Sie hasteten eine marmorne Innentreppe hinauf, durch Gänge und Säle, an Spiegelwänden entlang und an Fensterfronten mit schweren, goldgemusterten Vorhängen. Den Türstehern und Lakaien, denen sie unterwegs begegneten, schien der Meister bekannt zu sein. Keiner vertrat ihm den Weg, keiner hielt ihn mit Fragen auf. Stumm traten alle zur Seite, verbeugten sich, ließen Krabat und ihn passieren.
Seit sie im Schloß waren, glaubte Krabat zu träumen. Er war überwältigt von all der Pracht hier, von Glanz und Herrlichkeit - und er kam sich in seinem Mühlenkittel unsagbar schäbig vor.
»Ob die Lakaien mich auslachen?« dachte er. »Ob die Türsteher hinter meinem Rücken die Nase rümpfen?«
Er fühlte sich unsicher werden, er kam ins Stolpern. Was denn - das war ja ein Degen, der ihm da zwischen die Füße geraten war... Wessen Degen, zum Kuckuck! Ein Blick in den nächsten Spiegel machte ihn stutzen, es ging über seinen Verstand: Er trug einen schwarzen, mit Silberknöpfen besetzten Waffenrock, hohe Lederstiefel dazu und, wahrhaftig, ein Wehrgehänge mit einem Stoßdegen! War das ein Dreispitz auf seinem Kopf? Seit wann trug er eine Perücke, weißgepudert, mit einem Haarbeutel hinten dran?
»Meister!« wollte er rufen. »Was soll das?«
Er kam nicht dazu, weil sie plötzlich in einen von Kerzen erleuchteten Vorsaal gelangten, wo mehrere Herren herumstanden, Hauptleute und Obristen, auch Hofbeamte dazwischen, mit Stern und Ordensband.
Ein Kammerherr trat auf den Meister zu.
»Daß Ihr nur endlich da seid, der Kurfürst erwartet Euch schon!« - und auf Krabat deutend: »Ihr seid nicht allein gekommen?«
»Mein Junker«, sagte der Meister. »Er mag hier warten.«
Der Kammerherr winkte einem der Hauptleute. »Nehmt Euch des Junkers an, Herr!«
Der Hauptmann zog Krabat am Ärmel zu einem Tischchen in einer der Fensternischen.
»Wein oder Schokolade, mein Lieber?«
Krabat entschied sich für ein Glas Rotwein. Während er mit dem Hauptmann anstieß, begab sich der Meister in die Gemächer des Kurfürsten.
»Hoffentlich«, meinte der Hauptmann, »gelingt es ihm!«
»Was?« fragte Krabat.
»Das solltet Ihr wissen, Junker! Ist Euer Herr nicht seit vielen Wochen bemüht, seine Durchlaucht zu überzeugen, daß Dero Ratgeber, die zum Friedensschluß mit den Schweden mahnen, Schafsköpfe sind und zum Teufel gejagt gehören?«
»Doch, doch«, sagte Krabat rasch, obgleich er von alledem keine Ahnung hatte.
Die Herren Obristen und Hauptleute, die sie umstanden, lachten und tranken ihm zu.
»Auf den Krieg mit den Schweden!« riefen sie. »Daß der Kurfürst beschließen möge, ihn fortzuführen! Auf Sieg oder Niederlage - bloß fortführen muß er den Schwedenkrieg!«
Gegen Mitternacht kam der Meister zurück. Der Kurfürst geleitete ihn zur Schwelle des Vorsaals. »Wir danken Euch«, sagte er. »Euer Rat ist Uns wert und teuer, das wißt Ihr - und wenn es auch eine Zeitlang gebraucht hat, bis wir Uns Euren Gründen und Argumenten nicht länger verschließen konnten: nun ist die Entscheidung gefallen, der Krieg geht weiter!«
Die Herren im Vorsaal rasselten mit den Säbeln, sie schwenkten die Hüte.
»Vivat Augustus!« riefen sie. »Ruhm und Ehre dem Kurfürsten - Tod den Schweden!«
Der Kurfürst von Sachsen, ein schwerer, fleischiger Mann von hünenhafter Gestalt mit dem Kreuz eines Grobschmieds und Fäusten, die jedem Schiffsknecht zur Ehre gereicht hätten, dankte den Herren mit einer Handbewegung. Dann wandte er sich dem Meister zu, sagte ihm ein paar Worte, die bei dem Lärm, der im Vorsaal herrschte, von niemand verstanden wurden und die wohl auch schwerlich für anderer Leute Ohren bestimmt waren - damit entließ er ihn.
Während die Herren von Hof und Armee im Vorsaal zurückblieben, folgte Krabat dem Meister hinaus. Sie verließen das Schloß auf dem gleichen Wege, auf dem sie gekommen waren: an Fensterfronten und Spiegelwänden entlang, durch Säle und Gänge, die marmorne Innentreppe hinab zum Portal - und hinaus auf die Freitreppe, wo noch immer der baumlange Offizier stand, die Augen weit aufgerissen, die Rechte am Degenknauf, steif und starr wie ein Zinnsoldat.
»Mach ihn los, Krabat«, sagte der Meister.
Das kostete Krabat nicht mehr als ein Fingerschnalzen, wie er es in der Schwarzen Schule gelernt hatte. »Ab mit Ihm!« kommandierte er. »Rrrechtsum - kehrt!«
Der Offizier zog den Degen, er salutierte mit blanker Klinge. Dann machte er die befohlene Kehrtwendung und marschierte davon.
Auf dem Schloßplatz stand schon die Kutsche für sie bereit. Der Stallknecht meldete, daß er die Braunen versorgt habe, wie befohlen.
»Das will ich Ihm auch geraten haben!« sagte der Meister. Dann stiegen sie auf, und erst jetzt merkte Krabat, daß er sich wieder in seinen gewohnten Kleidern befand. Recht so - was hätte er auf der Mühle denn anfangen sollen mit Dreispitz, Degen und Waffenrock?
Sie rumpelten über die steinerne Eibbrücke. Als sie zur Stadt hinaus waren und die Höhen am anderen Ufer des Stromes erreicht hatten, lenkte der Meister die Kutsche auf freies Feld. Dort erhoben die Pferde sich wieder vom Boden, und weiter ging es, in luftiger Höhe heimzu.
Der Mond stand im Westen, recht tief schon, er mußte bald untergehen. Krabat hing schweigend seinen Gedanken nach. Er blickte hinab auf die Dörfer und kleinen Städte, die sie im Flug überquerten, auf Felder und Wald, auf Teiche und Wasserläufe - und auf die Heide mit ihren Mooren und flachen Sandkuhlen. Friedliches Land da unten, dunkel und still.
»Woran denkst du?« wollte der Meister wissen.
»Ich denke darüber nach«, sagte Krabat, »wie weit man es bringen kann mit der Schwarzen Kunst - und daß sie ein Mittel ist, das einem selbst über Fürsten und Könige Macht verleiht.«
Im Schein einer Osterkerze
Ostern war diesmal spät im Jahr, es fiel in die zweite Aprilhälfte. Am Abend des Karfreitags wurde Witko in die Schwarze Schule aufgenommen. Nie zuvor hatte Krabat einen so dürren und struppigen Raben gesehen wie ihn; auch glaubte er, einen rötlichen Schimmer auf seinem Gefieder wahrzunehmen, aber das bildete er sich vielleicht nur ein.
Den Karsamstag verbrachten die Müllerburschen, indem sie auf Vorrat schliefen. Am späten Nachmittag tischte Juro ihnen gewaltig zu essen auf. »Haltet euch nur dazu«, mahnte Hanzo, »ihr wißt ja, es muß eine Weile vorhalten!«
Lyschko durfte zum erstenmal wieder aus der gemeinsamen Schüssel essen: bei Anbruch der Osternacht mußte aller Streit, den es unter den Müllerburschen gegeben hatte, begraben sein - das verlangte die Regel.
Ums Dunkelwerden schickte der Meister die Knappen aus, sich das Mal zu holen. Alles vollzog sich genau wie im Jahr zuvor. Wieder wurden die Burschen vom Meister ausgezählt, wieder gingen sie paarweise aus der Mühle. Krabat kam diesmal mit Juro zusammen.
»Wohin?« fragte Juro, nachdem sie sich Decken geholt hatten.
»Wenn es dir recht ist: zu Bäumels Tod.«
»Ist gut«, meinte Juro, »wenn du den Weg nur weißt. Auf mich ist bei Nacht kein Verlaß, da muß ich schon froh sein, wenn ich vom Haus in den Stall finde, ohne mich zu verlaufen.«
»Ich gehe voraus«, sagte Krabat. »Sieh zu, daß du in der Dunkelheit nicht abhanden kommst!«
Den Weg, den sie gehen mußten, war Krabat erst einmal gegangen, mit Tonda damals. Den Koselbruch zu durchqueren war ja nicht schwer.
Erst draußen, jenseits des Waldes konnte es schwierig werden, wenn es den Feldweg zu finden galt, der an Schwarzkollm vorbeiführte. »Schlimmstenfalls«, sagte sich Krabat, »müssen wir querfeldein laufen ...«
- aber da fehlte nichts.
Trotz der Finsternis stießen sie wie von selbst auf den Pfad. Die Lichter des Dorfes zur Linken, gingen sie durch die Felder, erreichten nach einer Weile die Fahrstraße jenseits des Ortes und folgten ihr bis zur nächsten Biegung.