Am anderen Morgen, als Lobosch zum Frühstück kam, trug er Michals Kleider. Er hatte versucht, sich den Ofenruß wegzuschrubben - es war ihm nicht ganz geglückt: in den Augenwinkeln und um die Nase war ihm ein Rest von Mohrenfarbe geblieben.
»Was tut's!« meinte Andrusch. »Nach einem halben Tag in der Mehlkammer gibt sich das.«
Der Kleine war hungrig, er machte sich über die Grütze her wie ein Scheunendrescher. Krabat, Andrusch und Staschko aßen mit ihm aus der gleichen Schüssel. Es wunderte sie, wieviel er vertrug.
»Wenn du so arbeitest, wie du ißt«, meinte Staschko, »dann können wir andern uns auf die faule Haut legen!«
Lobosch blickte ihn fragend an.
»Soll ich weniger essen?«
»Iß du nur!« sagte Krabat. »Du wirst deine Kräfte noch brauchen können! Wer bei uns Hunger leidet, ist selber schuld daran.«
Lobosch, statt weiterzulöffeln, legte den Kopf schief und musterte Krabat aus schmalen Augen.
»Du könntest sein großer Bruder sein.«
»Wessen Bruder?«
»Na, von dem anderen Krabat! Du weißt ja, ich kannte einen.«
»Der damals im Stimmbruch gewesen ist, wie? Und der euch dann in Groß-Partwitz sitzengelassen hat.«
»Woher weißt du das?« fragte Lobosch verblüfft - dann griff er sich an die Stirn. »Da siehst du mal«, rief er, »wie man sich täuschen kann! Damals dachte ich: anderthalb Jahre vielleicht, höchstens zwei bist du älter als ich ...«
»Es sind fünf«, sagte Krabat.
In diesem Augenblick öffnete sich die Tür. Der Meister trat ein, die Mühlknappen duckten sich.
»Heda!« Er ging auf den neuen Lehrjungen zu. »Du redest ein bißchen viel für den Anfang, gewöhn dir das ab!« Dann wandte er sich an Krabat, Staschko und Andrusch. »Er soll seine Grütze essen, aber nicht schwatzen. Sorgt dafür, daß er's lernt!«
Der Meister verließ die Gesindestube, er schlug hinter sich die Tür zu.
Lobosch schien plötzlich satt zu sein. Er legte den Löffel weg, zog die Schultern hoch, senkte für eine Weile den Kopf.
Als er aufblickte, nickte Krabat ihm über den Tisch weg zu, kaum merklich zwar - doch der Junge, so schien es, hatte den Wink verstanden: er wußte nun, daß er einen Freund hatte auf der Mühle im Koselbruch.
Auch Lobosch kam um den Vormittag in der Mehlkammer nicht herum. Nach dem Frühstück hieß ihn der Meister mitkommen.
»Soll er es besser haben als wir?« meinte Lyschko. »Das bissei Mehlstaub wird ihn nicht umbringen.«
Krabat erwiderte nichts darauf. Er dachte an Tonda, er dachte an Michal. Wollte er Lobosch helfen, dann durfte er Lyschko nicht mißtrauisch machen, auch nicht mit Kleinigkeiten.
Vorerst konnte er nichts für Lobosch tun. Der Knirps mußte zusehen, wie er den Vormittag hinter sich brachte: besenschwingend im Mehlgestöber, die Wimpern verkleistert, die Nase zugepappt. Da half alles nichts, damit mußte er fertig werden, das ließ sich nicht ändern.
Krabat konnte es kaum erwarten, bis Juro die Burschen zu Tisch rief. Während die anderen in die Stube drängten, lief er zur Mehlkammer, löste den Riegel und riß die Tür auf. »Rauskommen - Mittag!«
Lobosch hockte in einer Ecke, mit angewinkelten Knien, den Kopf in die Hände gestützt. Als Krabat ihn anrief, schreckte er hoch; dann kam er, den Besen hinter sich herschleifend, langsam zur Tür. Er deutete mit dem Daumen über die Schulter zurück.
»Ich hab's nicht geschafft«, gab er kleinlaut zu. »Da hab ich nach einer Weile aufgehört und mich hingesetzt. Ob der Meister mich aus dem Dienst jagt - was meinst du?«
»Er wird keinen Grund haben«, sagte Krabat.
Er sprach eine Zauberformel, er zeichnete mit der linken Hand einen Drudenfuß in die Luft. Da erhob sich der Staub in der Kammer, als bliese aus allen Fugen und Ritzen der Wind hervor. Eine Rauchfahne, weiß, stob zur Tür hinaus - über Loboschs Kopf weg, dem Wald zu.
Die Kammer war leergefegt, bis auf das letzte Stäubchen. Dem Jungen weiteten sich die Augen. »Wie macht man das?«
Krabat blieb ihm die Antwort schuldig.
»Versprich mir«, sagte er, »daß du es keiner Menschenseele erzählen wirst. - Und nun laß uns ins Haus gehen, Lobosch, sonst wird uns die Suppe kalt.«
Am Abend, nachdem sich der neue Lehrjunge schlafen gelegt hatte, ließ der Müller die Burschen und Witko zu sich rufen, in die Meisterstube - und so, wie sie am Dreikönigsabend des vorigen Jahres mit Krabat verfahren waren, verfuhren sie nun mit Witko nach Mühlenordnung und Zunftgebrauch. Hanzo und Petar standen dem Meister in Witkos Namen Rede und Antwort, dann wurde der Rotschopf freigesprochen. Der Meister berührte ihn mit der Schneide des Handbeils am Scheitel und an den Schultern. »Von Zunft wegen, Witko ...«
Andrusch hatte im Flur einen leeren Mehlsack bereitgelegt, den stülpten sie Witko über, sobald sie vom Meister entlassen waren, und schleppten den frischgebackenen Mühlknappen in die Mahlstube, um ihn freizumüllern.
»Macht's gnädig mit ihm!« mahnte Hanzo. »Vergeßt nicht, wie dürr er ist!«
»Dürr oder nicht«, widersprach ihm Andrusch, »ein Müllerbursch ist keine Schneiderseele: er muß was vertragen können! Zugepackt, Brüder, bringen wir's hinter uns!«
Sie walkten und kneteten Witko durch, wie es Brauch und Übung war, doch gebot ihnen Andrusch weit früher Einhalt, als er's bei Krabat getan hatte.
Petar zog Witko den Sack herunter, Staschko streute ihm Mehl auf den Kopf: er war durchgemahlen. Dann packten sie ihn und warfen ihn dreimal hoch.
Hinterher mußte er ihnen Bescheid trinken.
»Deine Gesundheit, Bruder - zum Wohlsein!«
»Zum Wohlsein, Bruder!«
Der Wein war an diesem Dreikönigsabend nicht schlechter als sonst. Trotzdem vermochten die Burschen heute nicht froh zu werden, daran war Merten schuld. Schweigend hatte er tagsüber seine Arbeit verrichtet, schweigend die Mahlzeiten eingenommen, schweigend danebengestanden, als Witko gewalkt worden war; nun saß er auf einer Mehlkiste, unbeteiligt und starr, wie zu Stein geworden - und nichts gab es, nichts, was ihn hätte bewegen können, sein Schweigen zu brechen.
»He!« sagte Lyschko. »Du tust ja, als hätte dir jemand das Kraut verschüttet!« Lachend hielt er ihm einen gefüllten Becher hin. »Sauf dich voll, Merten - bloß verschon uns mit deiner Karfreitagsmiene!«
Merten erhob sich. Ohne ein Wort zu verlieren, trat er auf Lyschko zu und schlug ihm den Wein aus der Hand. Dann standen die beiden sich gegenüber, Auge in Auge. Lyschko begann zu schwitzen, die Burschen hielten den Atem an.
Es war still in der Mahlstube, still wie im Grab.
Da hörten sie draußen, vom Gang her, ein leises Tappen, das zögernd näher kam. Alle, auch Merten und Lyschko, blickten zur Tür - und Krabat, der ihr am nächsten war, öffnete.
Auf der Schwelle stand Lobosch, barfuß, im Hemd, eine Decke übergeworfen.
»Du bist es, Mohrenkönig?«
»Ja - ich«, sagte Lobosch. »Ich fürchte mich, so allein auf dem Dachboden. Wollt ihr nicht schlafen kommen?«
Wie man auf Flügeln fliegt
Dieser Lobosch! Vom ersten Tag an hatten ihn alle gern. Selbst Merten war freundlich zu ihm, wenngleich er ihm seine Freundlichkeit ohne Worte erwies: durch ein Kopfnicken allenfalls, einen Blick, eine Handbewegung.
Den anderen gegenüber schloß Merten sich weiter ab. Er tat seine Arbeit, er fügte sich in den Ablauf des Tages ein, er bockte nicht, widersetzte sich keiner Anweisung, sei es vom Meister, sei es vom Altgesellen: aber er sprach nicht. Mit niemandem und zu keiner Zeit. Selbst an den Freitagabenden, wenn der Meister sie aus dem Koraktor abfragte, wahrte Merten das Schweigen, das er sich seit dem Neujahrstag auferlegt hatte. Der Meister nahm es gelassen hin. »Ihr wißt ja«, erklärte er den Gesellen, »daß es euch freisteht, ob und wie weit ihr euch um die Geheimen Wissenschaften bemühen wollt - mir ist das einerlei!«