Krabat und Staschko gingen ihm, wo es sich machen ließ, bei der Arbeit zur Hand - doch der Meister war überall, und dem Blick seines einen Auges entging nur wenig.
Von Pumphutt war niemals die Rede. Trotzdem wußten die Burschen, daß sie der Meister bestrafte, weil sie bei seiner Niederlage zugegen gewesen waren.
So ging das nun wochenlang bis zur ersten Neumondnacht im September. Der mit der Hahnenfeder kam vorgefahren wie immer, die Burschen machten sich an die Arbeit, der Meister erklomm den Kutschbock. Er griff sich die Peitsche, er ließ sie schnalzen. Schweigend rannten die Knappen mit ihren Säcken vom Wagen zur Mahlstube, kippten das Zeug in die Schütte des Toten Ganges und eilten zurück zum Wagen. Alles lief ab, wie es stets in den Neumondnächten zu laufen pflegte, um einiges mühsamer freilich - und später dann, um die Wende der zweiten Morgenstunde, geschah es, daß Witko nicht weiterkonnte. Beladen mit einem der letzten Säcke, begann er zu torkeln und brach zusammen, auf halbem Weg zwischen Fuhrwerk und Mahlstube. Keuchend lag er im Gras, das Gesicht nach unten. Michal drehte ihn auf den Rücken, er riß ihm das Hemd auf.
»Heda!« Der Meister war aufgesprungen. »Was soll das!«
»Da fragst du noch?« Michal, sich aufrichtend, brach das sonst in den Neumondnächten gewahrte Schweigen. »Wochenlang hast du uns Nacht für Nacht schuften lassen - wie soll das der Junge durchhalten?«
»Kusch!« rief der Meister. Er schlug mit der Peitsche nach Michal, die Schwippe ringelte sich um dessen Hals.
»Laß das bleiben!«
Zum erstenmal hörte Krabat den Fremden sprechen. Es war eine Stimme wie glühende Kohlen und klirrender Frost in einem. Er spürte, wie es ihm eiskalt den Rücken hinablief, während er gleichzeitig das Gefühl hatte, mitten in einem lichterloh brennenden Feuer zu stehen.
Der mit der Hahnenfeder bedeutete Michal mit einer Handbewegung, Witko beiseite zu schaffen; dann nahm er dem Meister die Peitsche weg und stieß ihn vom Wagen.
Anstelle des Jungen, den Michal zu Bett brachte, mußte der Müller nun für den Rest der Nacht mit den Burschen arbeiten, wie er's sonst nur in der Zeit zwischen Neujahr und Ostern zu tun gezwungen war - und die Mühlknappen gönnten ihm das.
Am Ende der Reihe
Vom nächsten Tag an hatten die Burschen Ruhe. Nur der Striemen an Michals Hals erinnerte noch daran, daß der Meister sie wochenlang Nacht für Nacht kujoniert hatte. Neuerdings durften sie wieder bei Tageslicht ihrer Arbeit nachgehen, was ihnen wenig Mühe verursachte, und am Feierabend war Schluß. Da konnten sie tun und lassen, was ihnen gefieclass="underline" Maultrommel spielen, Geschichten erzählen und Löffel schnitzen. Alles war, wie es früher gewesen war. Die Blasen an ihren Händen trockneten ein, die wunden Stellen auf Brust und Rücken waren bald abgeheilt. Nun lernten sie wieder eifrig und mit Gewinn, wenn der Müller ihnen am Freitagabend aus dem Koraktor vorlas; und wenn er sie abfragte, war es zumeist nur Juro, der steckenblieb und nicht weiterwußte - aber das war ja die alte Leier mit ihm.
Ein paar Tage nach Michaeli ergab es sich dann, daß Petar und Krabat vom Meister nach Hoyerswerda geschickt wurden, um ein Faß Salz zu holen und allerlei Küchenkram. Der Müller ließ niemals einen der Burschen einzeln weg. Galt es auswärts was zu erledigen, schickte er mindestens zwei gemeinsam aus, und er mochte wohl seine Gründe haben dafür - oder seine Vorschriften.
Im Morgengrauen fuhren die beiden los, auf dem Leiterwagen, die Braunen vorgespannt. Es war neblig im Koselbruch. Als sie den Wald hinter sich hatten, ging die Sonne auf, der Nebel zerfloß am Boden.
Schwarzkollm lag vor ihnen.
Krabat hoffte darauf, die Kantorka sehen zu können. Während sie durch das Dorf fuhren, hielt er Ausschau nach ihr - vergebens. Bei den Mädchen, die schwatzend mit ihren Wassereimern am unteren Brunnen standen, befand sie sich nicht, und am oberen Brunnen auch nicht. Auch sonst war sie nirgends zu sehen an diesem Morgen.
Krabat war traurig, er hätte sie gern einmal wiedergesehen, es war ja schon lange her seit der Osternacht.
»Ob ich am Nachmittag Glück habe, wenn wir heimfahren?« dachte er. Vielleicht war es besser, wenn er sich keine Hoffnung machte: dann brauchte er hinterher nicht enttäuscht zu sein.
Am Nachmittag, als sie mit ihrem Faß Salz und dem anderen Krimskrams von Hoyerswerda zurückfuhren, fügte sich's aber doch, daß sein Wunsch in Erfüllung ging. Da stand sie, umgeben von einer gackernden Hühnerschar, unweit des unteren Dorfbrunnens, eine Strohschüssel in der Hand, und streute den Hühnern Futter hin.
»Putt-putt-putt! Putt-putt-putt!«
Krabat erkannte sie auf den ersten Blick. Er nickte ihr im Vorbeifahren zu, ganz beiläufig, da ja Petar nichts merken durfte. Die Kantorka nickte ebenso beiläufig wieder zurück, freundlich zwar, wie man Fremden zunickt: aber die Hühner, die sie zu füttern hatte, waren ihr zehnmal wichtiger. Unter dem Hühnervolk tat sich ein schöner, rotbunter Gockel hervor, der eifrig zu ihren Füßen die Körner aufpickte: den beneidete Krabat in diesem Augenblick sehr, und wäre es möglich gewesen, so hätte er auf der Stelle mit ihm getauscht.
Der Herbst zog sich diesmal lang hin, unwirtlich, kühl und grau, mit viel Nebel und Regen. Sie nutzten die wenigen Tage, an denen es halbwegs trocken war, um den Wintertorf einzufahren. Die übrige Zeit verbrachten sie in der Mühle, in Scheune und Stall, auf dem Schüttboden oder im Schuppen. Jeder war froh, wenn er eine Arbeit hatte, bei der er nicht in den Regen hinaus mußte.
Witko war seit dem Frühjahr beträchtlich gewachsen, doch weiterhin dürr geblieben.
»Wir sollten ihm einen Ziegelstein auf den Kopf legen«, meinte Andrusch, »sonst wächst er uns noch davon!« Und Staschko schlug vor, ihn zu mästen wie eine Martinsgans, »weil er Speck auf die Rippen braucht und mehr Fleisch an den Hintern, damit er nicht aussieht wie eine Krautscheuche!«
Neuerdings zeigte sich, auch bei Witko an Kinn und Oberlippe der erste Flaum: fuchsrot, versteht sich. Witko schenkte dem allen keine Beachtung, Krabat dafür um so mehr. Er konnte an Witko beobachten, wie es war, wenn ein Junge in einem Jahr um das Dreifache älter wurde.
Der erste Schnee fiel in diesem Jahre in der Andreasnacht, reichlich spät also. Wieder kam nun die große Unruhe über die Mühlknappen auf der Mühle im Koselbruch, wieder wurden sie wortkarg und unverträglich. Beim nichtigsten Anlaß brachen sie Streit vom Zaun. Die Tage, an denen nicht mindestens einer im Zorn mit den Fäusten auf einen anderen losging, wurden von Woche zu Woche seltener.
Krabat erinnerte sich des Gespräches mit Tonda, das sie im Vorjahr um diese Zeit geführt hatten: War den Burschen auch diesmal die Angst in die Knochen gefahren, weil einem von ihnen der Tod bevorstand?
Daß der Gedanke ihm nicht schon früher gekommen war! Immerhin kannte er ja den Wüsten Plan und die Zeile der flachen Hügeclass="underline" sieben waren es oder acht - oder mehr noch, er hatte sie nicht gezählt. Nun verstand er die Angst der Burschen, nun teilte er sie. Jeder von ihnen, mit Ausnahme Witkos vielleicht, konnte in diesem Jahr an der Reihe sein. Aber wer? Und warum nur? Krabat getraute sich keinen der Mitgesellen danach zu fragen, auch Michal nicht.
Öfter als sonst zog er Tondas Messer hervor, ließ es aufschnappen, prüfte die Klinge. Die Klinge war blank, und sie blieb es auch. Er also, Krabat, schien außer Gefahr zu sein - aber schon morgen konnte sich das geändert haben.
Im Holzschuppen stand ein Sarg bereit. Krabat entdeckte ihn zufällig, als er am Tag vor dem Heiligen Abend um Holz ging. Der Sarg war mit einem Stück Wagenplane zugedeckt. Krabat hätte ihn kaum beachtet, wäre er nicht im Vorbeigehen mit dem Schienbein dagegengestoßen.
Wer hatte den Sarg gezimmert? Seit wann stand er hier bereit - und für wen wohl?
Die Frage ließ Krabat nicht los. Sie beschäftigte ihn für den Rest des Tages, bis in den Traum hinein.