»›Tu nicht, was ich tue, sondern was ich sage‹. Das war mein Motto als praktizierender Arzt. Wenn mehr meiner Patienten auf mich gehört hätten, statt meinem traurigen Vorbild zu folgen, wären sie jetzt noch am Leben. Das ist eine Lektion, die uns allen zu denken geben sollte. Ich bin übrigens Thomas Jane.«
»John Perry.« Ich schüttelte ihm die Hand.
»Angenehm«, sagte er. »Aber auch ein wenig traurig, denn wenn Sie das alles wirklich essen, werden Sie innerhalb der nächsten Stunde einen Herzinfarkt erleiden.«
»Hören Sie nicht auf ihn, John«, sagte die Frau, die uns gegenübersaß. Ihr Teller wies die Spuren vertilgter Pfannkuchen und Würste auf. »Tom versucht Sie nur zu bewegen, ihm etwas von Ihrem Tablett abzugeben, damit er sich nicht noch einmal in die Schlange einreihen muss. Auf diese Weise habe ich die Hälfte meiner Würste verloren.«
»Die Anschuldigung ist genauso irrelevant, wie sie wahr ist«, sagte Thomas indigniert. »Ja, ich gebe zu, dass ich diese belgische Waffel begehre. Das kann und will ich nicht abstreiten. Aber wenn ich meine Arterien opfere, um sein Leben zu verlängern, ist es mir die Sache wert. Betrachten Sie es als kulinarisches Äquivalent des Falls, bei dem sich jemand auf eine Granate wirft, um seinen Kameraden zu retten.«
»Die meisten Granaten dürften nicht in Sirup getränkt sein«, gab sie zurück.
»Vielleicht sollte man es einführen«, sagte Thomas. »Dann würde es viel mehr Selbstlosigkeit geben.«
»Hier.« Ich schnitt eine Hälfte von einer Waffel ab. »Damit Sie etwas haben, wofür Sie sich opfern können.«
»Ich werde mich mit dem Gesicht darauf werfen«, versprach Thomas.
»Wir alle sind zutiefst erleichtert, das zu hören«, erwiderte ich.
Die Frau auf der anderen Seite des Tisches stellte sich als Susan Reardon vor. Sie kam aus Bellevue, Washington. »Wie finden Sie unser bisheriges kleines Weltraumabenteuer?«
»Wenn ich gewusst hätte, dass die Verpflegung so gut ist, hätte ich versucht, mich schon vor Jahren rekrutieren zu lassen. Wer hätte gedacht, dass das Essen in der Armee so exzellent ist?«
»Ich glaube eher, dass wir noch gar nicht richtig in der Armee sind«, sagte Thomas mit einem Bissen von der belgischen Waffel im Mund. »Das hier dürfte so etwas wie das Wartezimmer der Kolonialen Verteidigungsarmee sein, falls Sie verstehen, was ich damit meine. Und ich glaube auch nicht, dass wir später immer noch in Turnschuhen herumschlurfen werden.«
»Sie meinen, man lässt es für uns sachte angehen?«, fragte ich.
»Genau. Sehen Sie, in diesem Schiff sind tausend Leute versammelt, die sich völlig fremd sind. Alle haben ihre Heimat, ihre Familie, ihren Beruf verloren. Das ist ein verdammt schwerer psychischer Schock. Das Mindeste, was man für uns tun kann, ist eine exzellente Mahlzeit, damit wir nicht zu viel darüber nachdenken.«
»John!« Harry hatte mich aus der Schlange erspäht. Ich winkte ihn an unseren Tisch. Er kam mit seinem Tablett, gefolgt von einem anderen Mann.
»Das ist mein Zimmergenosse, Alan Rosenthal«, stellte er ihn vor.
»Auch als ehemalige Schönheitskönigin bekannt«, sagte ich.
»Von dieser Aussage trifft ungefähr die Hälfte zu«, sagte Alan. »Ich bin in der Tat eine umwerfende Schönheit.« Ich machte Harry und und Alan mit Susan und Thomas bekannt.
Thomas schnalzte tadelnd mit der Zunge, als er ihre Tabletts musterte. »Da kündigen sich zwei weitere Herzinfarkte an.«
»Wirf Tom lieber ein paar Schinkenstreifen zu, Harry«, sagte ich. »Sonst hört er nie mit diesen Sprüchen auf.«
»Ich höre es gar nicht gern, wenn man andeutet, dass ich mich mit Essbarem bestechen lasse.«
»John hat überhaupt nichts angedeutet«, sagte Susan. »Es war eine ziemlich klare Tatsachenfeststellung.«
»Ich weiß, dass die Zimmergenossenlotterie für dich schlecht ausgegangen ist«, sagte Harry zu mir, während er Thomas zwei Stück Schinken abgab, die dieser mit ernster Miene entgegennahm. »Aber ich habe das große Los gezogen. Alan ist theoretischer Physiker. Hochintelligent.«
»Und umwerfend schön«, fügte Susan hinzu.
»Danke für die Erwähnung dieses Details«, sagte Alan.
»Mir scheint, an diesem Tisch haben sich insgesamt recht intelligente Erwachsene versammelt«, sagte Harry. »Was glaubt ihr, was uns heute bevorsteht?«
»Ich soll um Punkt acht zu einer ärztlichen Untersuchung antanzen«, sagte ich. »Ich glaube, das gilt für uns alle.«
»Richtig«, sagte Harry. »Aber ich frage euch, was das alles eurer Ansicht nach zu bedeuten hat. Glaubt ihr, dass heute unsere Verjüngungstherapie beginnt? Ist heute der Tag, an dem wir aufhören, alt zu sein?«
»Wir wissen nicht, ob wir wirklich nicht mehr alt sein werden«, sagte Thomas. »Wir alle gehen davon aus, weil wir uns vorstellen, dass Soldaten jung sein sollten. Aber denkt einmal genauer darüber nach. Keiner von uns hat jemals einen Soldaten der Kolonialen Verteidigungsarmee gesehen. Wir gehen nur von Mutmaßungen aus, aber die könnten völlig falsch sein.«
»Welchen Sinn hätte es, alte Soldaten kämpfen zu lassen?«, fragte Alan. »Wenn sie mich so, wie ich bin, in den Kampf schicken, weiß ich nicht, was sie sich davon versprechen. Ich habe Rückenprobleme. Als ich gestern von der Kabine der Bohnenstange zum Shuttlegate laufen musste, hätte ich es fast nicht überlebt. Ich kann mir nicht vorstellen, wie ich zwanzig Meilen mit Gepäck und Waffe marschieren soll.«
»Ich glaube, wir alle haben ein paar Reparaturen nötig«, sagte Thomas. »Aber das ist nicht dasselbe wie eine umfassende Verjüngung. Ich bin Arzt und kenne mich ein bisschen damit aus. Man kann den menschlichen Körper leistungsfähiger machen und in jedem Alter in Bestform sein, aber jedes Alter hat seine natürlichen Grenzen. Mit fünfundsiebzig ist der Körper einfach nicht mehr so schnell, nicht mehr so beweglich, und er lässt sich nicht mehr so leicht reparieren wie in jüngeren Jahren. Natürlich kann ich immer noch erstaunliche Leistungen vollbringen. Ich will nicht prahlen, aber auf der Erde habe ich regelmäßig an Zehn-Kilometer-Läufen teilgenommen. Mein letzter war vor knapp einem Monat. Und ich bin eine bessere Zeit gelaufen, als ich mit fünfundfünfzig gelaufen wäre.«
»Wie warst du mit fünfundfünfzig?«, fragte ich.
»Das ist der Punkt«, sagte Thomas. »Mit fünfundfünfzig war ich ein Fettkloß. Ich ließ mir ein neues Herz einsetzen und fing an, auf meine Gesundheit zu achten. Ich will darauf hinaus, dass ein trainierter Fünfundsiebzigjähriger eine Menge leisten kann, ohne im eigentlichen Sinne ›jung‹ sein zu müssen, wenn er einfach nur gut in Form ist. Vielleicht braucht man genau solche Leute für diese Armee. Vielleicht sind alle anderen intelligenten Spezies in diesem Universum leichte Opfer. Wenn das stimmt, könnte es tatsächlich sinnvoll sein, alte Soldaten in den Kampf zu schicken, weil junge Leute viel mehr Nutzen für die Gesellschaft haben. Sie haben noch ihr ganzes Leben vor sich, während man auf uns problemlos verzichten kann.«
»Also werden wir vielleicht alt bleiben, aber sehr, sehr gesund sein«, sagte Harry.
»Darauf will ich hinaus«, bestätigte Thomas.
»Hör auf damit. Damit reißt du mich runter«, sagte Harry.
»Ich werde die Klappe halten, wenn du mir deinen Obstsalat gibst«, sagte Thomas.
»Selbst wenn wir zu gesunden, durchtrainierten Fünfundsiebzigjährigen werden«, sagte Susan, »würden wir trotzdem immer älter werden. In fünf Jahren wären wir nur noch gesunde, durchtrainierte Achtzigjährige. Es muss eine Obergrenze geben, was unsere Tauglichkeit als Soldaten betrifft.«
Thomas zuckte die Achseln. »Wir haben uns für zwei Jahre verpflichtet. Vielleicht reicht es, wenn sie unsere Funktionsfähigkeit für diesen Zeitraum aufrechterhalten. Der Unterschied zwischen fünfundsiebzig und siebenundsiebzig Jahren ist nicht so groß wie zwischen fünfundsiebzig und achtzig. Oder zwischen siebenundsiebzig und achtzig. Jedes Jahr melden sich Hunderttausende von uns. Nach zwei Jahren ersetzen sie uns einfach durch eine Truppe aus jüngeren Rekruten.«