Staschko und seine Gehilfen verrichteten nahezu alles mit ihren Handbeilen, wie sich's für Müllerburschen, die auf sich hielten, von selbst verstand. Zur Säge griffen sie erst, wenn es unbedingt sein mußte, und auch dann nur ungern.
Krabat war froh, daß er eine Arbeit hatte, die es ihm kaum erlaubte,
»an andere Dinge« zu denken, das heißt: an die Kantorka. Trotzdem dachte er oft genug an sie, und er fürchtete manchmal, die anderen müßten ihm diese Gedanken anmerken. Lyschko zumindest hatte schon Lunte gerochen; er fragte ihn eines Tages, was mit ihm los sei.
»Mit mir?« fragte Krabat. »Wieso?«
»Weil du in letzter Zeit kaum noch hinhörst, wenn man dir etwas sagt. Ich kannte mal einen, der Kummer mit einem Mädchen hatte - bei dem war das ähnlich.«
»Und ich«, sagte Krabat so ruhig und unbefangen, wie er nur konnte - »ich kannte mal einen, der hörte das Gras wachsen, wie er meinte; es war aber bloß das Stroh, das in seinem Schädel geknistert hat.«
In der Schwarzen Schule gab Krabat sich große Mühe, bald stand er den meisten Mitgesellen in den Geheimen Wissenschaften um nichts mehr nach. Nur Hanzo und Merten waren ihm noch überlegen - und Michal vor allem, der sich seit Anfang des Jahres zum Meisterschüler herausgemausert und alle Burschen weit überflügelt hatte.
Der Müller fand sichtbar Gefallen an Krabats Eifer; er lobte ihn häufig und spornte ihn an, darin fortzufahren. »Ich sehe schon«, sagte er eines Freitagabends im Mai nach dem Unterricht, »daß du es in den Geheimen Künsten zu etwas bringen wirst. Wie ich dich einschätze, hast du wie selten einer das Zeug dazu. Meinst du, ich hätte dich sonst an den Hof des Kurfürsten mitgenommen?«
Krabat war stolz darauf, daß der Meister mit ihm zufrieden war. Nur schade, daß er nicht öfter Gelegenheit hatte, die in der Zauberlehre erworbenen Kenntnisse anzuwenden!
»Dem können wir abhelfen«, sagte der Meister, als habe er Krabat denken hören. »Morgen gehst du mit Juro nach Wittichenau auf den Markt und verkaufst ihn für fünfzig Gulden als Rappenhengst. Aber paß auf, daß der Dummkopf dir keinen Ärger macht!«
Anderntags wanderte Krabat mit Juro nach Wittichenau. Er dachte an Ochsenblaschke aus Kamenz und pfiff sich eins. Der Pferdehandel versprach eine lustige Sache zu werden. Um so befremdlicher fand er es, als er merkte, daß Juro bekümmert war und den Kopf immer tiefer hängen ließ.
»Was hast du?«
»Wieso?«
»Weil du dreinschaust, als ob es zum Galgen ginge.«
»Was wird es schon sein«, meinte Juro und schneuzte sich mit zwei Fingern die Nase. »Ich schaff das nicht, Krabat - ich hab mich noch nie in ein Pferd verwandelt.«
»Es kann nicht so schwer sein, Juro, ich werde dir dabei helfen.«
»Was nützt mir das?« Juro war stehengeblieben, er blickte ihn traurig an. »Wir werden mich in ein Roß verwandeln, na schön, du wirst mich für fünfzig Gulden verkaufen - und damit ist die Geschichte ausgestanden. Für dich, Krabat, aber nicht für mich! Und warum nicht? Ganz einfach! Wie komme ich aus der Pferdehaut wieder raus, ohne deine Hilfe? Ich glaub fast, der Meister hat mir das eingebrockt, um mich loszuwerden.«
»Bah!« sagte Krabat, »was faselst du da zusammen!«
»Doch, doch«, widersprach ihm Juro. »Ich schaff das nicht, ich bin viel zu blöd dazu.«
Wie er so dastand, mit hängenden Ohren und trauriger Nase, bot er ein Bild des Jammers.
»Und - wenn wir die Rollen tauschen?« schlug Krabat vor. »Hauptsache, daß er sein Geld kriegt: dann kann es dem Meister egal sein, wer von uns wen verkauft.«
Juro war glücklich.
»Daß du das für mich tun willst, Bruder!«
»Laß gut sein«, erwiderte Krabat. »Versprich mir, mit niemand darüber zu reden - das andere soll uns nicht schwerfallen, denke ich.«
Pfeifend marschierten sie ihres Weges, bis sie die Dächer von Wittichenau erblickten. Da bogen sie von der Landstraße ab, hinter eine Feldscheune. »Dies ist ein guter Platz«, sagte Krabat, »da sieht uns keiner, wenn ich mich in das Roß verwandle. Du weißt ja, daß du mich keinesfalls unter fünfzig Gulden verkaufen darfst. Und bevor du mich aus der Hand gibst, nimm mir den Halfter ab: sonst muß ich zeitlebens ein Gaul bleiben - und da wüßte ich mir was Besseres!«
»Keine Angst«, sagte Juro, »ich werde mich schon in acht nehmen! Wenn ich auch dumm bin - so dumm bin ich doch nicht.«
»Schön«, sagte Krabat. »Das soll ein Wort sein.«
Er murmelte einen Zauberspruch und verwandelte sich in ein schwarzes Roß, das war prächtig gesattelt und aufgezäumt.
»Donnerwetter!« rief Juro. »Du bist ja das reinste Paradepferd!«
Die Roßhändler auf dem Wittichenauer Markt rissen Mund und Augen auf, als sie den Hengst erblickten, und kamen herbeigelaufen.
»Was kostet er?«
»Fünfzig Taler.«
Nicht lang, und ein Bautzener Roßkamm war drauf und dran, den geforderten Preis zu zahlen. Da mischte sich, eben als Juro »Topp!« rufen wollte, ein fremder Herr in den Handel. Er trug eine polnische Mütze und einen roten, mit Silberkordeln verschnürten Reitrock: ein abgedankter Obrist vielleicht - oder sonst eine Standesperson.
»Er steht im Begriff, ein schlechtes Geschäft zu machen«, belehrte er Juro mit heiserer Stimme. »Sein Hengst ist weit mehr wert als fünfzig Gulden - ich biete Ihm hundert!«
Der Händler aus Bautzen war wütend. Was mußte ihm dieser verrückte Mensch in die Quere kommen! Wer war er denn überhaupt? Niemand kannte den Fremden, der wie ein Edelmann aussah und keiner war - bis auf Krabat.
Krabat hatte ihn gleich erkannt, an dem Pflaster über dem linken Auge und an der Stimme. Er blähte die Nüstern, er tänzelte hin und her. Wenn er Juro bloß hätte warnen können! Doch Juro schien von der Unruhe, die über Krabat gekommen war, nichts zu merken. Offenbar dachte er nur an die hundert Gulden.
»Was zaudert Er?« drängte der Fremde. Er zog einen Beutel, er warf ihn dem Burschen hin. Juro verbeugte sich.
»Tausend Dank, Herr!«
Im nächsten Augenblick griff der Fremde zu. Er entriß dem verblüfften Juro die Zügel - ein Satz, und schon saß er auf Krabats Rücken. Er stieß ihm die Sporen mit solcher Gewalt in die Flanken, daß Krabat sich wiehernd aufbäumte.
»Reitet mir nicht davon, Herr!« rief Juro. »Der Halfter! Ihr müßt mir den Halfter lassen!«
»Nichts da!« Der Fremde brach in Gelächter aus, nun erkannte selbst Juro ihn.
Mit der Reitpeitsche drosch der Meister auf Krabat ein.
»Vorwärts!« Und ohne sich weiter um Juro zu scheren, stob er davon.
Armer Krabat! Der Meister jagte ihn kreuz und quer durch die Heide, er hetzte ihn über Stock und Stein, über Hecken und Wassergräben, durch Dornengestrüpp und Morast.
»Dich werd ich lehren, wie man pariert!« Wenn Krabat nachließ, zog ihm der Müller die Peitsche über. Er gab ihm die Sporen, daß es den Burschen schmerzte, als ob sich ihm glühende Nägel ins Fleisch bohrten.
Krabat versuchte den Meister abzuschütteln, er bockte, er riß an den Zügeln, er sperrte sich.
»Bock du nur!« rief der Meister. »Mich kriegst du nicht runter!«
Mit Peitsche und Sporen machte er Krabat mürbe. Ein letzter Versuch, sich dem Reiter zu widersetzen, schlug fehl. Da gab Krabat den Kampf verloren und fügte sich. Schweiß troff ihm aus der Mähne und Schaum vom Maul. Er dampfte am ganzen Körper, er keuchte, er zitterte. Blut floß aus seinen Flanken, er spürte es warm an der Innenseite der Schenkel hinabrinnen.
»Brav so!«
Der Meister versammelte Krabat, dann ließ er ihn antraben. Rechtsgalopp, Linksgalopp, wieder in leichten Trab zurück, eine Weile im Schritt - und dann halt.
»Das hättest du einfacher haben können.« Der Müller schwang sich vom Roß, er löste den Halfter. »Nun mach, daß du wieder ein Mensch wirst!«
Krabat verwandelte sich zurück; die Striemen, die Risse, die Wunden und blauen Flecke blieben ihm.