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Eine Geschossgarbe pfiff durch ein Fenster über mir. Also hatte sich jemand daran erinnert, dass ich noch hier war. Zeit für einen neuen Standortwechsel. Ich plante die nächste Strecke zu einem von den Rraey angelegten Schützengraben fünfzig Meter weiter, der nun von Leuten der Spezialeinheit gehalten wurde. Ich teilte ihnen mit, dass ich kommen würde, und gehorsam gaben sie mir Feuerschutz, während ich im Zickzack zu ihnen lief. Damit war ich wieder hinter den Linien der Spezialeinheit. Der Rest des Weges zum Kommandozentrum verlief ohne dramatische Zwischenfälle.

Als ich eintraf, begannen die Rraey gerade, das Kommandozentrum unter Artilleriebeschuss zu nehmen. Sie verfolgten offenbar nicht mehr die Absicht, ihre Ortungsstation zurückzuerobern, sondern begnügten sich damit, sie zu zerstören. Ich blickte zum Himmel hinauf. Selbst in der Helligkeit des Morgens waren Lichtblitze zu erkennen, die durch das Blau schimmerten. Die Flotte der Kolonialen war eingetroffen.

Die Rraey würden nicht lange brauchen, das Kommandozentrum mitsamt der Consu-Technik in Schutt und Asche zu legen. Mir blieb also nicht viel Zeit. Ich lief geduckt ins Gebäude und hetzte zur Krankenstation, während sich alle anderen nach draußen flüchteten.

In der Krankenstation befand sich etwas Großes und Kompliziertes. Es war das Ortungssystem der Consu. Wahrscheinlich wussten nur die Rraey, warum sie beschlossen hatten, es hier unterzubringen. Demzufolge war die Krankenstation der einzige Raum im gesamten Kommandozentrum, der nicht völlig zerschossen worden war. Die Spezialeinheit hatte den Befehl erhalten, das Ortungssystem unversehrt zu bergen, weshalb unsere Jungs und Mädchen die Rraey in diesem Raum mit Blendgranaten und Messern angegriffen hatten. Die Rraey waren immer noch hier und lagen mit Stichwunden am Boden.

Das Ortungssystem◦– ein strukturloser Kasten an der Wand◦– summte fast genüsslich vor sich hin. Der einzige Hinweis auf eine Schnittstelle zur Außenwelt war ein kleiner Monitor und eine Zugangsspindel für ein Speichermodul der Rraey. Das Ding lag wie zufällig auf einem Krankenhausnachttisch neben der Anlage. Das Ortungssystem hatte keine Ahnung, dass es dank einer einschlagenden Rraey-Granate in nur wenigen Minuten nicht mehr als ein Haufen zerfetzter Bauteile sein würde. All unsere Bemühungen, das verdammte Ding unversehrt zu sichern, würden dann vergebens sein.

Das Kommandozentrum wurde erschüttert. Ich hörte auf, mir Gedanken über das Ortungssystem zu machen, und legte Jane behutsam auf ein Krankenbett. Dann suchte ich nach der Stasiskammer. Ich fand sie in einem kleinen Nebenraum, in dem verschiedene Dinge gelagert wurden. Sie sah aus wie ein Rollstuhl mit einem halbierten Zylinder aus Kunststoff. Ich nahm zwei tragbare Energiezellen vom Regal neben der Stasiskammer, schloss eine an die Kammer an und las die Anzeige. Das Ding hatte noch für zwei Stunden Saft. Ich nahm mir noch eine vom Regal. Sicher ist sicher.

Ich rollte die Kammer zu Jane hinüber, als eine weitere Granate einschlug. Das Kommandozentrum erzitterte, und der Strom fiel aus. Die Detonation warf mich zur Seite, ich rutschte auf einer Rraey-Leiche aus und stieß mir im Fallen den Kopf an der Wand. Hinter meinen Augen blitzten grelles Licht auf und kurz darauf spürte ich heftige Schmerzen. Fluchend kam ich wieder hoch und spürte ein kleines Rinnsal SmartBlood, das aus einem Kratzer an der Stirn kam.

Die Beleuchtung ging ein paar Sekunden lang flackernd wieder an, und in den dunklen Momenten sendete Jane mir einen Sturm aus emotionalen Daten, der so intensiv war, dass ich mich an der Wand festhalten musste. Jane war wach und bei Bewusstsein, und in diesen paar Sekunden sah ich, was sie zu sehen glaubte. Es war noch eine andere Person bei ihr, eine Frau, die genauso aussah wie sie, die ihre Hände an Janes Gesicht legte und sie lächelnd ansah. Wieder flackerte es, und dann sah sie wieder genauso aus, wie ich sie das letzte Mal gesehen hatte. Nachdem die Lampen noch ein paarmal geflackert hatten, brannten sie wieder normal, und die Halluzination verschwand.

Jane zuckte, und ich ging zu ihr. Ihre Augen waren weit aufgerissen, und sie sah mich an. Ich griff auf ihren BrainPal zu. Sie war noch bei Bewusstsein, stand aber schon auf der Kippe.

»He«, sagte ich leise und nahm ihre Hand. »Du hast etwas abbekommen, Jane. Vorläufig bist du in Sicherheit, aber ich muss dich in diese Stasiskammer legen, bis wir dir helfen können. Auch du hast mich einmal gerettet, weißt du noch? Also sind wir anschließend quitt. Hauptsache, du hältst lange genug durch. Okay?«

Jane nahm meine Hand, aber ihr Griff war nur schwach. »Ich habe sie gesehen«, flüsterte sie. »Ich habe Kathy gesehen. Sie hat zu mir gesprochen.«

»Was hat sie gesagt?«

»Sie sagte …« Jane driftete für einen Moment weg, bevor sie sich wieder auf mich konzentrierte. »Sie sagte, ich sollte mit dir auf einer Farm leben.«

»Was hast du dazu gesagt?«

»Okay.«

»Okay?«

»Okay«, bestätigte Jane, dann entglitt sie wieder. Ihre BrainPal-Daten deuteten auf unregelmäßige Gehirnaktivitäten hin. Ich hob sie auf und legte sie so vorsichtig wie möglich in die Stasiskammer. Ich gab ihr einen Kuss und schaltete die Einheit an. Die Kammer verschloss sich summend. Janes neurale und physiologische Werte wurden auf Schneckentempo verlangsamt. Sie war bereit für den Abtransport. Ich achtete auf die Räder, damit ich um den toten Rraey herummanövrieren konnte, auf den ich kurz zuvor getreten war. Dabei fiel mir das Speichermodul auf, das aus der Bauchtasche des Aliens ragte.

Wieder bebte das Kommandozentrum, als es erneut getroffen wurde. Trotz der Gefahr nahm ich das Modul, ging zur Spindel hinüber und drückte es hinein. Der Monitor erwachte zum Leben und zeigte eine Dateiliste in der Schrift der Rraey an. Ich öffnete eine Datei und betrachtete ein Diagramm. Ich schloss sie und öffnete eine andere Datei. Weitere Diagramme. Ich kehrte zur Übersicht zurück und sah mir das grafische Interface an, ob es dort einen übergeordneten Zugang gab. Es gab einen. Ich griff darauf zu und ließ mir von Arschloch übersetzen, was ich sah.

Was ich sah, war ein Handbuch für das Ortungssystem der Consu. Diagramme, Bedienungsanleitungen, technische Daten, Fehlerbehebung. Alles, was man brauchte. Es war fast so gut wie die Maschine selbst.

Die nächste Granate schlug mitten ins Kommandozentrum, warf mich auf den Hintern. Geschosssplitter fetzten durch die Krankenstation. Ein Metallstück hatte ein klaffendes Loch im Monitor hinterlassen, auf den ich geblickt hatte, ein anderes Teil hatte sich mitten in die Ortungsstation gebohrt. Die Anlage hörte auf zu summen und gab nun erstickte Geräusche von sich. Ich griff mir das Speichermodul, zog es herunter, packte die Griffe der Stasiskammer und beeilte mich. Wir waren kaum weit genug entfernt, als eine letzte Granate ins Kommandozentrum einschlug und das Gebäude vollends zum Einsturz brachte.

Vor uns zogen sich die Rraey zurück. Die Ortungsstation gehörte jetzt nicht mehr zu ihren dringlichen Problemen. Über uns senkten sich mehrere Dutzend dunkler Punkte herab. Es waren Landeboote voller KVA-Soldaten, die darauf brannten, den Planeten zurückzuerobern. Ich wollte ihnen nicht im Weg stehen. Ich wollte nur so schnell wie möglich von diesem Felsbrocken verschwinden.

Nicht allzu weit entfernt hielt Major Crick eine Einsatzbesprechung mit seinem Stab ab. Er winkte mich zu sich. Ich kam mitsamt der rollenden Kammer zu ihm. Er warf einen Blick auf sie und dann auf mich.

»Ich habe gehört, Sie wären fast einen Kilometer mit Sagan auf dem Rücken durch die Kampfzone gelaufen und dann mit ihr im Kommandozentrum verschwunden, als die Rraey mit dem Artilleriefeuer begannen. Aber waren nicht Sie es, der uns als wahnsinnig bezeichnet hat.«