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Während die Burschen um Merten bemüht waren, ging die Tür auf. Der Meister betrat die Stube, er sah ihnen eine Zeitlang zu. Diesmal sparte er sich den Spott. Er wartete, bis sie Merten hinaufbringen wollten, da sagte er:

»Auf ein Wort noch, bevor ihr ihn wegschafft...«, und näher an Merten herantretend, meinte er: »Zweimal, finde ich, sollte genug sein, Merten. Es gibt keinen Weg für dich, der hier wegführt - mir kommst du nicht aus!«

Merten wählte noch diesen Morgen den dritten und, wie er meinte, den endgültig letzten Weg.

Davon ahnten die Burschen nichts. Sie hatten ihn in den Schlafraum gebracht, ihm was Heißes zu trinken eingeflößt, ihn zu Bett gelegt und in Decken gepackt. Hanzo war oben geblieben und hatte so lang auf der Nachbarpritsche gesessen und ihn beobachtet, bis er davon überzeugt war, Merten sei eingeschlafen und brauche ihn nicht mehr: da war er dann auch hinuntergegangen, um mit den anderen in der Mühle zu arbeiten.

Krabat und Staschko waren seit einigen Tagen damit beschäftigt, die Mühlsteine nachzuschärfen. Vier Mahlgänge hatten sie überholt, der fünfte war heute dran. Sie wollten gerade die Zargen lösen, um an die Steine heranzukommen - da wurde die Tür zur Mahlstube aufgerissen, und Lobosch stürzte herein: schneeweiß im Gesicht, die Augen von Angst geweitet.

Er fuchtelte mit den Armen, er schrie - und er schien, wie es aussah, immer das gleiche zu schreien. Die Mühlknappen konnten ihn erst verstehen, als Hanzo das Mahlwerk anhielt: da wurde es still in der Mühle, nur Lobosch war jetzt zu hören.

»Er hat sich erhängt!« rief er. »Merten hat sich erhängt! In der Scheune! Kommt schnell, kommt schnell!«

Er führte sie an den Ort, wo er Merten gefunden hatte: von einem Balken im hintersten Winkel der Scheune hing er herab, einen Kälberstrick um den Hals.

»Wir müssen ihn abschneiden!« Staschko merkte als erster, daß Merten noch lebte. »Wir müssen ihn abschneiden!«

Andrusch, Hanzo, Petar und Krabat: wer von den Burschen ein Messer hatte, klappte es auf. Doch keinem gelang es, an Merten heranzukommen. Er war wie von einem Bannkreis umgeben. Drei Schritte waren das äußerste, was sie schafften: dann kamen sie keinen Zollbreit weiter, als klebten sie mit den Sohlen an Fliegenleim.

Krabat faßte die Spitze des Messers mit Daumen und Zeigefinger, er zielte, er warf es - und traf den Strick.

Er traf ihn, aber das Messer fiel kraftlos zu Boden.

Da lachte jemand.

Der Meister war in die Scheune gekommen. Er blickte die Burschen an, als wären sie nichts als ein Haufen Dreck. Er bückte sich nach dem Messer.

Ein Schnitt - und ein dumpfer Aufschlag.

Schlaff wie ein Sack voll Lumpen fiel der Erhängte zu Boden. Da lag er nun, lag dem Meister zu Füßen und röchelte.

»Stümper!«

Der Meister sagte es voller Abscheu, dann ließ er das Messer fallen, und spuckte vor Merten aus.

Sie fühlten sich alle angespuckt, alle - und das, was der Meister sagte, sie spürten es, galt ihnen insgesamt, ohne Ausnahme.

»Wer auf der Mühle stirbt, das bestimme ich!« rief er. »Ich allein!«

Dann ging er hinaus, und nun war es an ihnen, sich Mertens anzunehmen. Hanzo löste die Schlinge von seinem Hals, Petar und Staschko trugen ihn in die Schlafkammer.

Krabat hob Tondas Messer vom Boden auf, und bevor er es in die Tasche schob, rieb er die Schalen des Griffes mit einem Strohwisch ab.

Schnee auf die Saaten

Merten war krank, er blieb es für lange Zeit. Anfangs hatte er hohes Fieber, sein Hals war verschwollen, er litt unter Atemnot. Während der ersten Tage brachte er keinen Bissen hinunter; später gelang es ihm dann und wann, einen Löffel Suppe zu schlucken.

Hanzo hatte die Burschen so eingeteilt, daß tagsüber ständig jemand in Mertens Nähe war und ihn nicht aus den Augen ließ. Auch Nachtwache hielten sie eine Zeitlang bei ihm, weil sie fürchteten, daß er im Fieber versuchen könnte, sich abermals etwas anzutun. Bei klarem Verstande, da waren sich alle einig, würde selbst Merten nicht mehr zum Strick greifen oder sich sonstwie ums Leben zu bringen trachten: der Müller hatte ja keinen Zweifel daran gelassen, daß dies kein Weg war, um aus dem Koselbruch wegzukommen.

»Wer auf der Mühle stirbt, das bestimme ich!«

Die Worte des Meisters hatten sich Krabat tief eingeprägt. Kamen sie nicht der Antwort auf jene Frage gleich, die er sich nach der letzten Silvesternacht immer wieder gestellt hatte: wen die Schuld traf an Tondas und Michals Tod?

Noch war es, bei Licht besehen, nicht mehr als ein erster Anhalt, der sich ihm da geboten hatte: nicht mehr - aber auch nicht weniger.

Jedenfalls würde er eines Tages, wenn alles geklärt war, den Meister zur Rechenschaft ziehen müssen, das schien ihm so gut wie sicher. Bis dahin durfte er sich nichts anmerken lassen. Er mußte den Harmlosen spielen, den Braven, Gehorsamen, der von nichts eine Ahnung hatte - und mußte doch jetzt schon darauf bedacht sein, sich auf die Stunde der Abrechnung vorzubereiten, indem er sich den Geheimen Wissenschaften mit doppeltem Eifer widmete.

Kein Schnee fiel in diesen Februartagen, aber der Frost hielt mit unverminderter Strenge an. Nun mußten die Mühlknappen wieder allmorgendlich ins Gerinne steigen, das Grundeis vom Boden loszuhacken. Bei jeder Gelegenheit schimpften sie auf die Lausekälte, die dem zur Unzeit eingetretenen Osterwetter gefolgt war.

An einem der nächsten Tage geschah es, daß um die Mittagszeit sich drei Männer vom Wald her der Mühle näherten. Einer von ihnen war kräftig und hochgewachsen, ein Mensch in den besten Jahren, wie man so sagt; die zwei anderen waren Greise, weißbärtig und verhutzelt.

Lobosch war es, der sie als erster bemerkte. Er hatte die Augen ja überall, nichts entging ihm so leicht. »Wir kriegen Besuch!« rief er den Gesellen zu, die gerade zu Tisch gehen wollten.

Nun sahen auch sie den Mann mit den beiden Alten. Sie kamen den Weg von Schwarzkollm herüber, bäurisch gekleidet, in Hirtenmäntel gehüllt, die Wintermützen tief in die Stirn gezogen.

Seit Krabat im Koselbruch lebte, hatte kein Bauer aus den benachbarten Dörfern sich jemals zu ihnen heraus verirrt. Sie aber, diese drei da, hielten geradenwegs auf die Mühle zu und begehrten Einlaß.

Hanzo öffnete ihnen die Haustür, die Burschen drängten sich voller Neugier im Flur.

»Was wollt ihr?«

»Den Müller sprechen.«

»Der Müller bin ich.«

Von den Mühlknappen unbemerkt, war der Meister aus seiner Stube hervorgetreten, er schritt auf die Männer zu. »Was gibt es?«

Der Hochgewachsene nahm die Mütze vom Kopf.

»Wir sind aus Schwarzkollm«, begann er. »Ich bin der Scholta dort - und dies hier sind unsere Ältesten. Wir entbieten dir unsern Gruß - und wir möchten dich bitten, Müller im Koselbruch, daß du uns anhörst. Es ist nämlich, weil da ... Aber ich denke, daß es dich kaum überraschen wird, wenn...«

Der Meister schnitt ihm mit herrischer Geste das Wort ab.

»Zur Sache! Was führt euch heraus zu mir - ohne Umschweif!«

»Wir möchten dich bitten«, sagte der Scholta, »daß du uns hilfst.«

»Wie das?«

»Der Frost - und kein Schnee auf den Feldern ...« Der Scholta drehte an seiner Mütze herum. »Die Wintersaat wird verderben, wenn es nicht schneit in den nächsten Tagen ...«

»Was geht mich das an?«

»Wir wollten dich bitten, Müller, daß du es schneien läßt.«

»Schneien? Wie kommt ihr darauf?«

»Wir wissen, daß du das machen kannst«, sagte der Scholta, »­machen, daß Schnee fällt.«

»Wir wollen es nicht umsonst«, beteuerte einer der beiden Alten. »Wir zahlen dir zwei Schock Eier dafür - und fünf Gänse und sieben Hühner.«

»Aber«, sagte der andere, »du mußt machen, daß Schnee fällt. Sonst ist es um unsere Ernte geschehen im nächsten Jahr, und dann müssen wir Hunger leiden...«