Sie nahmen sich ein Taxi nach Nord-Oxford und stiegen an der Straßenecke vor ihrer Villa aus. Avery betrachtete die Häuser, an denen sie in der Dämmerung auf dem Weg zu ihrem eigenen Domizil vorbeigingen. Er erspähte grauhaarige Gestalten, die sich hinter erleuchteten Fenstern bewegten, samtüberzogene Ohrensessel mit Spitzendeckchen, chinesische Wandschirme, Notenständer und eine Bridgerunde, die still im gelben Lampenlicht saß, wie verzauberte Höflinge in einem Schloß. Dies war eine Welt, von deren Existenz er früher einmal gewußt hatte und der er sich fast selbst einmal angehörig gefühlt hatte. Aber das war schon lange her.
Sie verbrachten den Abend damit, das Haus herzurichten. Haldane meinte, Leiser solle das hintere Schlafzimmer bekommen, dessen Fenster auf den Garten blickte, während sie selbst die Zimmer zur Straße nehmen würden. Er hatte einige wissenschaftliche Bücher, eine Schreibmaschine und etliche eindrucksvolle Akten vorausgeschickt, die er nun auspackte und im Eßzimmer auf dem Tisch ausbreitete, damit die Haushälterin des Besitzers, die jeden Tag zum Aufräumen kommen würde, ihre Neugier daran stillen könne. »Wir werden diesen Raum als Arbeitszimmer bezeichnen«, sagte er. Im Salon stellte er das Tonbandgerät auf.
Die mitgebrachten Tonbänder verschloß er in einem Wandschrank, dessen Schlüssel er mit peinlicher Sorgfalt an einem Schlüsselring befestigte. In der Eingangshalle warteten noch weitere Gepäckstücke: ein Filmprojektor aus den Beständen der Luftwaffe, eine Projektionsleinwand und ein grüner Leinenkoffer, der fest versperrt und mit Lederecken besetzt war. Das Haus war geräumig und gut erhalten. Die Möbel waren aus Mahagoni und hatten Messingbeschläge. Die Wände waren bedeckt mit den Porträts einer unbekannten Familie, Sepia-Federzeichnungen, Miniaturen, vom Alter vergilbten Fotografien. Auf einem Wandbrett stand eine Schale mit getrockneten, starkriechenden Blumen, und am Spiegel steckte ein Palmwedel. Von der Decke hingen schwere, aber unaufdringliche Leuchter herab, in einer Ecke stand ein Bibeltisch, in einer anderen die Statue eines kleinen und sehr häßlichen Cupido, der sein Gesicht ins Dunkel wandte. Das ganze Haus atmete verhalten den Duft hohen Alters, in dem wie Weihrauch eine höfliche, aber unnahbare Trauer mitschwang. Gegen Mitternacht waren sie mit dem Auspacken fertig. Sie ließen sich im Salon nieder. Die Marmorplatte über dem Kamin wurde von zwei Mohren aus Ebenholz getragen, und das Licht des Gasfeuers spielte über die Vergoldung der Rosengirlanden, mit denen ihre dicken Knöchel gefesselt waren. Der Kamin stammte aus einer Zeit - es könnte sowohl das 17. wie das 19. Jahrhundert gewesen sein -, in der die Mohrenknaben eben erst das Windspiel aus seiner Rolle als Schmucktier der Gesellschaft verdrängt hatten. Sie waren nackt, wie es ein Hund gewesen wäre, und lagen an einer Kette aus goldenen Rosen. Avery goß sich einen Whisky ein und ging dann zu Bett, während Haldane, in seine Gedanken versunken, zurückblieb.
Sein Zimmer war groß und dunkel. Über dem Bett hing eine Lampe mit einem Schirm aus blauem Porzellan. Auf dem Nachttisch lagen bestickte Deckchen, und ein kleines Emailschild flehte >Gottes Segen auf dieses Haus<. Neben dem Fenster hing ein Gemälde, auf dem ein Knabe im Gebet vor einem Bett kniete, in dem seine Schwester saß und frühstückte. Er lag und dachte an Leiser, und es war, als warte er auf ein Mädchen. Aus dem Zimmer gegenüber konnte er den fortwährenden Husten Haldanes hören, fort und fort. Er hatte noch nicht aufgehört, als er einschlief.
Leclerc fand Smileys Club ein seltsames Lokal, keineswegs das, was er zu finden erwartet hatte. Zwei Räume im Souterrain und ein Dutzend Menschen, die vor einem offenen Kaminfeuer an einzelnen Tischen saßen und speisten. Einige kamen ihm irgendwie bekannt vor. Er vermutete, daß sie mit dem Rondell zu tun hatten.
»Das sieht hier recht gut aus. Wie wird man Mitglied?«
»Oh, Sie können's nicht werden«, sagte Smiley bedauernd, wurde rot und fuhr fort: »Ich meine, sie nehmen keine neuen Mitglieder auf. Nur eine Generation. ein paar sind im Krieg geblieben, sind gestorben oder ins Ausland gegangen. Was hatten Sie auf dem Herzen, wollte ich fragen?«
»Sie waren so freundlich, dem jungen Avery behilflich zu sein.«
»Ja. ja, natürlich. Wie lief die Sache übrigens? Ich habe nichts mehr gehört.«
»Es war nur ein Übungseinsatz. Es gab gar keinen Film.«
»Ach so, Verzeihung.« Smiley sprach hastig und machte seine abschließende Bemerkung wie jemand, der einen Namen erwähnt hatte, ohne zu wissen, daß es der eines Toten war.
»Wir erwarteten gar nicht ernsthaft, daß ein Film vorhanden sein würde. Es war nur eine Vorsichtsmaßnahme. Wieviel hat Ihnen Avery eigentlich darüber erzählt? Wir trainieren nur ein paar unserer alten Hasen, und auch ein paar von unseren neuen Jungs«, erklärte Leclerc. »Das ist so etwas, was man in der toten Saison machen kann. Weihnachten, nicht wahr. Die Leute auf Urlaub.«
»Ich verstehe schon.«
Leclerc stellte fest, daß der Rotwein sehr gut war. Er wünschte sich nun, daß er in einen kleineren Club eingetreten wäre. Seiner hatte enorm nachgelassen. Man hatte solche Schwierigkeiten mit dem Personal. »Sie haben vielleicht davon gehört«, begann Leclerc dann förmlich, »daß mir Control seine volle Unterstützung für die Durchführung von Schulungsprogrammen angeboten hat.«
»Ja, ja, natürlich.«
»Mein Minister hat das angeregt. Er hält viel von dem Gedanken, ein Lager ausgebildeter Agenten zu schaffen. Als der Plan zum erstenmal auftauchte, bin ich gleich zu Control gegangen und habe selbst mit ihm darüber gesprochen. Später ist dann wieder Control an mich herangetreten. Sie wußten das wohl schon?«
»Ja. Control fragte sich.«
»Er war außerordentlich hilfsbereit. Glauben Sie nicht, ich wüßte das nicht zu schätzen. Es ist Einigkeit darüber erzielt worden - ich glaube, ich sollte Ihnen diese Details mitteilen, die Ihnen von Ihrem Büro bestätigt werden können -, daß wir möglichst weitgehend der Wirklichkeit entsprechende Verhältnisse schaffen müssen, wenn das Training sinnvoll sein soll. Früher nannten wir das >Gefechtsbedingungen<.« Er lächelte nachsichtig. »Wir haben ein Gelände in Westdeutschland ausgewählt. Es ist eine ungemütliche Gegend, fremd, ideal, um Grenzübergänge zu üben und derartige Sachen. Wir können die Hilfe der Armee in Anspruch nehmen, falls wir sie brauchen.«
»Ja, in der Tat. Eine wirklich gute Idee.«
»Aus grundsätzlichen Sicherheitserwägungen sind wir alle der Meinung, daß Ihre Dienststelle nur über jene Einzelheiten dieser Übung unterrichtet werden soll, bei denen Sie so gütig sind, mit uns zusammenzuarbeiten.«
»Control erzählte mir schon davon«, sagte Smiley. »Er möchte alles tun, was in seinen Kräften steht. Er wußte nicht, daß Sie diese Art Sachen überhaupt noch anfassen. Es freute ihn.«
»Gut«, sagte Leclerc kurz. Er schob seine Ellbogen auf dem Tisch etwas nach vorne. »Ich dachte, ich kann Sie vielleicht ein bißchen ausnützen. ganz unformell, natürlich, ungefähr so, wie ihr es von Zeit zu Zeit mit Adrian Haldane getan habt.«
»Natürlich.«
»Das wichtigste sind im Augenblick falsche Papiere. Ich habe in der Kartei unsere ehemaligen Fälscher heraussuchen lassen. Wie ich gesehen habe, sind Hyde und Fellowby schon vor einigen Jahren zum Rondell gegangen.«
»Ja. Es kam durch die Verlagerung des Schwerpunktes, wissen Sie.«