Krabat hat einen Sarg gefunden, im Holzschuppen: einen Fichtensarg, der mit einem Stück Wagenplane bedeckt ist. Vorsichtig öffnet Krabat den Sarg und wirft einen Blick hinein - er ist leer.
Da beschließt er, den Sarg zu zerschlagen. Er findet es unerträglich, daß er da steht und auf jemand wartet, der Sarg.
Mit dem Handbeil macht Krabat sich an die Arbeit. Er trennt die Bretter, er spaltet sie auf, von oben bis unten, so oft es geht. Dann zerhackt er sie noch zu handlichen kleinen Scheitern, die will er in einen Korb packen, um sie Juro zu bringen, der soll sie ins Feuer schüren.
Wie er sich aber umschaut nach einem Korb, macht es klapp! - und der Sarg hat sich wieder zusammengesetzt, er ist heil und ganz.
Da geht Krabat zum zweitenmal mit dem Beil auf ihn los und macht Kleinholz daraus. Doch kaum ist er damit fertig, da macht es klapp! - und der Sarg ist ganz.
Krabat versucht es ein drittesmal, voller Wut nun. Er hackt und hackt, daß die Späne fliegen, bis alles zu einem Haufen winziger Splitter zerdroschen ist - aber was nützt es ihm? Klapp! steht der Sarg wieder da, ohne Riß und Schramme: er wartet auf den, der ihm sicher ist.
Vom Grauen gepackt, rennt Krabat hinaus in den Koselbruch. Schnee fällt in dichtem Gestöber und nimmt ihm die Sicht. Krabat weiß nicht, wohin er rennt. Er hat Angst, daß der Sarg ihn verfolgen könnte. Nach einiger Zeit bleibt er stehen und horcht zurück.
Kein Klappern auf hölzernen Füßen - kein hohles Gepolter, wie er's befürchtet hat ... Dafür wenige Schritte vor ihm: ein Knirschen und Scharren, als grabe da jemand im Sand, und der Sand scheint gefroren zu sein.
Krabat folgt dem Geräusch, er gelangt auf den Wüsten Plan. Im Schneetreiben nimmt er eine Gestalt wahr, die eine Grube aushebt, mit Hacke und Schaufel, am oberen Ende der Hügelreihe, nahe dem Waldrand - dort, wo im Sommer die überzählige Kuckucksblume zu Boden gefallen ist. Krabat glaubt die Gestalt zu kennen. Er weiß, daß er einen der Müllerburschen vor sich hat - welchen, vermag er im Schneegestöber nicht auszumachen.
»He!« will er rufen. »Wer bist du?«
Die Stimme versagt ihm, er bringt keinen Ton hervor. Und es ist ihm nicht möglich, einen Schritt weiterzugehen. Er steht an dem Platz, wo er steht. Die Füße sind festgefroren am Boden, er kriegt sie nicht frei.
»Verflucht!« denkt er. »Bin ich lahm geworden? - Ich muß die paar Schritte gehen... ich muß ... ich muß ...«
Der Schweiß bricht ihm aus, er nimmt seine letzte Kraft zusammen. Die Füße gehorchen ihm nicht. Er kann tun, was er wilclass="underline" er kommt nicht vom Boden weg. Und es schneit, und es schneit - und es schneit ihn allmählich ein ...
Krabat erwachte in Schweiß gebadet. Er warf die Decke weg, riß sich das dampfende Hemd vom Leibe. Dann trat er ans Bodenfenster und blickte hinaus.
Der Weihnachtsmorgen war angebrochen, es hatte geschneit in der heiligen Nacht - und er sah eine frische Fußspur, die führte zum Koselbruch.
Als er zum Brunnen ging, um sich zu waschen, kam Michal des Weges: mit Hacke und Schaufel. Gebückt ging er, schleppenden Schrittes, fahl im Gesicht. Als Krabat ihn ansprechen wollte, winkte er ab. Sie verstanden sich, ohne daß zwischen ihnen ein Wort fiel.
Seither war Michal wie umgewandelt. Er schloß sich von Krabat und allen anderen ab, selbst von Merten. Wie eine Wand stand es zwischen ihnen und ihm, als sei er schon weit entrückt.
So kam der Silvesterabend heran. Der Meister war seit dem Morgen verschwunden, er zeigte sich nicht. Die Nacht brach herein, die Mühlknappen gingen zu Bett.
Krabat, obgleich er beschlossen hatte, sich wach zu halten, schlief ein wie die anderen auch. Um Mitternacht wurde er wach und begann zu lauschen.
Ein dumpfes Gepolter im Haus - und ein Schrei - und dann Stille.
Merten, der Bär mit den breiten Schultern, begann wie ein Kind zu schluchzen.
Krabat zog sich die Decke über die Ohren, verkrallte die Finger im Strohsack und wünschte sich, tot zu sein.
Am Neujahrsmorgen fanden sie Michal. Er lag in der Mehlkammer auf dem Boden, der Wiegebalken war von der Decke gefallen, er hatte ihm das Genick zerschlagen. Sie legten ihn auf ein Brett und trugen ihn in die Gesindestube, dort nahmen sie Abschied von ihm.
Juro versorgte ihn, zog ihm die Kleider aus, wusch ihn und bettete ihn in den Fichtensarg, ein Strohbündel unterm Nacken. Am Nachmittag trugen sie ihn hinaus auf den Wüsten Plan. Sie senkten ihn in die Grube am oberen Ende der Hügelreihe, nahe dem Waldrand.
Hastig begruben sie ihn, keinen Augenblick länger als nötig verweilten die Burschen an seinem Grab.
Merten allein blieb zurück.
Das dritte Jahr
Der Mohrenkönig
Der Meister blieb während der nächsten Tage verschwunden, in dieser Zeit stand die Mühle still. Die Mühlknappen lungerten auf den Pritschen herum, sie hockten am warmen Ofen. Hatte es einen Gesellen, der Michal hieß, auf der Mühle im Koselbruch je gegeben? Selbst Merten sprach nicht von ihm, von früh bis spät saß er da und schwieg. Ein einziges Mal nur, am Abend des Neujahrstages, als Juro die Kleider des Toten gebracht und am Fußende der verwaisten Pritsche niedergelegt hatte, war er aus der Starre erwacht. Er war in die Scheune gelaufen und hatte sich bis zum anderen Morgen im Heu verkrochen. Seither verhielt er sich völlig teilnahmslos, sah nichts und hörte nichts, sagte und tat nichts - er saß bloß da.
Krabats Gedanken kreisten in diesen Tagen stets um die gleiche quälende Frage. Tonda und Michal, das schien auf der Hand zu liegen, hatten nicht zufällig sterben müssen, beide in der Silvesternacht. Welches Spiel wurde da gespielt - und von wem und nach welchen Regeln?
Der Müller blieb außer Haus bis zum Vorabend des Dreikönigstages. Witko wollte gerade das Licht ausblasen, da öffnete sich die Bodentür. Der Meister erschien auf der Schwelle, bleich im Gesicht, wie mit Kalk bestrichen. Er warf einen Blick in die Runde. Daß Michal fehlte, schien er zu übersehen. »Geht an die Arbeit!« befahl er, dann machte er kehrt und verschwand für den Rest der Nacht.
Hastig zogen die Burschen sich an, sie drängten zur Treppe. Petar und Staschko rannten zum Mühlenweiher die Schleuse öffnen. Die anderen stolperten in die Mahlstube, schütteten Korn auf und ließen die Mühle anlaufen. Stampfend und dröhnend kam sie in Fahrt, den Gesellen wurde es leicht ums Herz.
»Sie mahlt wieder!« dachte Krabat. »Die Zeit geht weiter...«
Um Mitternacht waren sie mit der Arbeit fertig. Als sie den Schlafraum betraten, sahen sie, daß auf der Pritsche, die Michal gehört hatte, jemand lag: ein Junge von vierzehn Jahren etwa, recht klein für sein Alter, das fiel ihnen auf - und er hatte ein schwarzes Gesicht, der Knirps, aber rote Ohren. Die Burschen umringten ihn voller Neugier, und Krabat, der die Laterne trug, richtete ihren Strahl auf ihn. Da erwachte der Kleine, und als er die elf Gespenster an seinem Lager stehen sah, kriegte er's mit der Angst. Krabat glaubte den Jungen zu kennen - woher nur?
»Vor uns brauchst du nicht zu zittern«, sprach er ihn an. »Wir sind hier die Müllerburschen. - Wie heißt du denn?«
»Lobosch. - Und du?«
»Ich bin Krabat. Und dies hier...«
Der Knirps mit dem schwarzen Gesicht unterbrach ihn.
»Krabat? - Ich kannte mal einen, der Krabat hieß«
»Aber?«
»Der müßte jünger sein.«
Jetzt ging Krabat ein Licht auf.
»Dann bist du der kleine Lobosch aus Maukendorf!« rief er. »Und schwarz bist du, weil du den Mohrenkönig gemacht hast.«
»Ja«, sagte Lobosch, »heuer zum letztenmal. Denn nun bin ich hier Lehrjunge auf der Mühle.«
Das sagte er voller Stolz, und die Mühlknappen dachten sich ihr's dabei.