»Wer der Skipper ist, der Captain, der Flugkapitän!«
»Kapitän Lansen.«
»Taugt er was?«
Das Mädchen war entrüstet. »Kapitän Lansen ist ein außerordentlich erfahrener Pilot.« Taylor betrachtete sie grinsend. »Zumindest ist er ein sehr glücklicher Pilot, mein Schatz.« Man sagte, der alte Taylor kenne sich aus. Man sagte es im Alias-Club, an den Freitagabenden.
Lansen. Es war seltsam, diesen Namen so offen ausgesprochen zu hören. In der Gruppe wurde so etwas einfach nicht gemacht. Dort zogen sie Umschreibungen vor, Decknamen, irgend etwas anderes als den wirklichen Namen: Archieboy, unser fliegender Freund, unser Freund im Norden, der Junge, der die Fotos macht. Man verwendete sogar die geheimnisvollen Zusammenstellungen von Ziffern und Zeichen, unter denen der Mann in den Akten geführt wurde - aber unter gar keinen Umständen jemals seinen Namen.
Lansen. Leclerc hatte ihm in London ein Foto gezeigt: ein jungenhafter Fünfunddreißiger, blond und gut aussehend. Er hätte wetten mögen, daß diese Hostessen ganz verrückt nach ihm waren. Sie waren ohnedies kaum etwas anderes als Kanonenfutter für die Piloten. Jemand anderer kam da niemals zum Zuge. Taylor strich schnell mit der rechten Hand über die Außentasche seines Mantels, um sich zu vergewissern, ob das Kuvert noch da war. Diese Art Geld hatte er bisher noch nie transportiert. Fünftausend Dollar für einen Flug. Zwanzigtausend Mark steuerfrei für ein Abweichen vom Kurs über die Ostsee. Lansen machte so etwas nicht alle Tage, natürlich. Das war etwas Besonderes, wie Leclerc gesagt hatte. Er fragte sich, wie die Hosteß reagieren würde, wenn er sich jetzt über die Theke beugte und ihr erzählte, wer er war, und ihr das Geld in dem Umschlag zeigte. Er hatte noch nie ein Mädchen wie sie gehabt, das heißt, ein wirkliches Mädchen, hochgewachsen und jung.
Er ging wieder hinauf in die Bar. Der Barkeeper kannte ihn schon. Taylor deutete auf die Steinhägerflasche auf dem mittleren Bord und sagte: »Geben Sie mir noch so einen, bitte. Ja, aus diesem Kerl direkt hinter Ihnen, euer hiesiges Gift.«
»Das ist aus Deutschland«, sagte der Barkeeper. Taylor zog seine Brieftasche und nahm eine Banknote heraus. Hinter Zellophan steckte das Bild eines ungefähr neunjährigen Mädchens. Es trug eine Brille und hielt eine Puppe im Arm. »Meine Tochter«, erklärte er dem Barkeeper, und der Barkeeper zeigte ein wäßriges Lächeln.
Taylor hatte die bei Vertretern oft zu findende Gabe, den Klang seiner Stimme ganz der jeweiligen Gelegenheit anpassen zu können. Seine unaufrichtige, affektierte Sprechweise nahm einen überspannten Ton an, wenn er zu Leuten seiner Klasse sprach und es ihm darauf ankam, einen Rangunterschied zu betonen, den es nicht gab. Oder wenn er nervös war wie jetzt gerade.
Er mußte zugeben, daß er aufgeregt war. Für einen Mann seines Alters war es eine unheimliche Situation, statt routinemäßigen Kurierdiensten die Arbeit eines Agenten verrichten zu müssen. Das wäre eher ein Geschäft für diese Schweine im Rondell gewesen. Für Leute seiner Organisation war es jedenfalls nichts. Im Vergleich zu seiner gewohnten Tätigkeit war das hier eine schöne Bescherung. Hier draußen im Nichts sich selbst überlassen zu sein. Er begriff nicht, wie man einen Flugplatz an einem solchen Fleck errichten konnte. Im allgemeinen hatte er Auslandsreisen ja recht gern. Zum Beispiel den alten Jimmy Gorton in Hamburg zu besuchen, oder eine Nacht lang das Pflaster von Madrid zu treten. Er empfand es als angenehm, von Joanie wegzukommen. Ein paarmal hatte er auch die türkische Route gemacht. Obwohl er wirklich nichts für die Balkanesen übrig hatte, war es immer noch ein Honiglecken im Vergleich zu dieser Arbeit hier: mit Fahrkarte erster Klasse und die Koffer auf dem Sitz neben sich, in der Brusttasche einen Alliierten-Paß. Ein Mann, der diese Tätigkeit ausübte, der war schon was, fast so wie die Jungs aus dem diplomatischen Dienst. Das hier aber war anders, und es behagte ihm gar nicht.
Leclerc hatte gesagt, es sei eine große Angelegenheit, und Taylor glaubte ihm. Man hatte ihm einen Paß auf einen anderen Namen gegeben. Malherbe. Ausgesprochen wurde es Mällabi - hatten sie jedenfalls gesagt. Weiß Gott, wer den ausgesucht hatte. Taylor war nicht mal in der Lage, ihn zu buchstabieren. Als er heute morgen sein Hotelzimmer nahm, gab's beim Unterschreiben des Meldezettels eine richtige Schmiererei. Der Spesensatz war freilich enorm: Hundertfünfzig Eier pro Einsatztag, ohne Beleg. Im Rondell sollte es sogar hundertsiebzig geben, hatte er gehört. Da würde ganz schön was übrig bleiben, er könnte was für Joanie kaufen. Wahrscheinlich war' ihr das Bargeld sogar noch lieber.
Er hatte ihr natürlich von der Reise erzählt. Eigentlich hätte er das nicht tun sollen, aber Leclerc kannte Joanie nicht. Er zündete sich eine Zigarette an und hielt sie, nachdem er inhaliert hatte, in der hohlen Hand - wie ein Posten, der auf Wache raucht. Wie, zum Teufel, konnte man von ihm erwarten, daß er sich nach Skandinavien auf die Socken machte, ohne seiner Frau etwas davon zu sagen?
Er fragte sich, was die Kinder dazu treiben mochte, die ganze Zeit derart am Fenster zu kleben. Erstaunlich, wie sie mit dieser fremden Sprache zurechtkamen. Wieder schaute er auf die Uhr, fast ohne die Zeiger zu sehen. Er berührte den Umschlag in seiner Tasche. Besser, er trank nicht mehr. Er mußte einen klaren Kopf behalten. Er versuchte, sich vorzustellen, was Joanie gerade jetzt tat. Wahrscheinlich saß sie bei einem Gin und irgendwas. Die Arme - den ganzen Tag Arbeit.
Plötzlich wurde ihm bewußt, daß alle sehr still geworden waren. Der Barkeeper stand reglos und lauschte. Das am Tisch sitzende alte Paar lauschte auch mit dümmlichen Gesichtern, die sie dem Fenster zugekehrt hatten. Dann hörte er ganz deutlich das Geräusch. Es war ein Flugzeug - noch weit entfernt, aber im Anflug auf das Rollfeld. Er steuerte schnell auf das Fenster zu und war halbwegs dort, als der Lautsprecher begann. Nach den ersten auf deutsch gesprochenen Worten schwirrten die Kinder wie ein Schwarm Tauben in Richtung auf die Empfangshalle davon. Die Leute am Tisch waren aufgestanden, die Frauen griffen nach ihren Handtaschen, die Männer nach ihren Mänteln und Aktentaschen. Endlich kam die englische Durchsage: Lansen war im Begriff zu landen.
Taylor starrte in die Nacht hinaus. Von der Maschine war nichts zu sehen. Er wartete, während seine Angst wuchs. Es war wie der Weltuntergang, dachte er, da draußen schien die verdammte Welt unterzugehen. Angenommen, Lansen machte Bruch. Angenommen, sie fanden die Kameras. Jetzt wünschte er, ein anderer hätte die Sache übernommen. Woodford zum Beispiel. Ja, warum hatte es nicht Woodford selbst übernommen? Oder wenigstens den überschlauen Universitätsknaben Avery geschickt? Der Wind wehte kräftiger. Er hätte schwören können, daß der Wind viel stärker geworden war. Taylor sah es an der Art, wie er den Schnee aufwirbelte und über die Landebahn trieb, wie er an den Signallampen rüttelte, weiße Schneefahnen in die Höhe trieb und sie wie verhaßte Gebilde wieder beiseite fegte. Eine Sturmbö schlug plötzlich gegen das Fenster und ließ ihn erschreckt zurückfahren. Eiskörner prasselten gegen die Scheibe, und das Holz des Fensterrahmens knarrte. Wieder sah er auf die Uhr. Diese Geste war Taylor zur Gewohnheit geworden. Es schien ihm das Warten leichter zu machen.
Unter diesen Umständen würde Lansen es nie schaffen, nie im Leben.
Sein Herz stockte. Er hörte die Sirenen, die sich von einem sanften Wimmern zu klagendem Geheul steigerten - alle vier Wagen ließen ihre Sirenen gemeinsam über das gottverlassene Flugfeld heulen; es klang wie der Schrei verhungernder Tiere. Feuer! Das Flugzeug mußte in Flammen sein. Er hatte Feuer an Bord und war im Begriff, einen Landeversuch zu unternehmen. Taylor blickte voll Entsetzen um sich, ob es nicht jemanden gab, der ihm Näheres hätte sagen können.
Neben ihm stand der Barkeeper und polierte ein Glas, während er durch die Scheibe hinaussah. »Was ist los?« schrie Taylor ihn an. »Wozu die Sirenen?«
»Bei schlechtem Wetter stellen sie die Sirenen immer an«, sagte der Barkeeper. »Vorschrift.«