Выбрать главу

Krabat ließ sich kein Wort entgehen.

Er hatte begriffen, wie wichtig die neue Lektion war - für ihn und die Kantorka. Silbe für Silbe prägte er sich die Formel ein. Vor dem Einschlafen dann, auf der Pritsche, sprach er sie so oft nach, bis er sicher war, daß er sie nie mehr vergessen würde.

Am Ostersamstag, bei Einbruch der Dunkelheit, schickte der Meister die Mühlknappen wieder aus, sich das Mal zu holen. Beim Abzählen blieben Krabat und Lobosch als letzte übrig, der Müller entließ sie mit seinem Schwarzen Segen.

Krabat hatte im Holzschuppen Decken bereitgelegt, zwei für jeden, weil es sich gegen Abend eingetrübt hatte und nach Regen roch. Da sie die Mühle als letzte verlassen hatten, drängte er Lobosch zur Eile. Er hielt es für möglich, daß schon zwei andere Burschen zu Bäumels Tod unterwegs sein könnten - eine Befürchtung, die grundlos gewesen war, wie sich herausstellte, als sie zum Holzkreuz kamen.

Am Waldrand klaubten sie Rindenstücke und Äste auf, sie entfachten ein kleines Feuer. Krabat erklärte dem Jungen, weshalb sie hier draußen säßen, an dieser Stelle, und daß sie nun miteinander die Osternacht wachend am Feuer verbringen müßten.

Lobosch hüllte sich fröstelnd in seine Decken, er meinte: bloß gut, daß er nicht allein hier zu sitzen brauchte, sonst könnte es sein, daß er sterben würde vor Angst, und dann müßte womöglich ein weiteres Holzkreuz an dieser Stätte errichtet werden, wenn auch ein kleineres ...

Später sprachen sie von der Schwarzen Schule und von den Regeln, nach denen der Unterricht in der Zauberkunst sich vollzog. Dann schwiegen sie eine Weile; und schließlich kam Krabat auf Tonda und Michal zu sprechen.

»Ich habe dir ja schon angekündigt, daß ich dir eines Tages von ihnen erzählen würde.«

Während er Lobosch von seinen Freunden berichtete, wurde ihm klar, daß er selber inzwischen an Tondas Stelle gerückt war - zumindest was diesen Jungen anging, der ihm da gegenübersaß, auf der anderen Seite des Feuers.

Ursprünglich hatte er vorgehabt, Lobosch von Michals und Tondas Ende nichts zu erzählen, nichts Näheres jedenfalls; doch je länger er von den beiden sprach, auch von Worschula, die auf dem Friedhof von Seidewinkel begraben lag, und daß Tonda behauptet habe, die Mühlknappen aus dem Koselbruch brächten den Mädchen Unheil - je länger er sprach, desto selbstverständlicher fand er es, daß der Junge ein Recht darauf habe, auch das zu erfahren, womit er ihn anfangs hatte verschonen wollen.

So kam es, daß Krabat ihm alles erzählte, was zu erzählen war. Nur vom Geheimnis der Messerklinge erwähnte er nichts, um die Zauberkraft, die ihr innewohnte, nicht zu gefährden.

»Du weißt«, fragte Lobosch, »wer schuld ist an Tondas und Michals Tod?«

»Ich ahne es«, sagte Krabat. »Und wenn mein Verdacht sich bestätigt, werde ich abrechnen.«

Gegen Mitternacht setzte leichter Regen ein. Lobosch zog sich die Decke über den Kopf.

»Tu das nicht!« sagte Krabat. »Dann wirst du die Glocken nicht hören können und den Gesang im Dorf.«

Wenig später vernahmen sie, wie in der Ferne die Osterglocken zu läuten anhoben, und sie hörten die Stimme der Kantorka von Schwarzkollm herüber: die Stimme der Kantorka und, im Wechsel mit ihr, die anderen Mädchen.

»Klingt schön«, sagte Lobosch nach einer Weile. »Um das zu hören, kann man sich ruhig naßregnen lassen.«

Die nächsten Stunden verbrachten sie schweigend. Lobosch hatte verstanden, daß Krabat nicht reden und nicht gestört sein wollte. Es fiel ihm nicht schwer, sich danach zu richten. Was er von Tonda und Michal erfahren hatte, reichte für mehr als für eine halbe Nacht, um darüber nachzudenken.

Die Mädchen sangen, die Glocken läuteten. Daß es nach einer Weile wieder zu regnen aufhörte: Krabat merkte es nicht. Für ihn gab es weder Regen zu dieser Stunde noch Wind, weder Wärme noch Kälte, kein Licht und kein Dunkeclass="underline" für ihn gab es nur die Kantorka jetzt, ihre Stimme - und die Erinnerung daran, wie ihre Augen geleuchtet hatten im Schein der Osterkerze.

Diesmal war Krabat entschlossen, nicht wieder aus sich hinauszugehen. Hatte der Meister sie nicht die Kunst gelehrt, in Gedanken zu einem anderen Menschen zu sprechen, »daß er die Worte hören kann und versteht, als kämen sie aus ihm selbst«?

Gegen Morgen sprach Krabat die neue Formel. Er richtete alle Kraft, die in seinem Herzen war, auf die Kantorka: bis er zu spüren glaubte, nun habe er sie erreicht - und da sprach er zu ihr.

»Es bittet dich jemand, Kantorka, daß du ihn anhörst«, sprach er. »Du kennst ihn nicht, er aber kennt dich seit langem. Wenn du an diesem Morgen das Osterwasser geschöpft hast, dann richte es auf dem Heimweg ein, daß du hinter den anderen Mädchen zurückbleibst. Allein mußt du gehen mit deinem Wasserkrug, weil der Jemand dich treffen will - und er mag nicht, daß es vor aller Augen geschieht, weil es nur dich etwas angeht, und ihn, und sonst niemanden auf der Welt.«

Dreimal beschwor er sie, stets mit den gleichen Worten. Dann graute der Morgen herauf, der Gesang und die Glocken verstummten. Nun wurde es Zeit, daß er Lobosch den Drudenfuß ziehen lehrte und daß sie sich mit dem Mal versahen, einer den anderen, mit den Spänen vom Holzkreuz, die Krabat mit Tondas Messer vom Stamm geschnitten und in der Glut hatte ankohlen lassen.

Krabat hatte es auf dem Heimweg so eilig, als sei er vom Ehrgeiz besessen, daß sie die ersten sein müßten, die in der Mühle eintrafen. Lobosch vermochte auf seinen kurzen Beinen kaum Schritt zu halten.

Kurz vor dem Koselbruch, bei den ersten Büschen, blieb Krabat stehen. Er kramte in seinen Taschen, dann griff er sich an den Kopf und sagte: »Ich hab es beim Holzkreuz liegen lassen ...«

»Was?« fragte Lobosch.

»Das Messer.«

»Das du von Tonda bekommen hast?« -

»Ja - von Tonda.«

Der Junge wußte, daß Tondas Messer das einzige Andenken war, das Krabat von ihm besaß.

»Dann müssen wir umkehren«, sagte er, »und es holen!«

»Nein«, widersprach ihm Krabat und hoffte, daß Lobosch den Schwindel nicht merken werde. »Laß mich allein zurücklaufen, das geht schneller. Du kannst dich einstweilen unter die Büsche setzen und auf mich warten.«

»Meinst du?« Der Knirps unterdrückte ein Gähnen.

»Ich meine es, wie ich's gesagt habe.«

Während Lobosch sich unter den Sträuchern ins feuchte Gras setzte, eilte Krabat zurück an die Stelle, wo, wie er wußte, die Mädchen vorbeikommen mußten, wenn sie das Osterwasser nach Hause trugen: dort schlug er sich in die Hecken.

Nicht lange, da kamen die Mädchen mit ihren Wasserkrügen und zogen in langer Reihe an ihm vorüber. Die Kantorka, Krabat sah es, war nicht dabei. Sie hatte ihn also gehört, und sie hatte verstanden, worum er sie aus der Ferne gebeten hatte.

Als dann die Mädchen verschwunden waren, sah er sie kommen. Allein kam sie, fest in ihr wollenes Umtuch gehüllt. Da trat er hervor und ging auf sie zu.

»Ich bin Krabat, ein Mühlknappe aus dem Koselbruch«, sagte er. »Fürchte dich nicht vor mir.«

Die Kantorka blickte ihm ins Gesicht, ganz ruhig, als habe sie ihn erwartet.

»Ich kenne dich«, sagte sie, »denn ich habe von dir geträumt. Von dir und von einem Menschen, der Böses mit dir im Sinn hatte - aber wir haben uns nicht geschert um ihn, du und ich. Seither hab ich darauf gewartet, daß ich dich treffen würde: und jetzt bist du also da.«

»Ich bin da«, sagte Krabat. »Aber ich kann nicht lang bleiben - sie warten auf mich in der Mühle.«

»Auch ich muß nach Hause«, sagte die Kantorka. »Ob wir uns wiedersehen?«

Dann tauchte sie einen Zipfel des Umtuches in den Krug mit dem Osterwasser - und ohne ein Wort zu sagen, wischte sie Krabat den Drudenfuß von der Stirn: ganz sachte und ohne Eile, wie selbstverständlich.