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Er war verzweifelt und voll Angst. Verworrene Bilder drängten sich ihm auf: Taylors schreckliches Gesicht, das er fast hätte betrachten müssen, blutüberströmt und mit weit aufgerissenen Augen, als wolle er eine entscheidende Entdeckung mitteilen, dazwischen Leclercs von leicht verletzlichem Optimismus erfüllte Stimme, der dicke Polizist, der ihn mißgünstig anstarrte, als sei er ein Gegenstand, den zu kaufen er sich nicht leisten konnte. Avery mußte erkennen, daß er kein Mensch war, der mit dem Alleinsein leicht fertig wurde. Es machte ihn traurig und sentimental. Er ertappte sich dabei, daß er zum erstenmal seit heute morgen, als er seine Wohnung verlassen hatte, an Sarah und Anthony dachte. Während er an seinen Jungen, die kleine Stahlbrille auf seiner Nase dachte, stiegen ihm plötzlich Tränen in die Augen, und er sehnte sich danach, seine Stimme zu hören, er sehnte sich nach Sarah und der vertrauten Umgebung seiner Wohnung. Vielleicht sollte er anrufen, mit ihrer Mutter sprechen, sich nach ihr erkundigen? Aber was, wenn sie wirklich ernsthaft krank war? Er hatte an diesem Tag schon genug gelitten, genügend Energie und Erfindungskraft aufgewendet, sich genug gefürchtet. Er war durch einen Alptraum gegangen, und man konnte von ihm nicht erwarten, daß er sie jetzt anrief. Er ging zurück in sein Bett.

So sehr er sich mühte - er fand keinen Schlaf. Seine Augenlider waren heiß und schwer, sein Körper erschöpft, und dennoch konnte er nicht schlafen. Draußen kam Wind auf und rüttelte an den Doppelfenstern. Einmal war ihm zu heiß, dann wieder zu kalt. Dann fiel er in eine Art Halbschlaf, nur um sofort wieder aus seiner unangenehmen Ruhe durch ein Weinen aufgeschreckt zu werden, das aus dem Nebenzimmer gekommen sein konnte, oder aber auch von Anthony, und ebensogut mochte das Geräusch, das er nicht genau gehört hatte und an das er sich jetzt im wachen Zustand nur undeutlich erinnern konnte, das metallische Schluchzen einer sprechenden Puppe gewesen sein.

Und einmal, es war kurz vor Anbruch der Dämmerung, hörte er vor seinem Zimmer einen Tritt, es war nur ein einzelner Schritt, draußen im Flur, und dieses Geräusch war sicher nicht eingebildet, sondern ganz wirklich, so daß er in eisigem Schrecken dalag und darauf wartete, daß sich die Klinke an seiner Tür bewegte oder daß die Männer Inspektor Peersens klopften. Er lauschte angespannt und hätte schwören können, daß er ein feines Knistern wahrnehmen konnte, wie von Stoff, dann ein unterdrücktes Atemgeräusch gleich einem winzigen Seufzer. Stille. Obwohl er noch endlose Minuten lang lauschte, hörte er nichts mehr.

Er knipste das Licht an, ging zum Stuhl hinüber, um seinen Füller zu holen. Er fand ihn schließlich beim Waschbecken. Aus der Aktentasche holte er eine lederne Schreibmappe, die ihm Sarah geschenkt hatte. Er ließ sich an dem wackligen Tischchen vor dem Fenster nieder und begann einen Liebesbrief zu schreiben. Er schrieb an irgendein Mädchen. Es hätte vielleicht Carol sein können. Als schließlich der Tag anbrach, zerriß er ihn wieder in kleine Schnitzel, die er in der Toilette hinunterspülte.

Dabei fiel sein Blick auf etwas Weißes, das auf dem Boden lag. Es war ein Foto von Taylors Kind. Das Mädchen hielt eine Puppe im Arm und hatte eine Brille auf, die gleiche Art Brillen, die auch Anthony trag. Das Bild mußte zwischen seinen Papieren gelegen haben. Er wollte es vernichten, aber irgendwie brachte er das nicht übers Herz. Er steckte es in die Tasche.

 

9. Kapitel

 

 HEIMKEHR

Wie Avery erwartet hatte, entdeckte er Leclerc in Heathrow unter den Wartenden; er stand auf den Zehenspitzen und spähte unruhig nach ihm aus. Er hatte die Zollbeamten irgendwie bestochen oder mußte das Ministerium dazu bewogen haben, ihm eine besondere Behandlung zu verschaffen, denn als er Avery erblickte, betrat er die Halle und bahnte Avery selbstsicher den Weg, als sei er es gewohnt, von Formalitäten verschont zu bleiben. Das ist das Leben, das wir führen, dachte Avery. Immer der gleiche Flughafen, nur mit jeweils anderen Namen, die gleichen eiligen, schuldbewußten Zusammenkünfte. Wir leben außerhalb der Stadtmauern, die Black Friars aus einem dunklen Haus in Lambeth. Er war todmüde und sehnte sich nach Sarah. Er wollte ihr sagen, daß es ihm leid tue, wollte sich wieder mit ihr versöhnen, eine neue Stellung suchen, einen neuen Anlauf nehmen, öfter mit Anthony spielen. Er schämte sich. »Ich will nur rasch telefonieren. Sarah fühlte sich bei meiner Abreise nicht recht wohl.«

»Rufen Sie vom Büro aus an, wenn es Ihnen nichts ausmacht«, sagte Leclerc. »Ich habe in einer halben Stunde eine Besprechung mit Haldane.« Da Avery den Eindruck hatte, in Leclercs Stimme schwinge ein falscher Ton mit, warf er ihm einen mißtrauischen Blick zu, aber die Augen des anderen waren auf den schwarzen Humber gerichtet, der auf dem reservierten Parkplatz stand. Leclerc ließ sich den Wagenschlag vom Fahrer öffnen, und nach einigem umständlichen Hin und Her saß Avery schließlich an Leclercs linker Seite, wie es offenbar das Protokoll verlangte. Der Fahrer schien das Warten satt zu haben. Zwischen ihm und ihnen gab es keine Trennwand. »Das ist eine Veränderung«, sagte Avery und deutete auf das Auto.

Leclerc nickte nur, als sei die Anschaffung für ihn keineswegs mehr neu. »Wie steht die Sache?« fragte er zerstreut.

»In Ordnung. Es ist doch nichts los? Mit Sarah, meine ich.«

»Warum sollte etwas los sein?«

»Blackfriars Road?« fragte der Fahrer, ohne den Kopf zu wenden, wie man es von einem Chauffeur erwarten konnte.

»Hauptquartier, ja.«

»Das war ein schreckliches Durcheinander in Finnland«, sagte Avery grob. »Die Papiere unseres Freundes... Malherbe... waren nicht in Ordnung. Das Auswärtige Amt hatte seinen Paß eingezogen.«

»Malherbe? Ach so, Sie meinen Taylor. Das wissen wir alles. Das ist jetzt schon geregelt. Nur die übliche Eifersucht. Control ist in der Tat ziemlich außer sich darüber. Er schickte uns seine Entschuldigung. Wir haben jetzt eine Menge Leute auf unserer Seite. Sie können sich davon keine Vorstellung machen, John. Sie werden uns sehr nützlich sein, John: Sie sind der einzige, der es an Ort und Stelle gesehen hat.« Was gesehen? fragte sich Avery. Sie waren wieder zusammen, mit der gleichen Intensität, dem gleichen körperlichen spürbaren Unbehagen, den gleichen Augenblicken geistiger Leere. Als Leclerc sich ihm zuwandte, glaubte Avery einen schrecklichen Augenblick lang, er werde ihm die Hand aufs Knie legen. »Ich sehe, Sie sind müde, John. Ich weiß, wie einem zumute ist. Macht nichts - Sie sind wieder bei uns. Hören Sie, ich habe eine gute Nachricht für Sie. Das Ministerium hat plötzlich enorm angebissen. Wir sollen eine Einsatzsondergruppe bilden, um die nächste Phase vorzubereiten.«

»Die nächste Phase?«

»Sicher! Den Mann, den ich Ihnen gegenüber erwähnte. Wir können die Dinge nicht so bewenden lassen. Wir sind zum Aufklären da, John, nicht nur zum Vergleichen der Ergebnisse anderer Leute. Ich habe die Sonderabteilung wieder ins Leben gerufen. Wissen Sie, was das ist?«

»Haldane leitete sie während des Krieges. Schulung.«

Leclerc unterbrach ihn eilig wegen der Anwesenheit des Fahrers:». Schulung der reisenden Vertreter. Und er wird sie auch jetzt wieder leiten. Ich habe beschlossen, daß Sie mit ihm arbeiten sollen. Ihr seid meine zwei besten Köpfe.« Er sah Avery von der Seite an.

Leclerc hatte sich verändert. In seinem Benehmen schwang eine neue Saite mit, etwas, das mehr war als Optimismus oder Hoffnung. Als Avery ihn das letzte Mal gesehen hatte, schien sein Leben nichts als ein Kampf gegen das Unglück zu sein: jetzt strahlte er Frische aus - ein Zielbewußtsein, das entweder neu oder sehr alt war. »Und Haldane hat angenommen?«