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»Ich sagte es schon.

Er arbeitet Tag und Nacht. Sie vergessen, daß Adrian ein Profi ist. Ein echter Routinier. Die alten Hasen sind für solche Jobs die besten. Mit einem oder zwei jungen Köpfen zur Seite.«

Avery sagte: »Ich möchte über die ganze Unternehmung mit Ihnen sprechen … über Finnland. Ich komme in Ihr Büro, sobald ich Sarah angerufen habe.«

»Kommen Sie gleich mit, dann kann ich Sie ins Bild setzen.«

»Ich rufe zuerst Sarah an.«

Wieder hatte Avery das unbegründete Gefühl, daß Leclerc ihn von einer Verständigung mit Sarah abzuhalten versuchte. »Es geht ihr doch gut, nicht wahr?«

»Soviel ich weiß, ja. Warum fragen Sie?« Dann setzte Leclerc liebenswürdig fort: »Froh, wieder zurück zu sein, John?«

»Ja, natürlich.«

Er ließ sich in die Polster des Wagens zurücksinken. Da Leclerc seine Feindseligkeit spürte, ließ er ihn eine Weile in Ruhe. Avery wandte seine Aufmerksamkeit der Straße und den stattlich aussehenden rosa Villen zu, an denen sie im leichten Regen vorüberfuhren. Leclerc begann wieder zu sprechen, jetzt mit seiner amtlichen Stimme. »Ich möchte, daß Sie gleich anfangen. Morgen, wenn es Ihnen möglich ist. Wir haben Ihr Zimmer hergerichtet. Es gibt eine Menge zu tun. Was diesen Mann betrifft: Haldane hat ihn schon in der Mache. Wir werden wahrscheinlich mehr darüber erfahren, sobald wir ins Amt kommen. Von jetzt an sind Sie Adrians Geschöpf. Ich glaube, das sagt Ihnen zu. Unsere Oberen haben eingewilligt, Ihnen einen Sonderausweis vom Ministerium zur Verfügung zu stellen. Das gleiche Ding, das sie im Rondell haben.« Avery kannte Leclercs Art zu erzählen: es gab Zeiten, da beschränkte er sich völlig auf dunkle Andeutungen, indem er nur Rohmaterial lieferte, das der Verbraucher und nicht der Lieferant auswerten mußte. »Ich möchte mit Ihnen über die ganze Sache reden. Nachdem ich Sarah angerufen habe.«

»Ist in Ordnung«, entgegnete Leclerc freundlich, »kommen Sie und erzählen Sie mir davon. Warum nicht gleich jetzt?« Er wandte Avery voll sein Gesicht zu - ein Ding ohne Tiefe, ein einseitiger Mond. »Sie haben gute Arbeit geleistet«, sagte er großherzig, »ich hoffe, Sie machen so weiter.« Sie hatten die Stadtgrenze von London erreicht. »Wir bekommen vom Rondell etwas Hilfe«, fügte er hinzu. »Man scheint dort ziemlich willig zu sein. Natürlich sind sie nicht ganz im Bild. Darauf hat der Minister großen Wert gelegt.«

Sie fuhren die Lambeth Road hinunter, in der der Kriegsgott residiert. Am einen Ende das Kriegsmuseum, am anderen Ende Schulen und dazwischen Krankenhäuser und ein Friedhof mit seiner an einen Tennisplatz erinnernden Umzäunung. Niemand weiß, wer in dieser Straße lebt. Im Vergleich zu der Zahl der Menschen, die man sieht, gibt es zu viele Häuser, die Schulen scheinen zu groß für die wenigen Kinder. Die Spitäler mögen vielleicht voll besetzt sein, aber die Jalousien sind heruntergezogen. Über allem liegt Staub, wie der Staub des Krieges. Er liegt auf den ausdruckslosen Fassaden, er erstickt das Gras auf den Gräbern: er hat die Menschen vertrieben, mit Ausnahme jener wenigen, die in dunklen Ecken wie die Geister von Gefallenen herumlungern oder schlaflos hinter gelb erleuchteten Fenstern warten. Es ist eine Straße, die den Eindruck macht, als wären ihr die Menschen häufig entflohen. Die wenigen, die zurückgekehrt sind, haben offenbar alle irgend etwas von ihren Reisen aus der lebendigen Welt mitgebracht: einer das Stück eines Feldes, ein anderer die zerfallende Terrasse im Regency-Stil, einen Schuppen oder Lagerhaus. Oder eine Kneipe, die >Blumen des Waldes< heißt.

Es ist eine Straße voller vertrauenswürdiger Unternehmen. Eines steht unter der Schirmherrschaft Unserer trostreichen Jungfrau, das andere unter der des Erzbischofs Amigo. Was weder Krankenhaus, Schule, Kneipe oder Seminar ist, scheint leblos unter dem allmächtigen, alles bedeckenden Staub. Es gibt ein Spielwarengeschäft, vor dessen Tür ein seit langem unberührtes Vorhängschloß hängt. Avery blickte jeden Tag auf seinem Weg ins Büro hinein: auf den Regalen verrostete das Spielzeug. Die Fensterscheiben waren blind vom Schmutz, und ihr unterer Rand hatte Streifen, Abdrücke von Kinderhänden. Es gibt auch ein Geschäft, wo man auf die Reparatur seines Gebisses warten kann. Avery betrachtete all dies durch die Scheiben des vorbeifahrenden Autos und hakte ein Objekt nach dem anderen auf der Liste seines Gedächtnisses ab, wobei er sich fragte, ob er diese Parade noch einmal würde abnehmen können, solange er noch Mitglied der Organisation war. Sie kamen an Lagerhäusern vorbei, über deren Tore Stacheldraht gespannt war, und an Fabriken, die nichts produzierten. In einer von ihnen läutete gerade eine Glocke, die aber niemand hörte. Dann kam eine verfallene Mauer mit Plakatanschlägen. »Heute bist du jemand in der Armee.« Sie verließen den Kreisverkehr des St. George's Circus und bogen schließlich in die Blackfriars Road ein.

Als sie sich dem Haus näherten, fühlte Avery, daß sich etwas verändert hatte. Einen Augenblick schien es ihm, als sei das bißchen Gras auf dem armseligen Stück Rasen während seiner kurzen Abwesenheit dicker und höher geworden, als seien die Betontreppen zum Haupteingang, denen es sogar im Hochsommer gelang, feucht und schmutzig zu wirken, jetzt sauber und einladend. Ehe er noch das Gebäude selbst betreten hatte, wußte er, daß ein neuer Geist in die Organisation Einzug gehalten hatte. Dieser Geist hatte selbst ihre unbedeutendsten Mitglieder erfaßt. Pine, der zweifellos von dem schwarzen Dienstwagen und dem plötzlichen Kommen und Gehen geschäftiger Leute beeindruckt war, sah adrett und munter aus. Ausnahmsweise machte er keine Bemerkung über die letzten Cricketergebnisse. Das Treppenhaus glänzte von frischem Bohnerwachs. Auf dem Gang begegneten sie Woodford. Er trug einige Akten, deren Deckel mit dem roten Vermerk >Streng geheim< versehen waren, und schien in Eile. »Tag, John! Gut gelandet also? Nette Gesellschaft gehabt?« Er schien sich wirklich über ihre Begegnung zu freuen. »Ist Sarah jetzt wieder in Ordnung?«

»Er hat sich gut gehalten«, sagte Leclerc schnell, »er hatte einen sehr schwierigen Einsatz.«

»O ja; armer Taylor. Wir werden Sie in der neuen Abteilung brauchen. Ihre Frau wird Sie ein oder zwei Wochen entbehren müssen.«

»Was hat er da über Sarah gesagt?« fragte Avery. Plötzlich hatte er Angst. Er eilte den Gang hinunter. Leclerc rief ihm etwas nach, aber er kümmerte sich nicht darum. Er betrat sein Zimmer und blieb wie angewurzelt stehen. Auf seinem Schreibtisch war ein zweites Telefon und an der Wand stand ein Eisenbett wie das von Leclerc. Neben dem neuen Telefon hing ein Liste mit Telefonnummern, die für den Alarmfall wichtig waren. Die nachts geltenden Nummern waren rot. An der Rückseite der Tür hing ein zweifarbiges Plakat mit dem Profil eines Männerkopfes, über dessen Stirn gedruckt war: >Behalte es hier!< Vor seinem Mund stand: >Laß es nicht heraus!< Es dauerte einige Sekunden, bis er verstand, daß dieses Plakat eine Ermahnung war, an die Sicherheit zu denken, und nicht etwa eine makabre Anspielung auf Taylor. Er nahm den Hörer ab und wartete. Carol kam mit einer Unterschriftsmappe herein.

»Wie ist's gegangen?« fragte sie. »Der Chef scheint zufrieden zu sein.« Sie stand sehr dicht neben ihm. »Gegangen? Es war kein Film da! Nicht unter den anderen Sachen. Ich trete aus, bin dazu entschlossen. - Was, zum Teufel, ist mit dem Telefon los?«

»Wahrscheinlich weiß man nicht, daß Sie schon zurück sind. Da ist ein Zettel von der Buchhaltung wegen der Rückvergütung einer Taxifahrt. Sie beanstanden die Rechnung.«

»Taxifahrt?«

»Von Ihrer Wohnung ins Büro. In der Nacht, als Taylor starb. Es ist angeblich zuviel.«

»Bitte machen Sie der Zentrale Beine. Die scheinen dort zu schlafen.«

Sarah hob selbst ab.

»Gott sei Dank, du bist es.«

Ja, sagte Avery, er sei vor einer Stunde angekommen. »Sarah, ich hab' es satt. Ich werde Leclerc sagen -« Aber ehe er zu Ende gesprochen hatte, platzte sie heraus: »John, um Himmels willen, was hast du nur getan? Wir haben die Polizei hier gehabt, Detektive. Sie wollten mit dir über eine Leiche sprechen, die am Londoner Flughafen eingetroffen ist. Irgend jemand, der Malherbe heißt. Sie sagten, die Leiche sei mit einem falschen Paß aus Finnland geschickt worden.« Er schloß die Augen. Am liebsten hätte er aufgelegt. Aber obwohl er den Hörer weit von sich weg hielt, hörte er noch immer ihre Stimme »John... John!« sagen. »Sie behaupten, er sei dein Bruder. Er ist an dich adressiert, John; irgendein Londoner Bestattungsinstitut hätte alles für dich erledigen sollen. John, John, bist du noch da?«