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Sie ließen sich am Tisch nieder und stellten, wie es Kinder beim Essen tun, ihre Tassen klappernd vor sich ab. Leclerc saß am Kopfende des Tisches, die anderen an den Längsseiten. Der Stuhl am entgegengesetzten Ende blieb leer. Dann kam Haldane herein, und kaum hatte Avery ihn erblickt, wußte er, daß es zwischen ihm und Leclerc einen Kampf geben würde. Haldane sah auf den leeren Stuhl und sagte: »Der zugigste Platz ist für mich, wie ich sehe.« Avery stand auf, aber Haldane hatte sich schon gesetzt. »Lassen Sie nur, Avery, ich bin sowieso schon krank.« Er hustete, wie er es das ganze Jahr über tat. Offenbar konnte ihm nicht einmal das Sommerwetter helfen, denn er hustete zu allen Jahreszeiten. Die anderen fühlten sich unbehaglich. Woodford nahm sich einen Keks. Haldane warf einen Blick auf das Feuer. »Das ist das Beste, was die Gebäudeverwaltung bieten kann?« fragte er.

»Es liegt am Regen«, sagte Avery. »Der Regen verträgt sich nicht mit dem Feuer. Pine hat schon irgendwas unternommen, aber das hat es nicht besser gemacht.«

»Ach.«

Haldane war ein hagerer Mann mit langen, nervösen Fingern, ein in sich verschlossener Mensch mit langsamen Gesten, beweglichen Gesichtszügen, schütterem Haar, mager, streitsüchtig und trocken. Ein Mann, der anscheinend auf alles und jeden voller Verachtung herabsah, seine eigene Zeiteinteilung hatte und keinen fremden Rat annahm. Ein Mann, dessen Leidenschaft dem Lösen von Kreuzworträtseln und dem Sammeln von Aquarellen aus dem 19. Jahrhundert gehörte.

Carol brachte einen Stoß Akten und Karten herein und legte ihn auf Leclercs Schreibtisch, der im Gegensatz zu dem Rest des Zimmers sehr aufgeräumt war. Es gab eine Minute peinlicher Stille, bis sie wieder hinausgegangen war. Nachdem die Tür wieder sicher geschlossen war, fuhr sich Leclerc mit der Hand vorsichtig über sein schwarzes Haar, als sei es ihm irgendwie fremd.

»Taylor ist getötet worden. Sie haben inzwischen alle davon gehört. Er wurde vergangene Nacht in Finnland getötet, wo er unter einem falschen Namen unterwegs war.« Es fiel Avery auf, daß er den Namen Malherbe nie erwähnte. »Einzelheiten wissen wir nicht. Es sieht so aus, als hätte man ihn überfahren. Ich habe Carol gesagt, sie solle herumerzählen, daß es ein Unfall war. Ist das klar?« Sie sagten ja, es sei völlig klar. »Er war unterwegs, um von. von einem skandinavischen Kontaktmann einen Film in Empfang zu nehmen. Sie wissen, wen ich meine. Normalerweise schicken wir ja keine Kuriere in den Einsatz, aber dieser Fall war etwas Besonderes. Wirklich ein ganz besonderer Fall. Ich glaube, daß mir Adrian das bestätigen kann.« Mit offenen Händen machte er eine Bewegung nach oben, wobei sich seine Handgelenke aus den Manschetten befreiten. Er legte Handflächen und Finger senkrecht aufeinander; ein Gebet um Haldanes Unterstützung.

»Besonderes?« wiederholte Haldane langsam. Die Stimme war so dünn und scharf wie der ganze Mann. Sie war kultiviert, aber ohne Ausdruck und ohne Gefühl. Er war um seine Stimme zu beneiden. »Es war anders. Ja. Nicht zuletzt deshalb, weil Taylor starb.« Dann bemerkte er trocken: »Wir hätten ihn niemals schicken sollen. Niemals. Wir haben einen der wichtigsten Grundsätze der Geheimdienstarbeit verletzt. Wir benutzten einen Mann aus dem >offenen< Dienst für einen geheimen Auftrag. Damit will ich nicht sagen, daß es überhaupt noch eine geheime Seite in unserer Organisation gibt.«

»Wollen wir das Urteil darüber nicht unseren Meistern überlassen?« schlug Leclerc zimperlich vor. »Schließlich werden Sie zugeben müssen, daß wir täglich vom Ministerium gedrängt werden, Ergebnisse vorzulegen.« Er wandte sich erst nach rechts, dann nach links zu den seitlich am Tisch Sitzenden, um sie wie Aktionäre an dem Gespräch zu beteiligen: »Es ist an der Zeit, daß Sie die Einzelheiten erfahren. Es handelt sich um ein Thema, das der höchsten Geheimhaltung unterliegt. Ich bitte Sie, das zu bedenken. Ich schlage vor, das Wissen auf die Abteilungsleiter zu beschränken. Bisher war nur Adrian Haldane und ein oder zwei Leute aus seiner Auswertungsabteilung damit befaßt. Und John Avery als mein Assistent. Ich möchte betonen, daß der uns verwandte Dienst auch nicht das geringste davon weiß. Nun zu unseren eigenen Vorkehrungen. Das Unternehmen hat den Decknamen Mayfly.« Er sprach abgehackt, mit wirkungsvoller Stimme. »Es gibt für die Bearbeitung dieses Falles nur eine Akte, die jeden Abend an mich persönlich zurückzugeben ist, oder - wenn ich nicht da bin - an Carol. Eine Kopie ist für das Archiv. Wir haben dieses System während des Krieges für Einsatz-Akten gehabt, und ich glaube, alle sind damit vertraut. Es ist das System, das wir in Zukunft anwenden. Ich werde Carols Namen auf die Liste der Berechtigten setzen.« Woodford deutete mit seiner Pfeife auf Avery und schüttelte den Kopf: der junge John nicht, der war noch nicht mit dem System vertraut. Sandford, der neben Avery saß, erklärte es ihm. Die Archivakte wurde im Verschlüsselungsraum aufbewahrt, und es war verboten, sie von dort wegzunehmen. Alle neuen Vorgänge waren sofort in dieser Akte abzuheften. Die Berechtigungsliste war das Verzeichnis aller Personen, die befugt waren, darin zu lesen. Die Verwendung von Klammern war untersagt, alle Blätter hatten fest eingeheftet zu werden. Die Tischrunde blickte selbstgefällig auf Avery.

Sandford leitete die Verwaltung. Er war ein väterlicher Mann mit goldgefaßter Brille, der auf einem Motorrad ins Büro fuhr. Leclerc hatte ihn deswegen einmal ohne besonderen Grund zurechtgewiesen, und er stellte es weiter unten in der Straße ab, gegenüber dem Krankenhaus.

»Nun zu unserem Unternehmen«, sagte Leclerc. Die dünne Linie seiner zusammengelegten Hände teilte sein strahlendes Gesicht. Nur Haldane sah ihn nicht an, seine Augen waren zum Fenster gewandt. Draußen fiel der Regen sacht gegen die Häuser, wie Frühlingsregen in einem dunklen Tal. Leclerc stand unvermittelt auf und ging zu der Wandkarte von Europa hinüber. Auf ihr waren kleine Fähnchen eingesteckt. Während er sich auf die Zehen stellte und mit ausgestrecktem Arm die nördliche Hemisphäre zu erreichen versuchte, sagte Leclerc: »Wir haben hier einen kleinen Punkt, der uns Ärger mit den Deutschen macht.« Kurzes Gelächter. »In der Gegend südlich Rostocks. Es ist ein Fleck mit dem Namen Kalkstadt, hier, sehen Sie?« Sein Finger war der Ostseeküste Schleswig-Holsteins gefolgt, nach Osten gefahren und hielt nun ein oder zwei Fingerbreit neben Rostock.

»Um es mit einem Satz zu sagen: es gibt drei Anhaltspunkte, die den Verdacht nahelegen - ich könnte nicht sagen, daß sie ihn bestätigen -, daß dort in Beziehung auf militärische Anlagen etwas Großes vor sich geht.«

Er wandte sich um und sah seine Zuhörer an. Er gedachte, seinen Vortrag dort neben der Landkarte zu halten, um damit zu zeigen, daß er jede Einzelheit im Kopf hatte und nicht auf die Papiere an seinem Platz angewiesen war.

»Der erste Hinweis kam vor genau einem Monat, als wir den Bericht unseres Hamburger Vertreters Jimmy Gorton erhielten.«

Woodford grinste: großer Gott, der alte Jimmy war noch immer im Geschäft?

»In der Nähe von Lübeck war ein ostdeutscher Flüchtling herübergekommen. Er war durch die Trave geschwommen. Ein Eisenbahner aus Kalkstadt. Er ging zu unserem Konsulat und wollte Informationen über eine Raketenbasis bei Rostock verkaufen. Ich brauche nicht zu sagen, daß ihn das Konsulat hinauswarf. Da uns das Auswärtige Amt nicht einmal die Möglichkeit gibt, seinen Kurierdienst mitzubenutzen« - ein dünnes Lächeln -, »kann man kaum erwarten, daß es uns durch den Ankauf militärischer Nachrichten unterstützt.« Der Witz wurde mit fröhlichem Murmeln belohnt. »Wie dem auch sei. Durch einen glücklichen Zufall hörte Gorton von dem Mann und fuhr nach Flensburg, um mit ihm zu reden.« Diese Gelegenheit konnte Woodford nicht verstreichen lassen. »Flensburg? War das nicht der Ort, den wir 41 als deutsches U-Bootnest ausgemacht hatten?« In Flensburg hatte es ein großes Spektakel gegeben.