihn der Meister und reißt ihn zurück.
»Bleib sitzen!«
Er deutet nach unten, der Nebel ist aufgerissen.
Krabat traut seinen Augen nicht. In der Tiefe ein Dachfirst, ein Friedhof: Kreuze und Grabhügel werfen Schatten im Licht des Mondes.
»Wir hängen am Kamenzer Kirchturm fest«, sagt der Meister. »Gib acht, daß du nicht vom Wagen fällst!«
Er reißt an den Zügeln, er knallt mit der Peitsche.
»Vorwärts!«
Ein zweiter Ruck - und die Kutsche ist wieder flott.
Ohne weiteren Zwischenfall setzten sie ihre Reise fort, lautlos und schnell durch die Lüfte, auf weißen, im Mondlicht schimmernden Wolken dahin.
»Und ich«, dachte Krabat - »ich hab sie für Nebel gehalten in meinem Unverstand ...«
Von der Hofkirche schlug es halb zehn, als der Meister und Krabat in Dresden ankamen. Krachend setzte die Kutsche auf dem mit Steinen gepflasterten Vorplatz des Schlosses auf. Ein Stallknecht stürzte herbei und ergriff die Zügel.
»Wie immer, Herr?«
»Dumme Frage!«
Der Meister warf ihm ein Geldstück zu. Dann sprang er vom Wagen und forderte Krabat auf, ihm ins Schloß zu folgen. Sie eilten die Freitreppe zum Portal hinauf.
Oben stellte sich ihnen ein Offizier in den Weg, baumlang, mit breiter Seidenschärpe, auf seinem Brustschild spiegelte sich der Mond.
»Parole?«
Der Meister, statt ihm zu antworten, schob ihn beiseite. Der Offizier griff zum Degen, er wollte blankziehen - es gelang ihm nicht. Mit einem Fingerschnalzen hatte der Meister ihn festgebannt: starr und steif stand er da, der Lange, die Augen weit aufgerissen, die Rechte am Degenknauf.
»Komm!« rief der Meister. »Der Kerl muß hier neu sein!«