Haldane hörte höflich zu. Als Leiser fertig war, fragte er: »Wie ist man eigentlich das erstemal auf Sie gekommen, wissen Sie das?« Sie waren sehr voneinander entfernt.
»Sie haben's mir nie erzählt«, sagte Leiser ausdruckslos, als sei es unpassend, nach so etwas zu fragen. »Ohne Zweifel sind Sie der Mann, den wir brauchen«, bemerkte Haldane schließlich. »Sie haben den deutschen Background, wenn Sie verstehen, was ich meine. Sie kennen diese Leute, nicht wahr? Sie haben mit den Deutschen Erfahrung.«
»Nur aus dem Krieg«, sagte Leiser. Dann sprachen sie über das Ausbildungslager. »Wie geht's diesem Dicken? George Soundso. Kleiner, trauriger Kerl.«
»Oh - dem geht's gut, danke.«
»Er heiratete damals ein hübsches Mädchen.« Leiser lachte unanständig, während er mit seinem rechten Arm das arabische Zeichen für sexuelle Tüchtigkeit machte. »Allmächtiger«, sagte er, immer noch lachend, »wir kleinen Burschen! Sind doch nicht zu schlagen.«
Es war ein außerordentlicher Lapsus. Haldane schien darauf gewartet zu haben. Er betrachtete ihn lange mit eisigem Gesicht, bis das Schweigen unüberhörbar geworden war. Dann stand er bedächtig auf. Er schien plötzlich sehr verärgert zu sein, verärgert über Leisers dummes Grinsen und diesen ganzen billigen, unnützen Flirt, verärgert über diese sinnlos wiederholten Blasphemien und diese gemeine Verhöhnung eines wertvollen Menschen.
»Würden Sie es bitte unterlassen, so etwas zu sagen?
George Smiley ist zufällig einer meiner Freunde.« Er winkte dem Ober, bezahlte und stelzte schnell aus dem Restaurant, in dem Leiser verwirrt und allein zurückblieb, mit einem White Lady elegant in der Hand und den Blick der braunen Augen unruhig auf die Tür gerichtet, durch die Haldane so unvermittelt verschwunden war.
Schließlich ging auch er. Langsam schlenderte er über die Fußgängerbrücke durch die Dunkelheit und den Regen, wobei er auf die Doppelreihe von Straßenlampen hinunterstarrte, zwischen denen der Verkehr dahinbrauste. Dann sah er zu seiner Garage hinüber, zu der Reihe erleuchteter Zapfsäulen und zu dem Turm, dessen Spitze von einem Herzen aus abwechselnd grün und rot leuchtenden 60-Watt-Birnen gekrönt war. Er betrat das hellerleuchtete Büro, sagte etwas zu dem Jungen und stieg langsam die Treppe hinauf, der plärrenden Musik entgegen.
Haldane wartete, bis er außer Sicht war, und eilte dann in das Restaurant zurück, um sich ein Taxi rufen zu lassen.
Sie hatte den Plattenspieler angestellt. Sie hörte der Tanzmusik zu, saß in seinem Stuhl und trank. »Gott, kommst du spät«, sagte sie. »Ich bin am Verhungern.« Er küßte sie.
»Du hast schon gegessen«, sagte sie. »Ich kann's riechen.«
»Nur 'ne Kleinigkeit, Bett. Ich mußte. Es war ein Mann hier, mit dem ich einen Drink nehmen mußte.«
»Lügner.«
Er lächelte. »Laß doch, Betty. Wir sind zum Abendessen verabredet, stimmt's?«
»Was für ein Mann?«
Die Wohnung war sehr sauber. Vorhänge und Teppiche hatten Blumenmuster, und auf allen polierten Flächen lagen Schondecken aus Spitze. Alles war geschont, Vasen, Lampen, Aschenbecher, alles sorgsam gehütet, als erwarte sich Leiser von der Natur nichts als nackte Vernichtung. Er hatte eine Vorliebe für einen Hauch Antike, die sich im verschnörkelten Schnitzwerk der Möbel und den schmiedeeisernen Lampenfüßen niedergeschlagen hatte. Es gab auch einen Spiegel in goldenem Rahmen und ein aus Laubsägearbeit und Gips angefertigtes Bild sowie eine neue Standuhr, deren kleine Gewichte sich unter einem Glassturz hin und her drehten. Als er das Barschränkchen öffnete, begann eine Spieluhr ihre kurze Melodie zu spielen. Er mixte sich mit großer Sorgfalt einen White Lady, wie ein Mensch, der sich eine Medizin zubereitet. Sie sah ihm dabei zu und zuckte im Takt der Musik mit ihren Hüften, wobei sie ihr Glas seitlich von sich weghielt, als sei es die Hand ihres Partners und als sei dieser Partner nicht Leiser. »Was für ein Mann?« wiederholte sie. Er stand vor dem Fenster, mit steifem Rücken, wie ein Soldat.
Der grelle Widerschein des flackernden Herzens auf dem Dach zuckte über die Häuser, erfaßte die Streben der Brücke und spiegelte sich zitternd auf der nassen Fahrbahn der Allee. Hinter den Häusern erhob sich die Kirche. Sie sah aus wie ein Kino, auf das man einen spitzen Turm mit gerillten Ziegeln gesetzt hatte, hinter dessen Öffnungen manchmal die Glocken läuteten. Hinter der Kirche war der Himmel. Manchmal glaubte er, die Kirche werde das einzige sein, was Bestand haben werde. Dann erschien ihm der Himmel über London wie vom Widerschein einer brennenden Stadt erhellt.
»Gott, bist du heute abend aber fröhlich!«
Die Kirchenglocken wurden von einem Tonband abgespielt, in vielfacher Verstärkung, damit sie den Lärm des Verkehrs übertönen konnten. An den Sonntagen verkaufte er sehr viel Benzin. Der Regen schlug jetzt kräftiger auf die Fahrbahn - er konnte sehen, wie er die Scheinwerfer der Autos dämpfte und grün und rot auf dem Asphalt tanzte. »Komm, Fred, tanz mit mir.«
»Noch einen Augenblick, Bett.«
»Ja Himmel, was ist nur los mit dir? Trink was und vergiß es!«
Er konnte hören, wie ihre Füße im Rhythmus der Musik über den Teppich schleiften und wie die Anhänger an ihrem Armband unermüdlich dazu klimperten. »Himmel noch mal, nun tanz schon.« Sie sprach undeutlich und zog die letzte Silbe jedes Satzes nachlässig weit über ihre normale Länge. Es war die gleiche berechnete Desillusion, mit der sie sich selbst hinzugeben pflegte - nämlich mürrisch, als gebe sie Geld, oder als gehöre das Vergnügen nur den Männern, während den Frauen nichts als Schmerz blieb.
Sie hielt mit einer gleichgültig-unvorsichtigen Bewegung des Tonarmes die Platte an. Im Lautsprecher hörte man, wie die Nadel über die Rillen kratzte. »Was, zum Teufel, ist eigentlich los?«
»Nichts. Gar nichts. Ich hab nur einen schweren Tag gehabt, das ist alles. Dann kam dieser Mann - jemand, den ich von früher kenne.«
»Ich frage dich immer noch: wer? Es war eine Frau, was? Irgendein Flittchen.«
»Nein, Betty, es war ein Mann.« Sie kam zu ihm ans Fenster und gab ihm gleichgültig einen Stoß. »Was ist denn so verdammt großartig an dieser Aussicht? Nichts als ein Haufen verrotteter kleiner Häuser. Du sagst selbst immer, daß sie dich ankotzen. Na, wer war es?«
»Er ist von einer der großen Gesellschaften.«
»Und sie wollen dich haben?«
»Ja... sie wollen mir ein Angebot machen.«