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JOHN LE CARRE

KRIEG IM SPIEGEL

»I wouldn't mind being a Pawn, if only I might join.«

»Wenn ich doch auch mit von der Partie sein könnte! Und wenn's als Bauer wäre, Hauptsache, ich könnte dabeisein.«

LEWIS CARROLL »ALICE HINTER DEN SPIEGELN«

 

Vorwort

Keine der Personen, Klubs, Institutionen und Nachrichtenorganisationen, die ich hier oder anderswo beschrieben habe, gibt es oder hat es meines Wissens jemals wirklich gegeben. Das möchte ich besonders hervorheben.

Ich schulde der Radio Society of Great Britain und Mr. R.E. Mollland ebenso Dank wie den Redakteuren der Zeitschrift »Aviation Week und Space Technology« oder Mr. Ronald Coles, die mich alle mit wertvollen technischen Ratschlägen unterstützt haben. Außerdem habe ich Miss Elizabeth Tollinton für die Hilfe zu danken, die sie mir als Sekretärin geleistet hat. Vor allem danke ich meiner Frau für ihre unermüdliche Mitarbeit.

Agios Nikolaos, Kreta Mai 1964

»Durch das Tragen einer schweren Last, wie zum Beispiel eines Koffers etc. kurz vor Beginn der praktischen Sendetätigkeit werden Handgelenke sowie Arm- und Fingermuskulatur zu gefühllos, um noch einwandfrei morsen zu können.«

Aus »Vollständiger Morsekurs« von F. TAIT, Pitman.

Erster Teil

TAYLORS EINSATZ

 

»Hier liegt ein Narr, der glaubte, voll Ungeduld den Osten drängen zu können.«

KIPLING

 

1. Kapitel

Schnee bedeckte den Flugplatz. Vom Nachtwind getrieben, war er im Nebel zusammen mit dem Geruch der See aus dem Norden gekommen. Nun würde er den ganzen Winter als eisiger, scharfer Staub auf der grauen Erde liegenbleiben, ohne zu tauen oder zu frieren, sondern gleichbleibend schäbig, wie ein Jahr ohne Jahreszeiten. Über ihm, wie der Rauch des Krieges, die dahintreibenden Nebelschwaden, die einmal einen Hangar verschlucken, dann den Radarschuppen, dann eine der Maschinen, um sie Stück für Stück, aller Farben beraubt, wieder auszuspeien; schwarzes Aas in einer weißen Wüste. Es war ein Bild ohne Tiefe, ohne Perspektive und ohne Schatten. Himmel und Erde verschwammen ineinander, und die Gebäude schienen in der Kälte eingeschlossen wie Leichen in einem Gletscher. Jenseits des Rollfeldes war nichts mehr - kein Haus, kein Hügel, keine Straße. Nicht einmal ein Zaun oder ein Baum. Nur der Himmel, der auf den Dünen lastete, und der ziehende Nebel, der über der sumpfigen Ostseeküste emporstieg. Irgendwo landeinwärts waren die Berge.

An dem langen Aussichtsfenster drängte sich eine schnatternde Schar deutscher Schulkinder mit warmen Mützen. Einige trugen Skikleidung. Taylor hatte die Handschuhe nicht ausgezogen. Er hielt ein Glas in der Hand und blickte schläfrig zu den Kindern hinüber. Ein Junge wandte sich um, starrte ihn an und errötete. Dann flüsterte er mit den anderen Kindern. Sie wurden still.

Taylor sah auf seine Armbanduhr, wobei er mit seinem Arm einen weit ausholenden Kreis beschrieb, teils um den Ärmel seines Wettermantels zurückzuziehen, teils weil das seine Art war. Er wollte, daß man ihn für einen Offizier hielt, für einen alten Haudegen, der im Krieg viel mitgemacht hatte, einem angesehenen Regiment und einem angesehenen Club angehörte.

Zehn vor vier. Die Maschine war schon eine Stunde verspätet. Sie würden den Grund dafür bald über den Lautsprecher bekanntgeben müssen. Er fragte sich, was sie durchsagen würden: Nebel vielleicht, oder verzögerter Start. Daß die Maschine an die dreihundert Kilometer vom Kurs abgekommen und südlich von Rostock war, wußten sie womöglich gar nicht. Auf keinen Fall würden sie es zugeben. Er leerte sein Glas und drehte sich zur Theke, um es abzustellen. Er mußte zugeben, daß manche dieser ausländischen Schnäpse, wenn man sie in ihrem eigenen Land trank, keineswegs schlecht schmeckten. Im Augenblick jedenfalls, mit ein paar Stunden, die man sich noch um die Ohren schlagen mußte und mit zehn Grad unter Null auf der anderen Seite des Fensters, hätte es auch wesentlich Unangenehmeres geben können als Steinhäger. Sobald er zurück war, würde er im Alias-Club veranlassen, daß man diesen Schnaps beschaffte. Das würde Aufsehen machen! Der Lautsprecher brummte, brüllte plötzlich los und verstummte wieder. Dann begann er noch einmal in der richtig eingestellten Lautstärke. Die Kinder starrten erwartungsvoll zu ihm hinauf. Die Ankündigung kam zuerst in Finnisch, dann in Schwedisch, schließlich auf englisch. Northern Air Services entschuldigten sich für die Verspätung ihres Charterfluges zwo-neun-null aus Düsseldorf. Kein Hinweis auf die Dauer der Verspätung, nichts von einer Begründung. Möglicherweise wußten sie es selbst nicht.

Taylor dagegen wußte den Grund. Er fragte sich, was wohl passieren würde, wenn er jetzt zu dieser naseweisen Hosteß in ihrem Glaskasten hinüberginge und ihr erklärte: Zwo-neun-null wird schon noch 'ne Weile dauern, meine Liebe, ist nämlich im steifen Nordwest über der Ostsee vom Kurs abgekommen; die Position ist beim Teufel. Natürlich würde das Mädchen ihm nicht glauben, hielt ihn womöglich noch für einen Spinner. Später freilich würde sie dann eines Besseren belehrt. Dann würde sie ihn für einen ziemlich ungewöhnlichen Mann halten, für etwas Besonderes. Draußen wurde es langsam dunkel. Die Schneefläche wirkte heller als der Himmel, und die geräumten Rollbahnen zogen sich durch das Weiß wie Dämme, deren Ränder von dem bunten Schimmer der Markierungsleuchten gesäumt waren. Im nächstgelegenen Hangar gossen Neonröhren ihr fahles Licht über Menschen und Maschinen. Der Platz davor wurde kurz aus der Dunkelheit gerissen, als ein greller Scheinwerferstrahl vom Kontrollturm darüberzuckte. Ein Feuerwehrauto war bei den Werkstattgebäuden auf der linken Seite abgefahren und gesellte sich nun zu den drei Ambulanzwagen, die bereits neben der Landebahn standen. Gleichzeitig flammte auf den Fahrzeugen das Blaulicht auf. Sie standen in einer Reihe und blitzten geduldig ihr bläuliches Warnsignal hinaus. Die Kinder deuteten darauf und schwatzten aufgeregt durcheinander.

Wieder kam aus den Lautsprechern die Stimme des Mädchens. Seit der letzten Durchsage konnten nur ein paar Minuten vergangen sein. Wieder wurden die Kinder still, um zuzuhören. Die Ankunft der Kursmaschine zwo-neun-null werde sich um mindestens eine weitere Stunde verzögern. Nähere Informationen werde man sogleich nach ihrem Eintreffen geben. In der Stimme des Mädchens schwang etwas mit, das teils Überraschung, teils Sorge sein mochte und sich auf das halbe Dutzend Menschen übertrug, die am anderen Ende des Warteraums saßen. Eine alte Dame sagte etwas zu ihrem Mann, nahm ihre Handtasche und ging zu der Gruppe von Kindern hinüber. Einige Zeit starrte sie dümmlich ins Zwielicht hinaus. Als sie dabei keine Beruhigung fand, wandte sie sich an Taylor und sagte auf englisch: »Was ist mit dem Flugzeug aus Düsseldorf passiert?« Nach dem kehligen, ungehaltenen Unterton ihrer Stimme zu urteilen, war sie Holländerin. Taylor schüttelte den Kopf. »Wohl der Schnee«, sagte er. Er war ein forscher Mann, das gehörte zu seinem militärischen Auftreten.

Taylor ging durch die Schwingtür in die Empfangshalle hinunter. Neben dem Haupteingang entdeckte er die gelbe Flagge der Northern Air Services. Das Mädchen hinter dem Schalter war sehr hübsch. »Was ist denn mit der Maschine aus Düsseldorf?« fragte er in seiner vertraulichen Art. Man sagte ihm nach, daß er es verstand, mit kleinen Mädchen umzugehen.

Sie lächelte und zuckte mit den Schultern. »Ich nehme an, es ist der Schnee. Im Herbst haben wir öfters Verspätungen.«

»Warum fragen Sie nicht den Chef?« schlug er mit einem Kopfnicken in Richtung des Telefons vor. »Man wird es über den Lautsprecher bekanntgeben«, sagte sie. »Sobald man etwas Näheres weiß.«

»Wer ist der Skipper, Schätzchen?«

»Bitte?«