Doch was würde der Meister sagen, wenn er jetzt einfach den Besen weglegte? Krabat wollte sich's nicht verscherzen mit ihm, nicht zuletzt, weil er Angst hatte um das gute Essen. So zwang er sich weiterzu kehren: von vorne nach hinten, von hinten nach vorn, ohne Unterlaß, Stunde um Stunde.
Bis endlich, nach einer halben Ewigkeit, jemand kam und die Tür aufriß: Tonda.
»Komm raus!« rief er. »Mittag!
Das ließ sich der Junge nicht zweimal sagen, er torkelte an die Luft, holte keuchend Atem. Der Altgesell warf einen Blick in die Mehlkammer, dann erklärte er achselzuckend: »Laß gut sein, Krabat - keinem ergeht es am Anfang besser.«
Er murmelte ein paar unverständliche Worte, er schrieb mit der Hand etwas in die Luft. Da erhob sich der Staub in der Kammer, als bliese aus allen Fugen und Ritzen der Wind hervor. Eine Rauchfahne, weiß, stob zur Tür hinaus - über Krabats Kopf weg, dem Walde zu.
Die Kammer war leergefegt. Blank war sie, bis auf das letzte Stäubchen. Dem Jungen weiteten sich vor Staunen die Augen.
»Wie macht man das?« fragte er.
Tonda blieb ihm die Antwort schuldig, er meinte: »Laß uns ins Haus gehen, Krabat, die Suppe wird kalt!«
Kein Honiglecken
Für Krabat begann eine harte Zeit, der Meister hetzte ihn unbarmherzig zur Arbeit. »Wo steckst du, Krabat? Da sind ein paar Säcke Korn auf den Speicher zu schleppen!« und: »Krabat, komm her! Das Gedreide da, auf dem Schüttboden - schaufle es um, aber richtig von Grund auf, daß es nicht auskeimt!« oder: »Das Mehl, das du gestern gesiebt hast, Krabat, ist voller Spelzen! Du wirst es dir nach dem Abendbrot hernehmen, und bevor es nicht ohne Makel ist, gehst du mir nicht zu Bett!«
Die Mühle im Koselbruch mahlte Tag für Tag, werktags und sonntags, vom frühen Morgen an bis zum Einbruch der Dunkelheit. Nur einmal die Woche, am Freitag, machten die Mühlknappen früher Feierabend als sonst, und samstags begannen sie mit der Arbeit zwei Stunden später.
Wenn Krabat nicht Korn schleppte oder Mehl siebte, mußte er Holz spalten, Schnee räumen, Wasser zur Küche tragen, die Pferde striegeln, Mist aus dem Kuhstall karren - kurzum, es gab immer genug zu tun für ihn;
und des Abends, wenn er dann auf dem Strohsack lag, war er wie gerädert. Das Kreuz tat ihm weh, die Haut an den Schultern war durchgescheuert, Arme und Beine schmerzten ihn, daß es kaum zu ertragen war.
Krabat bewunderte seine Mitgesellen. Das schwere Tagewerk auf der Mühle schien denen nichts auszumachen, keiner ermüdete, keiner klagte, keiner geriet bei der Arbeit in Schweiß oder außer Atem.
Eines Morgens war Krabat damit beschäftigt, den Zugang zum Brunnen freizuschaufeln. Vergangene Nacht über hatte es unablässig geschneit, der Wind hatte Wege und Stege zugeweht. Krabat mußte die Zähne zusammenbeißen, bei jedem Schaufelwurf spürte er einen stechenden Schmerz im Kreuz. Da kam Tonda zu ihm heraus. Nachdem er sich vergewissert hatte, daß sie allein waren, legte er ihm die Hand auf die Schulter.
»Nicht aufgeben, Krabat...«
Da war es dem Jungen, als fließe ihm neue Kraft zu. Die Schmerzen waren wie weggeblasen, er packte die Schaufel und hätte mit Feuereifer drauflosgeschippt, wäre Tonda ihm nicht in den Arm gefallen.
»Der Meister darf es nicht merken«, bat er ihn, »und auch Lyschko nicht!«
Lyschko, ein zaundürrer, langer Bursche mit spitzer Nase und scheelem Blick, hatte Krabat vom ersten Tag an nicht übermäßig gefallen: ein Schnüffler, so schien es, ein Ohrenspitzer und Um-die-Ecken- Schleicher, vor dem man sich keinen Augenblick sicher wußte.
»Ist gut«, sagte Krabat und gab sich beim Weiterschaufeln den Anschein, als ob es ihn große Mühe und Überwindung kostete. Bald danach kam, wie zufällig, Lyschko des Weges. »Na, Krabat, wie schmeckt die Arbeit?« »Wie wird sie schon schmecken!« knurrte der Junge. »Friß einen Hundedreck, Lyschko - dann weißt du es.«
Von nun an kam Tonda öfters zu Krabat und legte ihm heimlich die Hand auf. Dann spürte der Junge, wie frische Kraft ihn durchdrang, und die Arbeit, so schwer sie auch sein mochte, ging ihm für eine Weile leicht von der Hand.
Der Meister und Lyschko erfuhren von alledem nichts - und ebensowenig die anderen Müllerburschen: nicht Michal und Merten, die beiden Vettern, von denen der eine so bärenstark war und gutmütig wie der andere; nicht Andrusch, der pockennarbige Spaßvogel, und nicht Hanzo, den sie den Bullen nannten mit seinem Stiernacken und dem kurzgeschorenen Haar; auch Petar nicht, der sich am Feierabend mit Löffelschnitzen die Zeit vertrieb, und nicht Staschko, der Tausendsassa, der flink wie ein Wiesel war und geschickt wie der kleine Affe, den Krabat vor Jahren in Königswartha auf dem Jahrmarkt bestaunt hatte. Kito, der immer mit einer Miene herumlief, als liege ihm ein Pfund Schusternägel im Magen, und Kubo, der Schweigsame, merkten auch nichts davon - und erst recht nicht, versteht sich, der dumme Juro.
Juro, ein stämmiger Bursche mit kurzen Beinen und flachem, von Sommersprossen gesprenkeltem Mondgesicht, war nächst Tonda am längsten im Dienst hier. Zum Müllern taugte er wenig, da er, wie Andrusch zu spötteln pflegte, »zu dumm war, um Kleie und Mehl auseinanderzuhalten«; und daß er nicht längst aus Versehen ins Mahlwerk gestolpert und zwischen die Steine geraten sei: das verdanke er nur dem Umstand, daß Dummheit und Glück ja mit Vorliebe Hand in Hand gingen.
Solche Reden war Juro gewöhnt. Er ließ sich von Andrusch geduldig hänseln; er zog ohne Widerrede den Kopf ein, wenn Kito ihm einer Nichtigkeit halber mit Schlägen drohte; und wenn ihm, was häufig vorkam, die Mühlknappen einen Schabernack spielten, ließ er sich's grinsend gefallen, als wollte er sagen: »Was habt ihr denn - daß ich der dumme Juro bin, weiß ich sowieso.«
Bloß für die Hausarbeit war er nicht zu dumm. Da jemand auch diese Dinge erledigen mußte, waren es alle zufrieden, daß Juro sie ihnen abnahm: das Kochen und Spülen, das Brotbacken und das Heizen, das Fußbodenschrubben und Treppenscheuern, das Staubwischen, Wäschewaschen und Bügeln und alles andere, was es in Küche und Haus zu tun gab. Die Hühner, die Gänse und Schweine versorgte er obendrein.
Wie Juro mit seinen vielen Pflichten zu Rande kam, war dem Jungen ein Rätsel. Die Mitgesellen nahmen dies alles für selbstverständlich, und vollends der Meister behandelte Juro, als ob er der letzte Dreck sei. Krabat fand das nicht richtig, und einmal - da hatte er eine Ladung Holz in die Küche gebracht, und zum Dank steckte Juro ihm, nicht zum erstenmal übrigens, einen Wurstzipfel in die Rocktasche -: einmal sprach er ihn rundheraus darauf an.
»Ich versteh dich nicht, daß du dir alles gefallen läßt.«
»Ich?« fragte Juro verwundert.
»Ja - du!« sagte Krabat. »Der Meister springt mit dir um, daß es eine Schande ist, und die Burschen verspotten dich.«
»Tonda nicht«, wandte Juro ein. »Und du auch nicht.«
»Was ändert das!« widersprach ihm Krabat. »Ich wüßte mir schon zu helfen, wenn ich an deiner Stelle wäre. Ich würde mich wehren, verstehst du, mir nichts mehr gefallen lassen - von Kito nicht, und von Andrusch nicht, und von keinem anderen!«
»Hm«, meinte Juro, sich im Genick kratzend. »Du vielleicht, Krabat - du könntest das... Aber wenn man ein Dummkopf ist?«
»Dann lauf weg!« rief der Junge. »Lauf weg hier - und such dir woanders was, wo du's besser hast!«
»Weglaufen?« Juro wirkte für einen Augenblick gar nicht dumm, nur enttäuscht und müde. »Versuch das mal, Krabat, hier wegzulaufen!«
»Ich hab keinen Grund dazu.«
»Nein«, brummte Juro, »gewiß nicht - und hoffen wir, daß du nie einen haben wirst...«
Er steckte ihm einen Kanten Brot in die andere Rocktasche, winkte ab,
als der Junge ihm danken wollte, und schob ihn zur Tür hinaus: dümmlich grinsend, wie man's von ihm gewohnt war.