Krabat erwachte vom Lärm der Mühlknappen, als sie die Treppe heraufkamen und zu Bett gingen. Deutlich spürte er noch den Wurstgeschmack auf den Lippen: er konnte nicht lange geschlafen haben, auch wenn es zwei Tage und Nächte waren, die er im Traum durchlebt hatte.
Anderntags in der Frühe ergab es sich, daß er für einige Augenblicke mit Juro allein war.
»Ich habe von dir geträumt«, sagte Krabat» »Du hast mir im Traum etwas vorgeschlagen.«
»Ich?« meinte Juro. »Dann wird es ein schöner Blödsinn gewesen sein, Krabat. Am besten, du spuckst darauf!«
Der mit der Hahnenfeder
Die Mühle im Koselbruch hatte sieben Mahlgänge. Sechs wurden ständig benützt, der siebente nie; deshalb nannten sie ihn den Toten Gang. Er befand sich im hinteren Teil der Mahlstube. Anfangs war Krabat der Meinung gewesen, es müsse da wohl ein Zapfen im Kammrad gebrochen, die Antriebswelle verkeilt oder sonstwas am Laufwerk schadhaft sein - da entdeckte er eines Morgens beim Ausfegen, daß auf den Bodenbrettern unter dem Auslauf des Toten Ganges ein wenig Mehl lag. Bei näherem Hinsehen fanden sich auch im Mahlkasten Spuren von frischem Mehl, als habe man ihn nach der Arbeit nicht gründlich genug von außen abgeklopft.
War vergangene Nacht auf dem Toten Mahlgang gemahlen worden? Dann mußte es heimlich geschehen sein, während alles schlief. Oder hatten nicht alle geschlafen in dieser Nacht, tief und fest wie der Junge selbst?
Ihm fiel ein, daß die Mühlknappen heute mit grauen Gesichtern zum Frühstück erschienen waren, hohl um die Augen, und mancher verstohlen gähnend; jetzt kam ihm das reichlich verdächtig vor.
Neugierig stieg er die hölzernen Staffeln zur Bühne hinauf, von der aus das Mahlgut sackweise in die trichterförmige Schütte gekippt wird, aus der es dann über den Rüttelschuh zwischen die Steine läuft. Beim Einkippen läßt es sich nie vermeiden, daß Körner danebenfallen - nur lag kein Getreide unter der Schütte, wie Krabat erwartet hatte. Was da verstreut auf der Bühne umherlag und auf den ersten Blick aussah wie Kieselsteine: beim zweiten zeigte sich's, daß es Zähne waren - Zähne und Knochensplitter.
Entsetzen packte den Jungen, er wollte schreien und brachte doch keinen Laut aus der Kehle.
Plötzlich stand Tonda hinter ihm. Krabat mußte ihn überhört haben.
Nun ergriff er die Hand des Jungen. »Was suchst du da oben, Krabat?
Komm runter, bevor dich der Meister erwischt - und vergiß, was du hier gesehen hast. Hörst du mich, Krabat - vergiß es!«
Dann führte er ihn die Staffeln hinab; und kaum daß der Junge die Dielen der Mahlstube unter den Füßen spürte, war alles, was er an diesem Morgen erlebt hatte, in ihm ausgelöscht.
In der zweiten Hälfte des Monats Februar setzte starker Frost ein. Sie mußten nun jeden Morgen das Eis vor der Schleuse aufhacken. Über Nacht, wenn das Mühlrad stillstand, gefror in den Schaufelkehlen das Wasser zu dicken Krusten: auch sie galt es loszuschlagen, bevor sie das Mahlwerk anließen.
Am gefährlichsten war das Grundeis, das im Gerinne emporwuchs. Um zu verhindern, daß es das Mühlrad lahmlegte, mußten von Zeit zu Zeit zwei Gesellen hinabsteigen und es lospickeln - eine Arbeit, um die sich keiner besonders riß.
Tonda achtete streng darauf, daß sich niemand drückte. Als aber die Reihe an Krabat kam, stieg er selbst ins Gerinne hinab - weil das nichts für den Jungen sei, wie er sagte, der könnte dabei zu Schaden kommen.
Die anderen waren einverstanden, bloß Kito maulte wie immer, und Lyschko erklärte: »Zu Schaden kommen kann jeder, wenn er nicht aufpaßt.«
Ob es nun Zufall war oder nicht: eben jetzt kam der dumme Juro vorbei, einen Eimer voll Schweinefutter in jeder Hand; als er auf Lyschkos Höhe war, strauchelte er und beschwappte ihn über und über mit Schweinefraß. Lyschko fluchte, und Juro beteuerte händeringend, er könnte sich ohrfeigen für sein Mißgeschick.
»Wenn ich mir vorstelle«, sagte er, »wie du stinken wirst in den nächsten Tagen - und ich bin schuld daran ... Oj-jojojoj, Lyschko, oj-jojojoj! Sei mir nicht böse, ich bitte dich vielmals, es tut mir ja auch für die armen Schweinchen leid!«
Krabat fuhr jetzt mit Tonda und anderen Burschen häufig zum Holzfällen in den Wald hinaus. Wenn sie dick eingemummt auf dem Schlitten saßen, die Morgengrütze im Bauch und die Pelzmütze tief in die Stirn gedrückt, war ihm so wohl zumute bei allem Frost, daß er meinte, es könnte selbst einem jungen Bären nicht wohler sein.
Das Holz, das sie schlugen, wurde an Ort und Stelle entästet, geschält, auf die richtige Länge geschnitten und aufgestapelt, schön locker, mit Querhölzern zwischen den einzelnen Lagen, damit es gut durchlüften konnte, bevor es im kommenden Winter zur Mühle geschafft wurde, um zu Balken behauen oder auf Bretter und Bohlen geschnitten zu werden.
So verstrich Woche um Woche, ohne daß sich in Krabats Leben viel Neues ereignet hätte. Manches, was ringsum vorging, gab ihm zu denken. Befremdlich war, unter anderem, daß sich nie Mahlgäste auf der Mühle einfanden. Wurde sie von den Bauern aus der Umgebung gemieden? Trotzdem liefen die Mahlgänge Tag für Tag, wurde Korn in die Schütten gekippt, wurden Gerste und Hafer geschrotet und Buchweizen.
Ob sich das Mehl und der Schrot, die am Tag aus den Mahlkästen in die Säcke rannen, bei Nacht in Getreide zurückverwandelten? Krabat hielt es durchaus für möglich.
Am Ende der ersten Märzwoche schlug das Wetter um. Westwind kam auf, schob den Himmel mit grauem Gewölk voll. »Wird Schnee geben«, brummte Kito, »ich spür's in den Knochen.« Es schneite auch wirklich ein wenig, in dicken, wäßrigen Flocken; dann klatschten die ersten Tropfen dazwischen, der Schnee ging in Regen über, das prasselte nur so fort.
»Weißt du was?« meinte Andrusch zu Kito. »Du solltest dir einen Laubfrosch halten, auf deine Knochen ist kein Verlaß mehr.«
Ein scheußliches Wetter war das! Regengüsse, vom Sturm gepeitscht, und der Schnee und das Eis schmolzen drunter hin, daß der Mühlenweiher bedrohlich anschwoll. Sie mußten hinaus in die Nässe, die Schleuse dichtmachen, sie mit Pfosten abstützen.
Ob das Stauwehr den Fluten standhielt?
»Wenn das so weitergeht, dauert es keine drei Tage, dann saufen wir mit der Mühle ab«, dachte Krabat.
Am Abend des sechsten Tages hatte sich's ausgeregnet, die Wolkendecke riß auf, dann erglühte für wenige Augenblicke der schwarze, von Nässe triefende Wald in den Strahlen der Abendsonne.
Nachts darauf wurde Krabat von einem Traum erschreckt: Feuer war in der Mühle ausgebrochen. Die Mühlknappen stoben von ihren Strohsäcken hoch, rannten polternd die Treppe hinunter; er selbst aber, Krabat, lag wie ein Holzklotz auf seiner Pritsche, unfähig, sich vom Fleck zu rühren.
Schon knisterten im Gebälk die Flammen, schon sprühten die ersten Funken ihm ins Gesicht - da fuhr er mit einem Aufschrei empor.
Er rieb sich die Augen, er gähnte, er blickte umher. Da - mit einemmal stutzte er, glaubte nicht recht zu sehen. Wo waren die Müllerburschen?
Die Strohsäcke leer und verlassen - in Eile verlassen, dem Anschein nach: hastig zurückgeschlagene Decken, zerknüllte Leintücher. Hier eine Wolljacke auf dem Fußboden, dort eine Mütze, ein Halstuch, ein Gürtel - deutlich zu sehen alles, im Widerschein eines zuckenden roten Lichts vor dem Giebelfenster...
Brannte es in der Mühle wirklich?
Krabat, hellwach nun mit einem Schlag, riß das Fenster auf. Sich hinausbeugend sah er, daß auf dem Vorplatz der Mühle ein Fuhrwerk stand, schwer beladen, mit praller, vom Regen geschwärzter Plane, sechs Rösser davorgespannt, rabenschwarz alle sechs. Auf dem Kutschbock saß einer mit hochgeschlagenem Mantelkragen, den Hut in die Stirn gezogen, nachtschwarz auch er.
Nur die Hahnenfeder, die er am Hut trug - die Feder war hell und rot. Gleich einer Flamme loderte sie im Wind: bald auf züngelnd, jäh und grell, bald sich duckend, als ob sie verlöschen wollte. Ihr Schein reichte hin, um den Vorplatz in flackerndes Licht zu tauchen.