Im Lageraum erhob sich Stimmendurcheinander, jeder versuchte sofort, eine Erklärung oder eine Theorie zu liefern. Die Kommunikation schrie nach den Analysten, die wiederum nach den Nachrichtenleuten riefen, die Aufzeichnungen haben wollten. Und da kam die Antwort dann schließlich auch her. Droods wissen alles, aber manchmal braucht es ein bisschen, bis wir es gefunden haben. Es stellte sich heraus, dass es einen Bericht über die Existenzmöglichkeit solcher Leute gegeben hatte, aus einer Akte, die Callan in Trumans alter, verlassener Untergrundbasis gefunden hatte: Beschleunigte Menschen. Chirurgisch veränderte, technologisch weiter entwickelte und bis zur Nasenspitze mit Drogen vollgepumpte Fanatiker, die ihre Lebensenergie in ihre unnatürliche Geschwindigkeit investierten. Sie starben, um schnell zu sein. Aber auf der anderen Seite hatte es dem Manifesten Schicksal noch nie an Fanatikern gefehlt.
Giles Todesjäger kam in den Lageraum und sah immer noch halbtot, aber fest entschlossen aus und musste beinahe körperlich davon abgehalten werden, den Jungs zu Hilfe zu kommen. Ich entschied das. Es ergab keinen Sinn, mehr Leben wegzuwerfen, bis wir eine Idee hatten, womit wir es überhaupt zu tun hatten. Giles betrachtete die Bildschirme mit lebhaftem Interesse. Ich erwartete fast, dass er sich Notizen machte. Es schien, als habe er endlich etwas gefunden, dass er noch nie gesehen hatte und von dem er glaubte, er könnte es mit in seine zukünftige Zeit nehmen.
Auf der Wiese vor Stonehenge hatten sich Harrys Leute zu einem engen Ring um Harry und Roger zusammengezogen. Sie standen Schulter an Schulter, denn so waren sie besser in der Lage, sich zu verteidigen und brachten ihre Geschwindigkeit dank der Rüstung an die Grenzen. Was bedeutete, dass sie Vereinzelte der Beschleunigten mit einem kräftigen Schwerthieb erwischten. Als diese menschlichen Blitze zu Boden krachten, endlich tot, sahen sie aus wie Greise, die Gesichter von fürchterlicher Anstrengung verzerrt. Die Droods kämpften weiter, doch sie verloren immer noch hier und da einen Mann oder eine Frau, sodass der Verteidigungskreis langsam immer kleiner wurde. Bis plötzlich die Beschleunigten zu stolpern begannen und zusammenbrachen. Zuerst dachte ich, Roger hätte endlich wieder etwas Magie zusammengekratzt, doch es wurde schnell klar, dass die Beschleunigten einfach nur all ihre Lebenskraft aufgebraucht hatten.
Harry und Roger und das runde Dutzend übriggebliebener Droods sahen sich langsam um. Um sie herum lagen Dutzende von Greisen mit von der Zeit zerstörten Gesichtern. Sie waren nicht dazu gemacht, lange zu leben, sondern sie waren nur Mittel zum Zweck gewesen; um die Droods wieder zu einem einfach anzupeilenden Ziel zusammenzutreiben. Ein fürchterlicher Lichtblitz machte die Dunkelheit zum Tag, ein Licht so stark und intensiv, dass es Masse und Gewicht hatte. Die Droods schrien auf. Roger hing an Harry, schrie Worte der Macht, die von dem schrecklichen Licht aber geradezu davongespült wurden. Und dann, einfach so, ging das Licht wieder aus. Der Abend kehrte zurück, aber alle Droods waren weg. Nur Harry und Roger waren noch übrig, sie hielten einander fest. Harry hielt Roger aufrecht. Die Höllenbrut war beinahe zusammengebrochen und hatte sämtliche Kraft und Magie erschöpft.
Nur zwei Mann, um die Welt zu retten.
Im Lageraum brach wieder das Chaos aus. Diesmal dauerte es etwas länger, um Antworten zu bekommen, aber es war nicht weniger beunruhigend, als der Waffenmeister endlich mit einer ankam. Er gab zu, dass er riet, aber es klang nach der Wahrheit. Truman hatte seine neue Basis unter Stonehenge platziert, um die Seele von Albion in die Finger zu kriegen, dieses unglaublich machtvolle Stück Stern, das vor Jahrtausenden aus dem Himmel gefallen war.
Truman hatte es für sich gewonnen und die Technologie der Abscheulichen benutzt, um es als Waffe zu benutzen: als Seelenkanone. Er hatte einen Weg gefunden, die Energie der Seele in kleinen Ausbrüchen loszulassen und alles, was im wütenden Licht der Seele gebannt war, wurde direkt aus dieser Realität herausgeschleudert.
Die Droods, die wir verloren hatten, würden nicht wiederkommen.
Harry und Roger riefen verzweifelt um Hilfe. Es wurde langsam still im Lageraum, als alle die Matriarchin ansahen und danach mich, und auf Befehle warteten. Martha stand sehr still da und rang mit starrem Blick auf den Bildschirm und ihre Hände. Ich dachte fieberhaft nach. Und während ich noch dachte, ging die Seelenkanone wieder los. Roger hatte es wohl gespürt, weil er sich plötzlich aufrichtete und Harry hinter sich schob. Das furchtbare Licht flammte auf und zerriss die Nacht, ein Leuchten so übermächtig, dass es jenseits aller Farben stand, etwas, das man eher mit Verstand und Seele begriff, als mit den Augen. Aber Roger stellte sich dem Licht entgegen und rang es nieder. Er stand zwischen dem Licht und dem Mann, den er liebte und bekämpfte das Seelenlicht mit jedem Quäntchen Kraft, das er noch besaß. Die Seelenkanone feuerte und Roger begegnete seiner grausamen Macht mit unbeugsamem Willen.
Überlebenswillen hätte nicht ausgereicht, ebenso wenig wie Furcht oder Wut, aber das hier war Liebe. Und am Ende erlosch die Seelenkanone als Erste.
Das Licht ging plötzlich aus und Roger fiel wie ein Toter auf der Erde. Harry schlang die Arme um seinen reglosen Körper und wog ihn hin und her, als beruhige er ein Kind. Im Lageraum sah mich jeder an. Ich holte tief Luft.
»Giles, Molly, ihr kommt mit mir. Martha, finde heraus, wo Mr. Stich und der Seneschall sind und hol sie her. Und irgendjemand soll U-Bahn-Ute finden. Wir gehen in Trumans Bunker, um den Turm auszuschalten und dafür brauchen wir den Weg der Verdammnis.«
Kapitel Fünfzehn
Reisen enden mit einem Treffen von Feinden
Und alles hatte so gut geklappt - na ja, relativ gut. Jetzt sah es so aus, als wären all unsere Erfolge zuvor umsonst gewesen und ich müsste eines meiner chancenlosen As-im-Ärmel- und
Wettlauf-mit-der-Zeit-und-hol-die-verdammte-Kuh-vom-Eis-Wunder wirken. Ich wünschte, die Leute wüssten zu schätzen, wie unglaublich viel mich so etwas kostet.
Auf dem großen Hauptbildschirm half Harry Drood einem verwirrten und zitternden Roger Morgenstern auf die Füße. Roger hatte gerade erst Harrys Leben gerettet, indem er seines aufs Spiel gesetzt hatte und es war schwer zu sagen, welcher der beiden mehr überrascht oder schockiert aussah. Sie lehnten sich erschöpft aneinander und sprachen eine Weile miteinander, aber wir konnten nicht hören, was sie sagten. Die Leute von der Kommunikation arbeiteten, angetrieben vom bösen Blick der Matriarchin, fieberhaft daran, die Audioübertragung wiederherzustellen, allerdings erfolglos. Offenbar hatte die Seelenkanone mit ihrem Feuer den Äther mit andersdimensionalen Energien übersättigt. Wir hatten Glück, dass wir immer noch über ein Bild verfügten, auch wenn der Kommunikations-Offizier genug Verstand hatte, das mit dem Glücksfaktor der Matriarchin eher anzudeuten als offen zu sagen. Auf dem Bildschirm stolperten Harry und Roger unsicher über die Wiese in Richtung Stonehenge, höchstwahrscheinlich auf der Suche nach Trumans unterirdischem Bunker.
Nur die beiden gegen Truman und all seine Armeen. Ich schätze, die Leute können einen immer überraschen, besonders wenn einer von ihnen ein halber Dämon ist.
Ich versuchte, sie zu rufen und ihnen zu sagen, dass Verstärkung auf dem Weg sei, aber sie konnten mich nicht hören. Ich versuchte sogar, sie über Seltsam zu erreichen, aber er konnte mir auch nicht helfen.
»Es ist der Turm«, sagte er und klang merkwürdig kleinlaut. »Er ist fertig, Eddie und beinahe bereit, aktiviert zu werden. Er lebt und ist wachsam, wenn auch nicht in einer Art, die du erkennen könntest. Und ich kann ihn denken hören. Er weiß, dass ich zusehe. Er kommt von einem noch fremderen Ort als ich, einer noch höheren Dimension. Die pure Macht, die in diesem Ding steckt, ist beängstigend. Die Eindringlinge, die Vielwinkligen, die Hungrigen Götter kommen - und ich habe Angst, Eddie.«