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Darüber wird Leclerc verärgert sein. Sutherland fuhr fort: »Das erschwert uns die Formalitäten. Die Kriminalpolizei behält den Toten, bis die Leichenschau beendet ist. Ich bat sie, sich zu beeilen, aber man kann sie nicht drängen.«

»Danke. Ich habe daran gedacht, die Leiche per Flugzeug überführen zu lassen.« Als sie von der Hauptstraße auf den Marktplatz einbogen, fragte Avery beiläufig, als habe er an der Antwort kein persönliches Interesse: »Was geschieht mit seinen Sachen? Ich nehme sie wohl am besten an mich, nicht wahr?«

»Ich bezweifle, daß die Polizei sie Ihnen aushändigen wird. Dazu muß der Staatsanwalt seine Erlaubnis gegeben haben. Der Bericht des Totenbeschauers geht zuerst an ihn; er gibt dann die Leiche frei. Hat Ihr Bruder ein Testament hinterlassen?«

»Ich habe keine Ahnung.«

»Sie wissen nicht zufällig, ob Sie als Testamentsvollstrecker bestimmt wurden?«

»Nein.«

Sutherland ließ ein trockenes, nachsichtiges Lachen hören. »Ich kann mich nicht des Eindrucks erwehren, daß Sie ein bißchen voreilig sind. Nächster Verwandter ist nicht ganz das gleiche wie Testamentsvollstrecker«, sagte er. »Ich fürchte, das gibt Ihnen keine rechtliche Handhabe, abgesehen von der Verfügung über die Leiche.« Er machte eine Pause, drehte sich um und sah über die Lehne seines Sitzes durchs Rückfenster hinaus, während er den Wagen in eine Parklücke manövrierte. »Selbst wenn die Polizei mir die persönlichen Effekten Ihres Bruders aushändigt, bin ich nicht berechtigt, sie Ihnen zu übergeben, ehe ich nicht Weisung vom Auswärtigen Amt habe. Und dort«, setzte er schnell hinzu, da Avery ihn unterbrechen wollte, »werden sie mir keine derartige Weisung erteilen, ehe nicht eine beglaubigte Abschrift des Testaments oder eine Verfügung der Verwaltungsbehörde vorliegt.« Tröstend fügte er hinzu: »Aber ich kann Ihnen einen Totenschein ausstellen.« Er öffnete seine Tür. »Falls die Versicherungsgesellschaften ihn verlangen.«

Er warf Avery einen Blick von der Seite zu, als frage er sich, ob er überhaupt etwas erben würde. »Das kostet Sie fünf Shilling für die Ausfertigung und fünf Shilling für jede beglaubigte Abschrift. - Was haben Sie gesagt?«

»Nichts.«

Sie stiegen beide die Treppen zur Polizeidirektion hinauf.

»Wir werden mit Inspektor Peersen zu tun haben«, erklärte Sutherland. »Er ist recht nett. Sie werden bitte alles mir überlassen.«

»Selbstverständlich.«

»Er hat mich immer sehr großzügig bei den Heimführungsfällen unterstützt.«

»Bei den was?«

»Bei den Heimführungen von britischen Staatsbürgern, die hier gestrandet sind. Wir haben im Sommer einen Fall pro Tag. Sie sind eine Schande. Übrigens, hat Ihr Bruder viel getrunken? Es sind einige Hinweise dafür vorhanden.«

»Es ist möglich«, sagte Avery. »Ich habe ihn in den letzten paar Jahren kaum gesehen.« Sie betraten das Gebäude. Leclerc stieg behutsam die breiten Treppen zum Ministerium hinauf, das zwischen den Whitehall Gardens und dem Fluß lag. Der wuchtige neue Eingang war von Plastiken in jenem faschistischmonumentalen Stil umgeben, wie ihn gewöhnlich Kleinstadtbehörden bewundern. Das teilweise modernisierte Gebäude wurde von Uniformierten mit roten Schärpen bewacht und verfügte über zwei Rolltreppen. Die eine, die herunterkam, war voll besetzt, denn es war halb sechs.

»Herr Unterstaatssekretär«, begann Leclerc schüchtern, »ich werde den Herrn Minister um eine weitere Überfliegung bitten müssen.«

»Eine solche Bitte ist Zeitverschwendung«, antwortete der Unterstaatssekretär mit Genugtuung. »Er war schon wegen der letzten äußerst beunruhigt. Er hat sich zu einer neuen Taktik entschlossen: es wird keine mehr geben.«

»Nicht einmal in einem solchen Fall?«

»Besonders nicht in einem solchen Fall.« Der Unterstaatssekretär berührte leicht die Ecken seines Eingangskorbes - die Geste eines Bankdirektors, der einen Kontenauszug vor sich hat. »Sie werden sich etwas anderes einfallen lassen müssen«, sagte er. »Irgendeinen anderen Weg. Gibt es denn keine schmerzlose Methode?«

»Keine. Ich nehme an, wir könnten versuchen, eine Abwanderung aus diesem Gebiet anzuheizen. Das ist aber eine langwierige Sache. Flugblätter, Propagandasendungen, finanziellen Anreiz. Im Krieg hat sich das gut bewährt. Wir müßten uns an ziemlich viele Leute wenden.«

»Das scheint eine höchst undurchführbare Idee zu sein.«

»Ja. Die Zeiten haben sich geändert.«

»Welche anderen Möglichkeiten gibt es noch?« drängte der Unterstaatssekretär.

Leclerc lächelte wieder, als sei er gerne einem Freund behilflich, aber nicht imstande, Wunder zu vollbringen. »Einen Agenten. Eine kurzfristige Operation. Hin und her, alles zusammen vielleicht eine Woche.« Der Unterstaatssekretär sagte: »Aber wer würde sich für einen solchen Job hergeben? Heutzutage?«

»Wer wirklich? Es wäre ein sehr kühner Versuch.« Das Zimmer des Unterstaatssekretärs war groß, aber dunkel, mit langen Reihen von Buchrücken an den Wänden. Die Modernisierung war bis zu seinem Vorzimmer vorgedrungen, das in zeitgenössischem Stil eingerichtet war, aber dort war sie stehengeblieben. Um sein Zimmer zu modernisieren, würde man sich bis zu seiner Pensionierung gedulden müssen. In dem marmorverkleideten Kamin brannte ein Gasstrahler. An der Wand hing ein Ölgemälde, das eine Seeschlacht darstellte. Der Lärm der Flußschiffe im Nebel drang bis zu ihnen. Es herrschte eine seltsam maritime Stimmung.

»Kalkstadt liegt ziemlich nahe der Grenze«, bemerkte Leclerc. »Wir müßten keine fahrplanmäßige Maschine benützen. Wir könnten einen Übungsflug machen, vom Kurs abkommen. Das ist schon öfters vorgekommen.«

»Genau.« Dann fuhr der Unterstaatssekretär fort: »Dieser Mann von Ihnen, der gestorben ist.«

»Taylor?«

»Namen interessieren mich nicht. - Er wurde ermordet, nicht wahr?«

»Das ist nicht bewiesen«, sagte Leclerc. »Aber Sie nehmen es an?«

Leclerc lächelte nachsichtig. »Ich glaube, wir wissen beide, Herr Unterstaatssekretär, daß es sehr gefährlich ist, Annahmen offen auszusprechen, wenn damit politische Entscheidungen verbunden sind. Ich bitte immer noch um die Erlaubnis, das Gebiet ein zweites Mal überfliegen zu dürfen.«

Dem Unterstaatssekretär schoß das Blut in die Wangen.

»Ich habe Ihnen gesagt, daß es nicht in Frage kommt. Nein! Ist das jetzt klar? Wir sprachen von Alternativen.«

»Ich glaube, es gibt eine Alternative, die aber kaum im Rahmen meiner Organisation liegt. Es betrifft eher Sie selbst und das Auswärtige Amt.«

»So?«

»Geben Sie den Londoner Zeitungen einen Wink. Bringen Sie es in Umlauf. Veröffentlichen Sie die Aufnahmen.«

»Und?«

»Beobachten Sie die Wirkung. Beobachten Sie die diplomatische Tätigkeit der DDR und Sowjetunion, die Verkehrsbewegungen. Werfen Sie einen Stein ins Nest und warten Sie ab, welche Folgen das hat.«

»Ich kann Ihnen genau sagen, welche Folgen das haben würde. Einen Protest von den Amerikanern, dessen Echo in den Gängen dieses Hauses noch in zwanzig Jahren hörbar wäre.«

»Natürlich. Das habe ich vergessen.«

»Dann sind Sie ein glücklicher Mensch. Sie regten an, einen Agenten hineinzuschicken.«

»Nur vorläufig. Ich wüßte nicht, wen.«

»Hören Sie zu«, sagte der Unterstaatssekretär mit der Endgültigkeit eines sehr müden Mannes. »Der Standpunkt des Ministers ist sehr einfach. Sie haben einen Bericht vorgelegt. Wenn er der Wahrheit entspricht, verändert er unsere gesamte Verteidigungsstellung. Tatsächlich verändert er alles. Mir ist jede Sensation zuwider, ebenso dem Minister. Da Sie den Hasen aufgestört haben, ist das mindeste, was Sie tun können, daß Sie nun auf ihn schießen.« Leclerc sagte: »Falls ich einen Mann fände, taucht das Problem der Mittel auf. Geld, Schulung, Ausrüstung. Vielleicht zusätzliches Personal. Verkehrsmittel. Ein Überfliegen hingegen...«

»Warum zählen Sie so viele Schwierigkeiten auf? Ich war immer der Meinung, ihr wärt für diese Dinge da.«