»Wir - und die Kinder«, fügte der Scholta hinzu. »Erbarme dich, Müller am Schwarzen Wasser, und mach, daß ein Schnee kommt!«
Der Meister strich sich das Kinn mit dem Daumennagel.
»Ich habe euch viele Jahre nicht zu Gesicht bekommen. Jetzt aber, wo ihr mich braucht, seid ihr plötzlich da.«
»Du bist unsre letzte Hoffnung«, sagte der Scholta. »Wenn du uns keinen Schnee schickst, sind wir verloren. Das kannst du nicht machen, Müller, daß du uns deine Hilfe verweigerst! Wir bitten dich kniefällig wie den lieben Herrgott!«
Die drei knieten vor dem Meister nieder, sie senkten die Köpfe und schlugen sich an die Brust.
»Erhöre uns!« baten sie ihn. »Erhöre uns!«
»Nichts da!« Der Meister blieb unerbittlich. »Schert euch nach Hause, was kümmert mich eure Wintersaat! Ich hier - und die da«, er wies auf die Burschen, »wir werden nicht Hunger zu leiden brauchen, wir nicht! Dafür sorge ich schon, und das notfalls auch ohne Schnee. Ihr aber, Bauernpack, bleibt mir vom Halse mit euren Eiern und euerm Federvieh! Meinetwegen krepiert, das ist eure Sache! Ich denke nicht dran, einen Finger für euch zu rühren, für euch und für eure Brut! Das könnt ihr im Ernst nicht erwarten!«
»Und ihr da?« Der Scholta wandte sich an die Müllerburschen. »Wollt ihr uns auch nicht helfen, ihr Herren Mühlknappen? Tut es, um Gottes Barmherzigkeit willen, tut es für unsere armen Kinder, wir werden es euch zu danken wissen!«
»Der Kerl ist verrückt«, sagte Lyschko. »Ich werde die Hunde loslassen - hussa!«
Er pfiff auf zwei Fingern, gellend, daß es den Burschen durch Mark und Bein ging. Hundegebell erhob sich, vielstimmig, wütend, ein einziges Kläffen und Jaulen.
Der Scholta sprang auf, ließ die Mütze fallen. »Kommt!« rief er. »Sie zerfetzen uns! Laufen wir, laufen wir!«
Er und die beiden Alten rafften die Hirtenmäntel, sie rannten zur Mühle hinaus, überquerten die Wiesen, verschwanden im Walde, woher sie gekommen waren.
»Gut gemacht!« sagte der Meister. »Gut gemacht, Lyschko!« Er klopfte ihm auf die Schulter. »Die drei sind wir los - und ich wette, sie kommen so bald nicht wieder.«
Krabat war wütend, der Scholta und seine Begleiter taten ihm leid. Was hatten sie denn verbrochen, daß ihnen der Müller die Hilfe verweigert hatte? Es hätte ihn weiter nichts gekostet, als im Koraktor nachzuschlagen und ein paar Worte zu sprechen - die Worte, auf die es ankam in diesem Fall, und die Krabat nicht kannte.
Wie man es schneien läßt, hatte der Meister die Burschen noch nicht gelehrt.
Das war schade, sonst hätte sich Krabat nicht lang besonnen, er hätte den Bauern auf eigene Faust geholfen. Auch Petar hätte das wohl versucht und Hanzo und mancher andere.
Einzig Lyschko hatte sich über die Abfuhr gefreut, die der Müller den Bauern erteilt hatte. Er war stolz darauf, daß ihm das Kunststück geglückt war, sie glauben zu machen, daß sie von Hunden gehetzt würden.
Indessen blieb seine Schadenfreude nicht ungetrübt. In der folgenden Nacht schrak Lyschko mit lautem Wehgeschrei aus dem Schlaf hoch, und als ihn die Burschen fragten, was denn zum Donnerwetter in ihn gefahren sei, klagte er ihnen, vor Angst mit den Zähnen klappernd: ein Rudel von wütenden schwarzen Metzgerhunden habe ihn angefallen im Traum und zerfleischen wollen.
»Ach nein?« sagte Juro teilnahmsvoll. »Was für ein Glück, daß du nur geträumt hast!«
In dieser Nacht träumte Lyschko noch fünfmal den Traum von den Metzgerhunden, und fünfmal schreckte er heulend auf, daß die Burschen von seinem Geschrei erwachten. Da wurde es ihnen zuviel, und sie warfen ihn aus der Schlafkammer.
»Nimm deine Decke, Lyschko - und ab in die Scheune! Dort kannst du von Hunden träumen, soviel du magst, und dich heiser schreien vor Angst: wenn wir's nur nicht zu hören brauchen!«
Am nächsten Morgen, die Burschen mußten sich erst die Augen reiben, bevor sie es glaubten: am nächsten Morgen war alles weiß draußen. Schnee war gefallen während der Nacht, und es schneite noch immer weiter, in großen, flauschigen Flocken, bis in den halben Vormittag. Nun konnten die Bauern zufrieden sein, in Schwarzkollm und den übrigen Dörfern rings um den Koselbruch. Hatte der Meister sich anders besonnen und ihnen doch geholfen?
»Vielleicht hat Pumphutt die Hand im Spiel gehabt«, meinte Juro. »Die Bauern könnten ihn ja getroffen haben. Ich denke, der hätte nicht nein gesagt.«
»Pumphutt?« pflichteten ihm die Burschen bei. »Pumphutt gewiß nicht!«
Doch Pumphutt konnte es nicht gewesen sein. Um die Mittagszeit nämlich, und wieder war Lobosch es, der sie kommen sah: um die Mittagszeit kamen der Scholta und seine Ältesten aus Schwarzkollm auf dem Pferdeschlitten zur Mühle gefahren und brachten dem Meister, was sie ihm für die Hilfe schuldig zu sein glaubten: sieben Hühner, fünf Gänse und zwei Schock Eier.
»Wir danken dir, Müller im Koselbruch«, sagte der Scholta, sich tief vor dem Meister verneigend, »wir danken dir, weil du dich unserer Kinder erbarmt hast. Du weißt, daß wir keine reichen Leute sind. Nimm, was wir dir hier bringen, als Zeichen des Dankes - den Lohn mag der Himmel dazutun!«
Der Meister hatte ihm mit verdrossener Miene zugehört. Nun sagte er, und die Mühlknappen merkten, wie sehr er sich dazu zwingen mußte, ruhig zu bleiben:
»Wer euch geholfen hat, weiß ich nicht - ich bin es jedenfalls nicht gewesen, damit es da keinen Zweifel gibt. Packt euer Zeug auf den Schlitten und schert euch zum Henker!«
Damit ließ er die Bauern stehen und ging in die Schwarze Kammer. Die Mühlknappen hörten, wie er von innen den Riegel vorschob.
Der Scholta und seine Begleiter standen mit ihren Geschenken da, als hätte es ihnen das Korn verhagelt.
»Kommt!« sagte Juro und half ihnen aufladen. »Fahrt jetzt zurück nach Schwarzkollm - und wenn ihr zu Hause seid, trinkt einen scharfen Schnaps oder zwei und vergeßt das alles!«
Krabat blickte dem Schlitten mit den drei Männern nach, bis er im Wald verschwunden war. Eine Zeitlang blieb noch das Schellengeläut zu hören, der Peitschenknall und die Stimme des Scholta, der »Hüah-hüah!« schrie und die Pferde zur Eile antrieb.
Ich bin Krabat
Der Schnee schmolz, das Frühjahr kam, Krabat lernte wie ein Besessener. Die Mitgesellen hatte er längst überflügelt. Der Meister lobte ihn, zeigte sich höchst zufrieden mit seinen Fortschritten in der Schwarzen Kunst. Er schien nicht zu ahnen, daß Krabat nur lernte und lernte und weiterlernte, um für den Tag des Kampfes gerüstet zu sein, für die Stunde der Abrechnung.
Am Sonntag Lätare war es, daß Merten zum erstenmal wieder aufstand. Er setzte sich hinter dem Holzschuppen in die Sonne. Bleich war er, mager geworden, fast durchsichtig. Und er hatte, das zeigte sich nun,
einen schiefen Hals behalten. Immerhin sprach er jetzt wieder das Allernötigste: »Ja« und »nein« und »gib her« oder »laß das!«
Am Karfreitag nahmen sie Lobosch in die Schwarze Schule auf. Wie staunte der Kleine, als er vom Meister in einen Raben verwandelt wurde! Fröhlich schwirrte er durch die Kammer, er streifte mit seinen Flügelspitzen den Totenkopf und das Zauberbuch. Dreimal mußte der Meister »ksch!« machen - dann erst ließ sich der Knirps auf der Stange nieder: ein spannenlanger, drolliger schwarzer Vogel mit munteren Äuglein und aufgeplusterten Federn.
»Dies ist die Kunst, in Gedanken zu einem anderen Menschen zu sprechen, daß er die Worte hören kann und versteht, als kämen sie aus ihm selbst...«
Den Müllerburschen fiel es an diesem Abend nicht leicht, dem Meister zu folgen, weil Lobosch sie ständig ablenkte. Es war lustig, ihm zuzusehen: wie er die Augen verdrehte, den Hals verrenkte und mit den Flügeln schlug. Mochte der Müller doch aus dem Koraktor vorlesen, was er wollte!