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»Halt!« ruft er. »Stehenbleiben - da ist ein Moorloch!«

Die beiden Gestalten im Nebel verschmelzen zu einer einzigen, das ist seltsam. Die eine Gestalt nun, zu der sich die beiden vereinigt haben, wirft ihm ein Seil zu, an dessen vorderem Ende ein Querholz befestigt ist. Krabat greift danach, klammert sich an dem Querholz fest - dann spürt er, wie die Gestalt ihn am Seil aus dem Moor herauszieht auf festen Grund.

Das geht schneller, als Krabat gedacht hat. Nun steht er vor seinem Retter und will ihm danken.

»Laß gut sein«, sagt Juro - und jetzt erst merkt Krabat, daß er es ist, der ihm herausgeholfen hat. »Wenn du wieder mal nach Schwarzkollm willst, solltest du lieber fliegen.«

»Fliegen?« fragt Krabat. »Wie meinst du das?«

»Nun - wie man eben auf Flügeln fliegt.«

Das ist alles, was Juro antwortet, dann verschluckt ihn der Nebel.

»Fliegen ...« denkt Krabat. »Auf Flügeln fliegen...« Es wundert ihn, daß er nicht selber auf den Gedanken gekommen ist.

Er verwandelt sich augenblicklich in einen Raben, wie er das jeden Freitag tut, breitet die Fittiche und erhebt sich vom Boden. Mit ein paar Flügelschlägen schwingt er sich über den Nebel empor und hält auf Schwarzkollm zu.

Im Dorf scheint die Sonne. Zu seinen Füßen sieht er die Kantorka, wie sie am unteren Brunnen steht, eine Strohschüssel in der Hand, und die Hühner füttert - da streift ihn ein Schatten, der Schrei eines Habichts gellt ihm ins Ohr. Dann hört er ein Sausen, ein Pfeifen, im letzten Augenblick dreht er im scharfen Winkel nach rechts ab.

Um Haaresbreite verfehlt ihn der Habicht, er stößt ins Leere.

Krabat weiß, daß es um sein Leben geht. Pfeilschnell, die Flügel angelegt, stürzt er sich in die Tiefe. Neben der Kantorka landet er, mitten im auseinanderstiebenden Hühnervolk. Auf dem Erdboden nimmt er Menschengestalt an, nun ist er in Sicherheit.

Blinzelnd schaut er zum Himmel empor. Der Habicht ist weg, ist verschwunden, vielleicht hat er abgedreht.

Da steht plötzlich der Meister am Brunnen, zornig streckt er die Linke nach Krabat aus.

»Mitkommen!« herrscht er ihn an.

»Warum?« fragt die Kantorka.

»Weil er mir gehört!«

»Nein«, sagt sie, nur dieses eine Wort - und das sagt sie auf eine Weise, bei der es kein Wenn und Aber gibt.

Sie legt Krabat den Arm um die Schulter, dann hüllt sie ihn in ihr wollenes Umtuch ein. Weich und warm ist es, wie ein Schutzmantel. »Komm«, sagt sie. »Komm jetzt.«

Und ohne sich umzublicken, gehen sie miteinander weg.

Fluchtversuche

Am anderen Morgen stellte es sich heraus, daß Merten verschwunden war. Sein Schlafplatz war aufgeräumt, die Decke lag sauber zusammengefaltet am Fußende, Arbeitskittel und Schürze hingen im Spind, unterm Schemel standen die Holzschuhe. Niemand hatte gesehen, wie Merten gegangen war. Sie bemerkten sein Fehlen erst, als er nicht zu Tisch kam. Da wurden sie stutzig und suchten ihn in der ganzen Mühle, aber sie konnten ihn nirgends finden.

»Er hat sich davongemacht«, sagte Lyschko, »wir müssen's dem Meister melden!«

Hanzo vertrat ihm den Weg.

»Das ist Sache des Altgesellen - falls dir das neu sein sollte.«

Alle erwarteten, daß der Müller die Nachricht von Mertens Verschwinden mit einem Zornesausbruch quittieren würde, mit Flüchen, Geschrei und Verwünschungen. Nichts dergleichen geschah.

Er habe vielmehr, so berichtete Hanzo den Burschen beim Mittagessen, die Sache nicht weiter ernst genommen.

»Der Merten spinnt eben« - das sei alles gewesen, was er dazu gesagt habe; und die Frage des Altgesellen, was nun zu tun sei, habe er mit den Worten beantwortet: »Laß mal - der kommt von alleine wieder!« Und dies, so berichtete Hanzo weiter, habe der Meister mit einem Augenzwinkern gesagt, das sei schlimmer gewesen als tausend Flüche.

»Da ist es mir inwendig kalt geworden, daß ich gemeint hab, ich muß auf der Stelle zu Eis erstarren. Wenn das bloß gut geht mit Merten!«

»Ach was!« meinte Lyschko. »Wer aus der Mühle wegläuft, muß wissen, was er sich einbrockt. Außerdem kann er schon was vertragen, der Merten mit seinem breiten Buckel.«

»Findest du?« fragte Juro.

»Und ob!« sagte Lyschko.

Er schlug zur Bekräftigung mit der Faust auf den Tisch: da schwappte es ihm aus der Suppenschüssel entgegen - platsch! ins Gesicht, daß er aufjaulte, denn die Suppe war seimig und kochend heiß.

»Wer war das?« rief Lyschko, sich Augen und Wangen abwischend. »Wer von euch?«

Einer der Burschen mußte es wohl gewesen sein, der es Lyschko auf diese Weise besorgt hatte, das war klar. Bloß Juro in seiner Einfalt schien an nichts Böses zu denken, ihm tat es leid um die gute Suppe.

»Ein nächstesmal«, meinte er, »solltest du nicht auf den Tisch hauen, Lyschko - wenigstens nicht so stark!«

Mit Merten kam es, wie Krabat befürchtet hatte: am Abend, bei Einbruch der Dunkelheit war er wieder da. Stumm stand er auf der Schwelle, den Kopf gesenkt.

Der Meister empfing ihn in Gegenwart der Gesellen. Er schalt ihn nicht, er verspottete ihn. Wie ihm der kleine Ausflug bekommen sei? Ob es ihm auf den Dörfern denn nicht gefallen habe, weil er so früh schon zurückkehre - oder was sonst ihn zur Umkehr bewogen habe?

»Magst du es mir nicht sagen, Merten? Ich merke seit Wochen, daß du das Maul nicht auftust. Aber ich zwinge dich nicht zu sprechen - es ist mir auch einerlei, ob du wieder wegläufst. Versuch es doch ruhig! Versuch es, sooft du magst! Nur solltest du dir nichts vormachen, Merten. Was keiner bisher geschafft hat, das schaffst du auch nicht.«

Merten zuckte mit keiner Miene.

»Verstell dich nur«, sagte der Meister. »Tu nur, als ob es dich kalt ließe, daß dir die Flucht mißglückt ist! Wir alle, ich und die elf da«, er deutete auf die Müllerburschen und Lobosch, »wir wissen es besser. Verschwinde jetzt!«

Merten verkroch sich auf seine Pritsche.

Den Burschen mit Ausnahme Lyschkos war elend zumute an diesem Abend.

»Wir sollten ihm auszureden versuchen, daß er ein zweitesmal wegläuft«, schlug Hanzo vor.

»Dann versuch es doch!« meinte Staschko. »Ich kann mir nicht denken, daß es viel nützen wird.«

»Nein«, sagte Krabat. »Er läßt sich da nicht hineinreden, fürchte ich.«

In der Nacht schlug das Wetter um. Als sie am Morgen vors Haus traten, war es windstill und bitterkalt draußen. Eis auf den Fensterscheiben, Eis an den Rändern des Brunnentroges. Die Pfützen ringsum waren zugefroren, die Maulwurfshügel zu festen Klumpen geworden, der Boden war knochenhart.

»Schlecht für die Saat«, meinte Petar. »Kein Schnee - und der Frost jetzt: da wird eine Menge auswintern auf den Feldern.«

Krabat war froh, als Merten sich mit den andern zum Frühstück einfand und gierig über die Grütze herfieclass="underline" er hatte wohl einiges nachzuholen von gestern. Dann gingen sie an die Arbeit, und keinem fiel auf, daß Merten sich abermals aus der Mühle davonstahl, diesmal bei hellem Tageslicht.

Erst mittags, als sie zu Tisch kamen, merkten sie, daß er wieder verschwunden war.

Zwei Tage und Nächte blieb Merten weg, das war länger, als je ein Ausreißer es geschafft hatte, und sie hofften ihn schon über alle Berge - da kam er am Morgen des dritten Tages über die Wiesen herangewankt, auf die Mühle zu: blaugefroren und müde, mit einem Gesicht, das zum Fürchten war.

Krabat und Staschko nahmen ihn an der Tür in Empfang, sie führten ihn in die Stube. Petar zog ihm den einen Schuh aus, Kito den anderen. Hanzo ließ sich von Juro in einer Schüssel eiskaltes Wasser bringen, dann steckte er Mertens erstarrte Füße hinein und begann sie zu reiben.

»Wir müssen ihn schleunigst zu Bett bringen«, sagte er. »Hoffentlich hat er sich nicht den Hund geholt!«