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»Da bist du ja!«

Krabat zuckte zusammen, die Stimme kannte er. Als er sich umwandte, stand er dem Mann gegenüber - dem Mann mit der Augenklappe.

Wie kam der auf einmal hierher? Durch die Tür war er jedenfalls nicht gekommen.

Der Mann hielt ein Kerzenlicht in der Hand. Er musterte Krabat schweigend, dann schob er das Kinn vor und sagte:

»Ich bin hier der Meister. Du kannst bei mir Lehrjunge werden, ich brauche einen. Du magst doch?«

»Ich mag«, hörte Krabat sich antworten. Seine Stimme klang fremd, als gehörte sie gar nicht ihm.

»Und was soll ich dich lehren? Das Müllern - oder auch alles andere?« wollte der Meister wissen.

»Das andere auch«, sagte Krabat.

Da hielt ihm der Müller die linke Hand hin.

»Schlag ein!«

In dem Augenblick, da sie den Handschlag vollzogen, erhob sich ein dumpfes Rumoren und Tosen im Haus. Es schien aus der Tiefe der Erde zu kommen. Der Fußboden schwankte, die Wände fingen zu zittern an, Balken und Pfosten erbebten.

Krabat schrie auf, wollte weglaufen: weg, bloß weg von hier! - doch der Meister vertrat ihm den Weg.

»Die Mühle!« rief er, die Hände zum Trichter geformt. »Nun mahlt sie wieder!«

Elf und einer

Der Meister bedeutete Krabat, er möge mitkommen. Wortlos leuchtete er dem Jungen über die steile Holztreppe auf den Dachboden, wo die Mühlknappen ihren Schlafraum hatten. Krabat erkannte im Schein der Kerze zwölf niedrige Pritschen mit Strohsäcken, sechs auf der einen Seite des Mittelganges, sechs auf der anderen; neben jeder ein Spind und ein Hocker aus Fichtenholz. Auf den Strohsäcken lagen zerknüllte Decken, im Gang ein paar umgeworfene Schemel, auch Hemden und Fußlappen da und dort. Dem Anschein nach waren die Mühlknappen überstürzt aus den Betten geholt worden, an die Arbeit.

Ein einziger Schlafplatz war unberührt, der Meister deutete auf das Kleiderbündel am Fußende. »Deine Sachen!« Dann machte er kehrt und entfernte sich mit dem Licht.

Nun stand Krabat allein in der Finsternis. Langsam begann er sich auszuziehen. Als er die Mütze vom Kopf nahm, berührte er mit den Fingerspitzen den Strohkranz: Ach richtig, noch gestern war er ja ein Dreikönig gewesen - wie weit lag das hinter ihm.

Auch der Dachboden hallte vom Poltern und Stampfen der Mühle wider. Ein Glück für den Jungen, daß er zum Umfallen müde war. Kaum lag er auf seinem Strohsack, da schlief er schon. Wie ein Klotz schlief er, schlief und schlief - bis ein Lichtstrahl ihn weckte.

Krabat setzte sich auf und erstarrte vor Schreck.

Es standen elf weiße Gestalten an seinem Lager, die blickten im Schein einer Stallaterne auf ihn herunter: elf weiße Gestalten mit weißen Gesichtern und weißen Händen.

»Wer seid ihr?« fragte der Junge ängstlich.

»Das, was auch du bald sein wirst«, gab eins der Gespenster zur Antwort.

»Aber wir tun dir nichts«, fügte ein zweites hinzu. »Wir sind hier die Mühlknappen.«

»Elf seid ihr?«

»Du bist der zwölfte. Wie heißt du denn?«

»Krabat. - Und du?«

»Ich bin Tonda, der Altgesell. Dies ist Michal, dies Merten, dies Juro ...« Tonda nannte der Reihe nach ihre Namen; dann meinte er, daß es genug sei für heute. »Schlaf weiter, Krabat, du wirst deine Kräfte noch brauchen können auf dieser Mühle.«

Die Müllerburschen krochen auf ihre Pritschen, der letzte pustete die Laterne aus - gute Nacht, und schon schnarchten sie.

Zum Frühstück versammelten sich die Mühlknappen in der Gesindestube. Sie saßen zu zwölft um den langen Holztisch, es gab eine fette Hafergrütze, je vier der Gesellen aßen aus einer Schüssel. Krabat war hungrig, er machte sich über die Grütze her wie ein Scheunendrescher. Hielten Mittagessen und Abendbrot, was das Frühstück versprach, dann ließ es sich auf der Mühle leben.

Tonda, der Altgesell, war ein stattlicher Bursche mit dichtem, eisgrauem Haar; doch schien er noch keine dreißig zu sein, dem Gesicht nach. Ein großer Ernst ging von Tonda aus, genauer: von seinen Augen. Krabat faßte vom ersten Tag an Vertrauen zu ihm; seine Gelassenheit und die freundliche Art, wie er ihn behandelte, nahmen ihn für ihn ein.

»Ich hoffe, wir haben dich heute nacht nicht zu sehr erschreckt«, wandte Tonda sich an den Jungen.

»Nicht allzu sehr«, sagte Krabat.

Besah er sich die Gespenster bei Tageslicht, waren es Burschen wie tausend andere. Alle elf sprachen wendisch und waren um einige Jahre älter als Krabat. Wenn sie ihn anblickten, so geschah das nicht ohne Mitleid, wie er zu spüren meinte. Das wunderte ihn, doch er dachte sich weiter nichts dabei.

Was ihm zu denken gab, waren die Kleider, die er am Ende der Pritsche gefunden hatte: getragene Sachen zwar, doch sie paßten ihm auf den Leib wie für ihn geschneidert. Er fragte die Burschen, woher sie das Zeug denn hätten und wem es zuvor gehört habe; aber er hatte die Frage kaum ausgesprochen, da ließen die Müllergesellen die Löffel sinken und blickten ihn traurig an.

»Hab ich was Dummes gesagt?« fragte Krabat.

»Nein, nein«, sagte Tonda. »Die Sachen... Sie stammen von deinem Vorgänger.«

»Und?« wollte Krabat wissen. »Warum ist er nicht mehr da? Hat er ausgelernt?«

»Ja, der hat - ausgelernt«, sagte Tonda.

In diesem Augenblick flog die Tür auf. Der Meister trat ein, er war zornig, die Mühlknappen duckten sich. »Schwätzt mir nicht!« fuhr er sie an; und den Blick seines einen Auges auf Krabat gerichtet, fügte er barsch hinzu: »Wer viel fragt, der viel irrt. - Wiederhole das!«

Krabat stammelte: »Wer viel fragt, der viel irrt...«

»Schreib dir das hinter die Ohren!«

Der Meister verließ die Gesindestube - krach! fiel die Tür hinter ihm ins Schloß.

Die Burschen begannen aufs neue draufloszulöffeln, doch Krabat war plötzlich satt. Ratlos starrte er auf die Tischplatte, keiner beachtete ihn.

Oder ja?

Als er aufblickte, schaute Tonda zu ihm herüber und nickte ihm zu - kaum merklich zwar, doch der Junge war dankbar dafür. Es war gut, einen Freund zu haben in dieser Mühle, das spürte er.

Nach dem Frühstück gingen die Mühlknappen an die Arbeit, Krabat verließ mit den anderen die Gesindestube. Im Flur stand der Meister, er winkte ihm mit der Hand, sagte: »Mitkommen!« Krabat folgte dem Müller ins Freie. Die Sonne schien, es war windstill und kalt, an den Bäumen hing Rauhreif.

Der Meister führte ihn hinter die Mühle, dort war eine Tür in der Rückwand des Hauses, die öffnete er. Dann betraten sie miteinander die Mehlkammer, einen niedrigen Raum mit zwei winzigen Fensterchen, blind von Mehlstaub.

Mehlstaub auch auf dem Fußboden, an den Wänden und fingerdick auf dem eichenen Wiegebalken, der unter der Decke hing.

»Ausfegen!« sagte der Meister. Er zeigte auf einen Besen neben der Tür, überließ dann den Jungen sich selbst und ging fort.

Krabat machte sich an die Arbeit. Nach wenigen Besenstrichen war er von einer dichten Staubwolke eingehüllt, einer Wolke aus Mehlstaub.

»So geht das nicht«, überlegte er. »Wenn ich bis hinten durch bin, liegt vorn wieder alles voll. Ich werde ein Fenster öffnen...«

Die Fenster waren von außen zugenagelt, die Tür verriegelt. Da konnte er rütteln und mit den Fäusten dagegenschlagen, soviel er wollte: es half nichts, er war gefangen hier.

Krabat fing an zu schwitzen. Der Mehlstaub verkleisterte ihm das Haar und die Wimpern, er kitzelte in der Nase, er kratzte im Hals. Es war wie ein böser Traum, der kein Ende nahm: Mehlstaub und wieder Mehlstaub in dichten Schwaden, wie Nebel, wie Schneegestöber.

Krabats Atem ging mühsam, er stieß mit der Stirne gegen den Wiegebalken, ihn schwindelte. Sollte er aufgeben?