Haldane rauchte nicht, aber er hatte an der Bar eine Schachtel von Leisers Zigaretten gekauft und riß nun mit seinen dünnen Altmännerfingern das Zellophan herunter, um Leiser über den Tisch hinweg eine anzubieten. Ohne auf eine Antwort zu warten, setzte er hinzu: »Das Entscheidende in Kuba war, müssen Sie wissen, daß die Amerikaner Bescheid wußten. Es war eine Frage der Information. Als sie sie hatten, konnten sie was unternehmen. Allerdings konnten sie drüberfliegen. Das ist nicht in jedem Fall möglich.« Er lachte kurz. »Man fragt sich, was sie ohne diese Möglichkeit unternommen hätten.«
»Ja, das ist richtig.« Leiser nickte mit dem Kopf wie eine Marionette. Haldane achtete nicht darauf. »Möglicherweise hätten sie nicht weitergewußt«, meinte Haldane und schlürfte an seinem Whisky. »Übrigens, sind Sie verheiratet?«
Leiser grinste und hielt seine Hand flach mit abgespreiztem Daumen und kleinem Finger wie ein Flugzeug vor sich, mit dessen Tragflächen er wackelte. »So - so«, sagte er. Sein Schottenschlips war an seinem Hemd mit einer goldenen Klammer in der Form einer Reitpeitsche vor einem Pferdekopf befestigt. Sie war sehr geschmacklos. »Und Sie, Captain?« Haldane schüttelte den Kopf. »Nein«, bemerkte Leiser gedankenvoll. »Also nicht.«
»Es gab auch andere Fälle«, fuhr Haldane fort, »in denen schwerwiegende Fehler gemacht wurden, weil man entweder nicht die richtigen oder nicht genügend Informationen hatte. Ich meine, nicht mal wir können überall dauernd Leute haben.«
»Nein, bestimmt nicht«, sagte Leiser zuvorkommend. Das Lokal begann sich zu füllen. »Kennen Sie nicht einen anderen Platz, wo wir uns ungestört unterhalten können?« erkundigte sich Haldane. »Wir können was essen, ein bißchen über den alten Verein plaudern. Oder haben Sie eine andere Verabredung?« In den unteren Gesellschaftsschichten pflegte man ja ziemlich früh zu Abend zu essen. Leiser warf einen schnellen Blick auf seine Uhr. »Bis acht ist mir alles recht. Sie sollten was gegen Ihren Husten tun, Sir. Kann gefährlich werden, ein Husten wie Ihrer.« Die Uhr war aus Gold, mit einem schwarzen Zifferblatt und einem eigenen Zeiger für die Phasen des Mondes.
Der Unterstaatssekretär zeigte deutlich, wie lästig es ihm war, so lange aufgehalten zu werden. Leclerc sprach jedoch weiter: »Ich glaube, Ihnen berichtet zu haben, daß man sich im Auswärtigen Amt bei der Ausstellung von Pässen für Einsatzzwecke recht stur zeigt. Man hat es sich zur Gewohnheit gemacht, in jedem einzelnen Fall beim Rondell rückzufragen. Wir sind vollkommen ohne Status, das wissen Sie, nicht? Es fällt mir nicht leicht, mich mit diesen Dingen unbeliebt zu machen - man hat dort einfach nicht die geringste Vorstellung davon, wie wir arbeiten. Es wäre zu überlegen, ob es nicht die beste Lösung darstellte, wenn wir unsere Paßanforderungen über Ihr Sekretariat laufen ließen. Das würde es überflüssig machen, jedesmal zum Rondell gehen zu müssen.«
»Was meinen Sie mit stur?«
»Wie Sie sich vielleicht erinnern, hatten wir den armen Taylor unter einem anderen Namen fahren lassen. Das A. A. erklärte seinen Paß bereits einige Stunden, ehe er London überhaupt erst verlassen hatte, schon wieder für ungültig. Ich fürchte, das Rondell hat da einen groben administrativen Schnitzer gemacht. Jedenfalls wurde der Paß, mit dem die Leiche aus Kopenhagen hier ankam, aus diesem Grund nicht anerkannt, und wir hatten große Schwierigkeiten. Ich mußte meinen besten Mann schicken, damit er die Sache ausbügelt.« Eine spontane kleine Lüge. »Ich bin sicher, daß Control ziemlich leicht von der Notwendigkeit einer neuen Regelung überzeugt werden könnte, wenn der Minister darauf bestünde.« Der Unterstaatssekretär deutete mit dem Bleistift auf die zu seinem Sekretariat führende Tür. »Sagen Sie das da drin. Knobeln Sie was mit ihnen aus. Das klingt doch wirklich alles sehr dumm. Mit wem haben Sie es im Außenamt immer zu tun?«
»De Lisle«, sagte Leclerc befriedigt. »Er sitzt in der Abteilung für Allgemeines. - Und im Rondell mit Smiley.«
Der Unterstaatssekretär notierte das. »Man weiß wirklich nie, mit wem man dort reden soll. Die sind so überorganisiert.«
»Dann noch etwas: es könnte sein, daß ich das Rondell um technische Hilfe werde bitten müssen. Funkgeräte und dergleichen. Ich schlage vor, in diesem Fall eine Tarngeschichte zu erzählen. Ich halte das für sicherer. Am besten wäre es, zu sagen, daß wir ein großangelegtes Trainingsprogramm abwickeln wollen.«
»Tarngeschichte? - O ja: eine Lüge. Sie erwähnten das schon.«
»Nur eine Vorsichtsmaßnahme, nichts weiter.«
»Sie müssen tun, was Sie für nötig halten.«
»Ich habe mir vorgestellt, daß es auch Ihnen lieber sei, wenn das Rondell nichts weiß. Sie haben selbst gesagt: keinen monolithischen Apparat. Ich habe nach diesem Grundsatz gehandelt.« Der Unterstaatssekretär blickte wieder zur Uhr über der Tür. »Er war ziemlich schlecht gelaunt: ein schwieriger Tag mit dem Jemen. Ich glaube, daß zum Teil auch die Nachwahl in Woodbridge schuld daran ist. Er regt sich über diese Dinge am Rande immer sehr auf. Wie steht übrigens Ihre Sache? Sie hat ihm viel Kopfzerbrechen gemacht, müssen Sie wissen. Was darf er jetzt glauben?« Er machte eine Pause. »Diese Deutschen jagen mir wirklich Angst ein. Sie sagten, Sie hätten jemand gefunden, der ausgezeichnet dafür geeignet ist?« Sie traten auf den Korridor hinaus. »Wir sind an ihm dran. Wir haben ihn schon in Arbeit. Heute abend werden wir endgültig Bescheid wissen.« Der Unterstaatssekretär rümpfte kaum sichtbar die Nase, während er seine Hand schon auf die Türklinke des Minister-Zimmers legte. Er war ein gläubiges Mitglied der Anglikanischen Hochkirche und verabscheute alles Ungeordnete.
»Was treibt einen Menschen, derartige Aufträge zu übernehmen? - Nicht Sie, ihn meine ich.« Leclerc schüttelte schweigend den Kopf, als sei er völlig der gleichen Meinung. »Der Himmel mag's wissen. Das ist etwas, was nicht einmal wir verstehen.«
»Was für ein Mensch ist er? Aus welcher Schicht? - Nur allgemein, was Sie schätzen.«
»Intelligent. Autodidakt. Polnischer Herkunft.«
»Ach so. Ich verstehe.« Er schien erleichtert. »Wir werden es glimpflich machen, nicht wahr? Malen Sie es nicht zu schwarz. Er verabscheut jedes Drama.
Schließlich kann jeder Narr sehen, was die Gefahren sind.«
Sie gingen hinein. Haldane und Leiser nahmen an einem Ecktisch Platz, wie zwei Verliebte in einem Espresso. Es war eines dieser Restaurants, die leere Chiantiflaschen für die Atmosphäre und nicht viel mehr für ihre Gäste bieten. Schon morgen oder übermorgen würde es wieder verschwunden sein, ohne daß es irgend jemandem besonders auffiele, aber solange es da war - neu und voller Hoffnung -, war es gar nicht so schlecht. Leiser hatte ein Steak bestellt, wahrscheinlich eine Gewohnheit, und er saß steif mit an den Körper gepreßten Armen, während er aß. Haldane gab sich zunächst den Anschein, als habe er den Zweck seines Besuches vergessen. Er erzählte vage vom Krieg und von der Organisation, von Einsätzen, die er bis zu diesem Nachmittag, an dem er seine Erinnerung aus den Akten wieder auffrischte, schon fast gänzlich aus dem Gedächtnis verloren hatte. Er sprach - da dies ohne Zweifel wünschenswert schien - hauptsächlich von jenen Männern, die am Leben geblieben waren.
Er kam auf Übungen zu sprechen, an denen Leiser teilgenommen hatte. War er überhaupt noch so an der Funkerei interessiert? Nun ja, eigentlich nicht. Wie stand es mit der Selbstverteidigung, unbewaffnetem Nahkampf? Dazu hatte eigentlich die Gelegenheit gefehlt.
»Sie haben ja im Krieg einige ziemlich harte Augenblicke erlebt, soviel ich mich erinnere«, sagte Haldane schnell. »Gab's da nicht in Holland Schwierigkeiten?«
Sie waren wieder bei Selbstgefälligkeiten und den Erinnerungen an die alten Zeiten gelandet. Ein steifes Nicken. »Ich hatte vorübergehend Schwierigkeiten«, gab Leiser zu. »Ich war ja auch jünger, damals.«
»Was ist denn wirklich passiert?« Leiser sah Haldane an, blinzelnd, als hätte der andere ihn aufgeweckt, dann begann er zu sprechen. Es war eines dieser Kriegserlebnisse, die seit Kriegsausbruch in verschiedenen Variationen immer wieder erzählt worden sind, und es paßte so wenig zu dem sauberen kleinen Lokal wie Hunger und Armut, wobei es noch an Glaubwürdigkeit dadurch einbüßte, daß es berichtet wurde. Leiser erzählte, als habe auch er die Geschichte nur gehört, etwa wie einen Kampf, den er in einer Radioübertragung miterlebt hatte. Er war gefangengenommen worden, er war geflohen, er hatte sich sechs Tage ohne Verpflegung durchgeschlagen, hatte getötet, war versteckt und nach England zurückgeschmuggelt worden. Er erzählte gut. Vielleicht war es nur seine jetzige Vorstellung von den Kriegserlebnissen, vielleicht war es wahr. Aber wie eine südländische Witwe, die vom Tod ihres Mannes berichtet, hatte auch Leiser die Leidenschaft seines Herzens verloren und klammerte sich deshalb um so stärker an die des Erzählens. Er schien nur zu reden, weil man ihn darum gebeten hatte, wobei seine Geziertheit im Gegensatz zu der Leclercs weniger dem Wunsche entsprang, andere zu beeindrucken, sondern mehr dem Bedürfnis, sich selbst zu schützen. Er wirkte wie ein sehr verinnerlichter Mann, der sich nur vorsichtig tastend ausdrückte, ein Mensch, der lange allein gewesen war, ohne menschliche Beziehungen. Er schien ausgeglichen und doch nirgends verwurzelt zu sein. Seine Aussprache war gut, aber eindeutig die eines Ausländers, denn es fehlte ihm die gewisse Lässigkeit, das Verschlucken einzelner Silben, das selbst begabte Imitatoren niemals völlig beherrschen. Er hatte eine Stimme, die mit ihrer Umgebung vertraut, aber nicht in ihr zu Hause war.