»Wir sind darauf spezialisiert, Herr Unterstaatssekretär. Aber ich habe meinen Stab verkleinert, wissen Sie. Beträchtlich verkleinert. Man muß auch ehrlich zugeben, daß uns einige unserer Funktionen entzogen worden sind. Ich habe nie versucht, die Uhr zurückzudrehen. Das hier ist hingegen« - er deutete ein Lächeln an - »eine etwas anachronistische Situation.« Der Unterstaatssekretär sah durch das Fenster auf die sich am Fluß hinziehende Lichterkette hinaus. »Mir kommt es ziemlich zeitgemäß vor. Raketen und all das Zeug. Ich glaube nicht, daß der Minister sie für anachronistisch hält.«
»Ich meine nicht das Ziel, sondern die Angriffsmethode: den gewaltsamen Grenzübertritt. Das ist seit dem Krieg kaum je gemacht worden, obwohl es eine Form der geheimen Kriegführung ist, mit der meine Organisation traditionsgemäß voll vertraut ist. Oder war.«
»Worauf wollen Sie hinaus?«
»Ich denke nur laut, Herr Unterstaatssekretär. Ich frage mich, ob das Rondell für diese Art Unternehmung nicht besser ausgerüstet ist. Vielleicht sollten Sie sich an Control wenden. Ich kann ihm die Unterstützung meiner Waffenspezialisten versprechen.«
»Das heißt, Sie glauben, die Sache nicht bewältigen zu können?«
»Nicht mit meiner augenblicklichen Organisation. Control kann es. Das heißt, falls der Minister nichts dagegen hat, eine andere Behörde einzuweihen. Eigentlich zwei. Ich war mir nicht bewußt, daß Sie sich wegen der Publizität solche Sorgen machen.«
»Zwei?«
»Control wird sich verpflichtet fühlen, das Auswärtige Amt zu informieren. So wie ich Sie informiert habe. Und von diesem Augenblick an müssen wir uns damit abfinden, daß man sich dort den Kopf darüber zerbrechen wird.«
»Wenn diese Leute davon wissen«, sagte der Unterstaatssekretär voll Verachtung, »dann ist es morgen das Gesprächsthema in jedem verdammten Klub.«
»Diese Gefahr besteht«, gab Leclerc zu. »Vor allem aber frage ich mich, ob das Rondell die militärischen Erfahrungen dazu besitzt. Ein Raketenstützpunkt ist eine komplizierte Sache: Abschußrampen, Abschirmanlagen, Kabelbatterien - alle diese Dinge erfordern genaues Arbeiten und sorgfältige Überprüfung. Control und ich könnten unsere Kräfte vereinen, denke ich...«
»Das kommt nicht in Frage. Ihr würdet dabei sehr schlecht harmonieren. Selbst wenn Ihnen eine Zusammenarbeit gelänge, würde das gegen den Grundsatz verstoßen, keinen monolithischen Apparat zu errichten.«
»Ach ja, natürlich.«
»Nehmen wir also an, Sie machen es selbst, nehmen wir an, Sie finden einen Mann. Was würde das erfordern?«
»Einen zusätzlichen Etat. Barmittel, ab sofort. Zusätzliches Personal. Ein Trainingslager. Direkten Schutz des Ministeriums in Form von Sonderpässen und Vollmachten.« Wieder die Spitze: »Und wenigstens etwas Hilfe von Control. wir könnten sie uns unter einem Vorwand verschaffen.«
Klagend hallte der Ruf eines Nebelhorns über das Wasser.
»Wenn es keine andere Möglichkeit gibt.«
»Vielleicht tragen Sie es dem Minister vor.« Schweigen. Dann sagte Leclerc: »Praktisch gesprochen, brauchen wir an die dreißigtausend Pfund.«
»Verrechenbar?«
»Zum Teil. Ich dachte, Sie wollten von Einzelheiten verschont bleiben.«
»Nicht, wenn das Schatzamt betroffen ist. Ich schlage vor, Sie machen eine Aufstellung der Kosten.«
»In Ordnung. Nur eine ungefähre Übersicht.« Wieder herrschte Schweigen.
»Im Vergleich zu der Gefahr kann man das wirklich nicht als große Summe bezeichnen«, sagte der Unterstaatssekretär, wie um sich selbst zu trösten. »Zu der möglichen Gefahr. Das soll klar sein: ich behaupte nicht, daß ich davon überzeugt bin. Ich habe nur den Verdacht, den schweren Verdacht.« Er konnte es sich nicht verkneifen hinzuzufügen: »Das Rondell würde das doppelte verlangen. Die werfen mit dem Geld herum.«
»Also dreißigtausend Pfund und unsere amtliche Unterstützung?«
»Und einen Mann. Aber den muß ich selbst finden.« Er lachte leise.
Der Unterstaatssekretär sagte unvermittelt: »Der Minister wird gewisse Einzelheiten nicht wissen wollen.
Sind Sie sich darüber im klaren?«
»Selbstverständlich. Ich nehme an, Sie werden den Großteil des Gesprächs bestreiten.«
»Ich nehme an, das wird der Minister tun. Es ist Ihnen gelungen, ihn ziemlich zu beunruhigen.« Jetzt lachte Leclerc laut heraus: »Das sollten wir unserem Herrn und gemeinsamen Meister niemals antun.« Der Unterstaatssekretär schien nicht der Meinung zu sein, sie hätten einen gemeinsamen Meister. »Übrigens, was Mrs. Taylors Pension betrifft«, sagte Leclerc. »Ich mache ein Gesuch an das Schatzamt. Dort sind sie der Meinung, der Minister sollte es unterzeichnen.«
»Ja, Herrgott, warum denn?«
»Es ist die Frage, ob er im Einsatz getötet wurde.« Der Unterstaatssekretär erstarrte. »Das ist ziemlich vermessen. Sie bitten um die Bestätigung des Ministeriums, daß Taylor ermordet wurde.«
»Ich bitte um eine Witwenpension«, protestierte Leclerc ernst. »Taylor war einer meiner besten Leute.«
»Natürlich. Das sind sie immer.« Der Minister sah bei ihrem Eintritt nicht auf. Der Polizeiinspektor erhob sich von seinem Stuhclass="underline" ein kleiner beleibter Mann mit ausrasiertem Nacken. Er trug Zivilkleidung. Avery hielt ihn für einen Detektiv. Er schüttelte ihnen mit einer berufsmäßig kummervollen Miene die Hände, hieß sie in modernen Sesseln mit Armlehnen aus Teakholz Platz nehmen und bot ihnen aus einer Dose Zigarren an. Sie lehnten ab, also zündete er sich selbst eine an und benützte sie hinfort sowohl als Verlängerung seiner kurzen Finger, wenn er seinen Worten durch Gesten Nachdruck verlieh, wie auch als Zeigestab, um in der rauchigen Luft Gegenstände zu beschreiben, von denen er sprach. Er bezeugte Averys Schmerz mehrmals seine Reverenz, indem er sein Kinn in den Kragen versenkte und ihm aus dem Schatten seiner struppigen Augenbrauen vertrauliche Blicke des Mitgefühls zuwarf. Zuerst erläuterte er den Sachverhalt des Unfalls, lobte mit einer ermüdenden Schilderung aller Details die Anstrengungen, die von der Polizei zur Auffindung des Autos gemacht worden waren, erwähnte mehrfach die persönliche Anteilnahme des Polizeipräsidenten sowie dessen sprichwörtliche Anglophilie und gab schließlich seiner eigenen Überzeugung Ausdruck, daß man den Schuldigen finden und mit der vollen Härte des finnischen Gesetzes bestrafen werde. Er verharrte eine ganze Weile bei seiner eigenen Bewunderung für die Briten, seiner Zuneigung für die Queen und Sir Winston Churchill sowie den Vorteilen der finnischen Neutralität, um schließlich auf die Leiche zu sprechen zu kommen.
Die Leichenschau, er sei stolz, dies sagen zu dürfen, sei beendet, und der Herr Öffentliche Ankläger - nach seinen eigenen Worten - habe erklärt, daß die Umstände, unter denen Mr. Malherbe den Tod gefunden hatte, keinen Anlaß zu irgendeinem weiteren Verdacht gäben, abgesehen von dem Vorhandensein einer beträchtlichen Menge Alkohols im Blut des Toten. Der Barkeeper am Flughafen habe fünf Gläser Steinhäger gezählt. Peersen wandte sich an Sutherland. »Wünscht er seinen Bruder zu sehen?« erkundigte er sich, da er offenbar glaubte, es sei besonders feinfühlend, wenn er diese Frage einer dritten Person stellte. Sutherland war verlegen. »Ich muß das Mr. Avery überlassen«, sagte er, als übersteige die Frage seine Kompetenzen. Beide Männer blickten auf Avery. »Ich glaube nicht«, sagte Avery. »Da gibt's nur eine Schwierigkeit«, sagte Peersen, »wegen der Identifizierung.«
»Identifizierung?« wiederholte Avery. »Von meinem Bruder?«
»Sie haben doch seinen Paß gesehen«, warf Sutherland ein, »ehe Sie ihn mir heraufgeschickt haben. Was ist die Schwierigkeit?«
Der Beamte nickte: »Ja, ja.« Er öffnete eine Schublade und zog eine Handvoll Briefe, eine Brieftasche und einige Fotografien heraus.
»Er hieß Malherbe«, sagte er. Er sprach fließend englisch mit starkem amerikanischem Akzent, was irgendwie gut zu seiner Zigarre paßte. »Sein Paß lautete jedenfalls auf Malherbe. Es war doch ein echter Paß, oder nicht?« Peersen sah schnell zu Sutherland, und für einen Augenblick dachte Avery, er könnte in Sutherlands umwölktem Gesicht ein gewisses ehrliches Zögern entdecken. »Natürlich.«