»Nicht ganz. Wenn jemand Sie ermorden sollte, während Sie im Sinne des Gesetzes tot sind, würde der Täter hier in Ohio vermutlich wegen Leichenschändung belangt werden.«
»Faszinierend«, sagte ich.
»Allerdings«, fuhr sie in ihrem irritierend sachlichen Tonfall fort, »kommt es normalerweise nicht so weit. Bis zum Ablauf der zweiundsiebzig Stunden können Sie jederzeit Ihre Einwilligung zur Rekrutierung zurücknehmen. Rufen Sie mich einfach hier an. Wenn ich nicht da bin, wird ein automatischer Anrufbeantworter Ihren Namen aufnehmen. Nachdem wir bestätigt haben, dass Sie tatsächlich Ihre Rekrutierung widerrufen haben, werden Sie von allen weiteren Verpflichtungen entbunden. Denken Sie jedoch daran, dass ein solcher Widerruf Sie unumstößlich von einer künftigen Rekrutierung ausschließt. Eine solche Entscheidung wäre endgültig.«
»Verstanden«, sagte ich. »Müssen Sie mich jetzt vereidigen?«
»Nein. Ich muss nur diesen Antrag weiterleiten und Ihnen Ihr Ticket aushändigen.« Sie wandte sich wieder dem Computer zu, tippte in den nächsten Minuten verschiedene Sachen ein und drückte schließlich die Enter-Taste. »Der Computer erstellt nun Ihr Ticket. Es dauert noch etwa eine Minute.«
»Gut«, sagte ich. »Darf ich Ihnen eine weitere Frage stellen?«
»Ich bin verheiratet.«
»Das wollte ich gar nicht fragen«, sagte ich. »Bekommen Sie wirklich so viele Heiratsanträge?«
»Jede Menge. Allmählich nervt es.«
»Das tut mir leid«, sagte ich. »Ich wollte Sie fragen, ob Sie schon einmal wirklich einem Angehörigen der KVA begegnet sind.«
»Sie meinen, abgesehen von Rekrutierungswilligen?«
Ich nickte.
»Nein«, sagte sie. »Die KVA hat eine Firma mit der Abwicklung der Rekrutierungen beauftragt, aber keiner von uns ist ein Mitglied der KVA. Ich glaube, nicht einmal der Geschäftsführer gehört dazu. Wir erhalten das nötige Material und die Informationen nicht direkt von der KVA, sondern von der Botschaft der Kolonialen Union. Ich glaube nicht, dass Mitglieder der Streitkräfte jemals einen Fuß auf die Erde setzen.«
»Stört es Sie gar nicht, für eine Organisation zu arbeiten, mit der Sie nie direkten Kontakt hatten?«
»Nein. Die Arbeit ist in Ordnung, und die Bezahlung ist überraschend gut, wenn man bedenkt, wie wenig Geld man in die Einrichtung dieses Büros gesteckt hat. Aber Sie wollen Mitglied einer Organisation werden, mit der Sie nie direkten Kontakt hatten. Stört Sie das gar nicht?«
»Nein. Ich bin alt, meine Frau ist tot, und es gibt für mich kaum noch einen Grund, warum ich hier bleiben sollte. Werden Sie eintreten, wenn die Zeit gekommen ist?«
Sie zuckte die Achseln. »Es stört mich nicht, alt zu werden.«
»Das habe ich auch gedacht, als ich jung war«, sagte ich. »Es ist die Tatsache, jetzt alt zu sein, die mich stört.«
Der Drucker des Computers gab ein leises Summen von sich und spuckte etwas in der Größe einer Visitenkarte aus. Sie gab es an mich weiter. »Das ist Ihr Ticket. Es identifiziert Sie als John Perry und als Rekrut der KVA. Verlieren Sie es nicht. Ihr Shuttle startet genau vor diesem Büro, um Sie zum Flughafen von Dayton zu bringen, und zwar in drei Tagen um acht Uhr dreißig. Wir empfehlen Ihnen, früh genug hier zu sein. Sie dürfen nur ein Stück Handgepäck mitnehmen, also überlegen Sie sich bitte sehr genau, was Sie einpacken. Von Dayton werden Sie um elf Uhr nach Chicago fliegen und von dort um vierzehn Uhr mit dem Delta nach Nairobi. Aufgrund der Zeitverschiebung werden Sie um Mitternacht in Nairobi eintreffen. Dort wird ein Vertreter der KVA Sie in Empfang nehmen. Dann haben Sie die Möglichkeit, die Zwei-Uhr-Bohnenstange zur Kolonialstation zu nehmen oder sich ein wenig auszuruhen und die Neun-Uhr-Bohnenstange zu nehmen. Ab dann sind Sie in den Händen der KVA.«
Ich nahm das Ticket. »Was mache ich, wenn einer dieser Flüge verspätet landet?«
»Keiner dieser Flüge ist in den fünf Jahren, die ich hier arbeite, jemals verspätet eingetroffen.«
»Toll!«, sagte ich. »Ich wette, sogar die Züge der KVA treffen stets pünktlich ein.«
Sie sah mich verständnislos an.
»Ich will Ihnen erklären, was ich damit meine«, sagte ich. »Ich habe mehrfach versucht, Scherze zu machen, seit ich dieses Büro betreten habe.«
»Ich weiß«, sagte sie. »Tut mir leid. Mein Sinn für Humor wurde mir bereits im Kindesalter operativ entfernt.«
»Oh«, sagte ich.
»Das war ein Scherz.« Sie stand auf und reichte mir die Hand.
»Oh.« Ich stand auf und nahm ihre Hand.
»Herzlichen Glückwunsch zur Rekrutierung«, sagte sie. »Alles Gute da draußen zwischen den Sternen. Das meine ich übrigens ernst.«
»Vielen Dank.«
Sie nickte, setzte sich und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Computer zu. Ich war entlassen.
Auf dem Weg nach draußen sah ich eine ältere Frau, die über den Parkplatz auf das Rekrutierungsbüro zulief. Ich fing sie ab. »Cynthia Smith?«, fragte ich.
»Ja«, sagte sie. »Wie haben Sie das erraten?«
»Ich wollte Ihnen nur zum Geburtstag gratulieren.« Ich zeigte in den Himmel. »Vielleicht sehen wir uns da oben wieder.«
Sie lächelte, als sie verstanden hatte. Endlich hatte ich es geschafft, an diesem Tag jemanden zum Lächeln zu bringen. Es ging aufwärts.
2
Nairobi startete und fiel unter uns zurück. Wir traten an den Rand, als würden wir in einem Expressaufzug stehen (wobei die Bohnenstange genau das ist), und sahen zu, wie die Erde davonschoss.
»Von hier oben sehen sie wie Ameisen aus!«, gluckste Leon Deak neben mir. »Wie schwarze Ameisen!«
Ich verspürte den starken Drang, ein Fenster einzuschlagen und Leon nach draußen zu schubsen. Leider gab es kein Fenster, das man hätte einschlagen können. Die Wände der Bohnenstange bestanden aus dem gleichen diamantharten Material wie die gesamte Kabine. Sie waren transparent, damit die Reisenden einen guten Rundumblick hatten. Die Kabine war luftdicht abgeschlossen, was sich in ein paar Minuten als äußerst praktisch erweisen würde, wenn wir so hoch hinaufgestiegen waren, dass ein eingeschlagenes Fenster zur explosiven Dekompression mit anschließendem Erstickungstod geführt hätte.
Also blieb Leon das Schicksal erspart, plötzlich und unerwartet die Rückreise zur Erde anzutreten. Was bedauerlich war. Leon hatte sich in Chicago wie eine dicke, mit Fett und Bier vollgesogene Zecke an mich gehängt. Es erstaunte mich, wie jemand, dessen Blut offensichtlich zur Hälfte aus Schweinefett bestand, das Alter von fünfundsiebzig Jahren hatte erreichen können. Ich verbrachte einen Teil des Fluges nach Nairobi damit, zuzuhören, wie er furzte und sich über die ethnische Zusammensetzung der Kolonien ausließ. Die Fürze waren noch der angenehmste Teil des Monologs. Nie zuvor war ich so versessen darauf gewesen, Kopfhörer zu kaufen, um das Unterhaltungsprogramm verfolgen zu können.
Ich hatte gehofft, ihn abzuhängen, indem ich Nairobi mit der ersten Bohnenstange verließ. Er schien mir jemand zu sein, der eine längere Ruhepause benötigte, nachdem er den ganzen Tag lang Gase abgesondert hatte. Pech gehabt. Die Vorstellung, weitere sechs Stunden mit Leon und seinen Fürzen verbringen zu müssen, war unerträglich. Wenn die Kabine Fenster gehabt hätte und es mir nicht möglich gewesen wäre, Leon hinauszuschubsen, wäre ich vielleicht selber gesprungen. Stattdessen entschuldigte ich mich bei Leon, indem ich zu ihm das Einzige sagte, womit man ihn sich vom Leibe halten konnte. Ich behauptete, dass ich ein dringendes Bedürfnis zu erledigen hätte. Leon grunzte sein Einverständnis. Ich spazierte gegen den Uhrzeigersinn davon, in die allgemeine Richtung der Toiletten, in Wirklichkeit jedoch, um nach einem Platz zu suchen, wo Leon mich nicht wiederfinden würde.
Das war nicht gerade einfach. Die Kabine hatte die Form eines Donuts mit einem Durchmesser von etwa dreißig Metern. Das »Loch« des Donuts, wo die Kabine an der Bohnenstange hinauffuhr, war etwa sechs Meter breit, was kaum dick genug für ein Kabel zu sein schien, das mehrere tausend Kilometer lang war. Der übrige Raum wurde von bequemen Nischen und Sofas eingenommen, auf denen man sitzen und plaudern konnte, sowie kleinen Bereichen, in denen die Reisenden Unterhaltungsprogramme verfolgen, sich mit Spielen die Zeit vertreiben oder essen konnten. Und natürlich gab es jede Menge durchsichtiger Wände, um hinauszuschauen, entweder runter zur Erde, rüber zu den anderen Stangen und Kabinen oder rauf zur Kolonialstation.