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Avery, der ihn beobachtete, fühlte sich plötzlich beunruhigt.

Er war ein Mensch, kein Schemen. Ein Mann mit einem kräftigen Körper und sinnvollen Bewegungen. Und doch war er wie ein Roboter, den sie lenken mußten. Es schien keinen Ort zu geben, zu dem er nicht marschieren würde. Er wirkte wie ein einrückender dem er nicht marschieren würde. Er wirkte wie ein einrückender Rekrut und hatte bereits dessen diensteifrige, frische Art angenommen. Aber Avery mußte sich eingestehen: keine Einzelheit dieser Unternehmung entsprach einer militärischen Dienstverpflichtung Leisers. Avery hatte sich jedoch während seiner kurzen Arbeit in der Organisation bereits mit der seltsamen Tatsache vertraut gemacht, daß einzelne Unternehmungen, die aus unerfindlichen Ursprüngen entstanden, zu keinem Ergebnis führten und doch Teil einer unendlichen Kette von Betätigungen waren. Sie verloren schließlich ihre eigene Wesenheit und hörten auf, als Einzelunternehmen erkennbar zu sein - nicht unähnlich einer fortgesetzten Reihe fruchtloser Liebesanträge, die in ihrer Gesamtheit als aktives Geschlechtsleben galten. Während er aber nun beobachtete, wie dieser Mann schnell und lebendig neben ihm dahinstapfte, erkannte er, daß sie bis zu diesem Augenblick innerhalb der Organisation nur eine Art geistiger Inzucht getrieben hatten, indem sie nichts als Ideen umwarben. Jetzt aber hatten sie es mit einem menschlichen Wesen zu tun, und hier, neben ihm, ging es, in Fleisch und Blut: Leiser. Sie stiegen in das Taxi, Leiser zuletzt, um ihnen den Vorrang zu lassen. Es war spät am Nachmittag, der Himmel hinter den kahlen Bäumen war grau. Aus den Schornsteinen von Nord-Oxford stiegen dicke Rauchsäulen wie die Zeichen keuscher Opferfeuer. Die Häuser zeigten eine bescheidene Stattlichkeit, jedes von ihnen schien als romantische Behausung einer anderen Sage herausgeputzt worden zu sein. Hier die Türmchen von König Artus' Schloß, dort die geschnitzten Gitter einer Pagode, dazwischen exotische Zwergnadelgewächse und halb sichtbare Wäsche, wie Schmetterlinge in einer falschen Jahreszeit. Die Häuser standen alle ordentlich jedes in seinem Garten, ihre Vorhänge waren säuberlich zugezogen, zuerst die Spitzengardinen und darüber der dicke Brokat, wie Unterrock und Rock. Es sah wie ein schlechtes Aquarell aus, auf dem die dunklen Farben zu schwer ausgefallen sind und der Himmel grau und schmutzig in der Dämmerung, die Farben zu stark verarbeitet. An der Straßenecke stiegen sie aus dem Taxi. Die Luft war vom Geruch modrigen Laubes durchzogen, und wenn es in der Nachbarschaft Kinder gab, so machten sie keinen Lärm. Die drei Männer gingen auf das Gartentor zu. Leiser stellte seine Koffer ab und betrachtete das Haus. »Hübsch«, sagte er anerkennend, und zu Avery gewandt: »Wer hat es ausgesucht?«

»Ich.«

»Sehr schön.« Er klopfte Avery auf die Schulter. »Gut gemacht!« Avery lächelte erfreut und öffnete das Tor. Leiser bestand darauf, erst nach den anderen hineinzugehen. Sie brachten ihn zu seinem Zimmer hinauf. Er trug immer noch seine Koffer selbst. »Ich werde später auspacken«, sagte er. »Ich mache das gern ordentlich!« Er ging mit prüfendem Blick durch das Haus und nahm einzelne Gegenstände in die Hand, um sie genauer betrachten zu können, als wolle er ein Angebot für das Haus machen. »Ein hübsches Haus«, erklärte er schließlich. »Mir gefällt's.«

»Gut«, sagte Haldane, als sei ihm das völlig gleichgültig.

Avery ging mit Leiser zu dessen Zimmer zurück, um ihm eventuell behilflich zu sein. »Wie heißen Sie?« fragte Leiser. Mit Avery allein fühlte er sich wohler, war ungezwungener. »John.«

Sie schüttelten sich noch einmal die Hand. »Guten Tag, also, John. Nett, Sie kennenzulernen. Wie alt sind Sie?«

»Vierunddreißig«, log John.

Ein Blinzeln. »Gott, ich wäre auch gern noch mal vierunddreißig. Haben Sie so was schon mal gemacht?«

»Kam von meinem Einsatz vor einer Woche zurück.«

»Und wie ist es gelaufen?«

»Prima.«

»Schau an. Wo ist Ihr Zimmer?« Avery zeigte es ihm.

»Sagen Sie, wie ist das hier eigentlich?«

»Was meinen Sie damit?«

»Wer leitet die Sache?«

»Captain Hawkins.«

»Sonst niemand?«

»Eigentlich nicht. Ich werde auch da sein.«

»Immer?«

»Ja.«

Leiser begann auszupacken. Avery sah ihm dabei zu. Er hatte mit Leder überzogene Bürsten, Haarwasser, eine ganze Batterie kleiner Flaschen mit anderen Toilettenartikeln, einen elektrischen Rasierapparat vom neuesten Typ, sowie Woll- und Seidenkrawatten, die zu seinen teuren Hemden paßten. Avery ging hinunter. Haldane hatte ihn erwartet. Er lächelte dem hereinkommenden Avery zu. »Na?« Avery hob in einer etwas übertriebenen Geste die Schultern. Er war stolz, aber gleichzeitig befangen. »Was halten Sie von ihm?« fragte er. Haldane antwortete trocken: »Ich kenne ihn ja kaum.« Er hatte eine besondere Art, Gespräche im Keim zu ersticken. »Ich möchte, daß Sie immer mit ihm zusammen sind. Gehen Sie mit ihm spazieren, machen Sie die Schießübungen mit, trinken Sie in Gottes Namen mit ihm, wenn das notwendig ist. Er darf nicht allein sein.«

»Was ist mit seinem Urlaub zwischendurch?«

»Das werden wir noch sehen. Inzwischen machen Sie, was ich Ihnen sage. Sie werden feststellen, daß er gern in Ihrer Gesellschaft sein wird. Er ist ein sehr einsamer Mensch. Und vergessen Sie nicht: er ist Engländer - Engländer bis ins Mark. Noch etwas - das ist äußerst wichtig - lassen Sie ihn nicht auf den Gedanken kommen, daß wir uns seit dem Krieg verändert haben. Die Organisation ist genau das geblieben, was sie einmal gewesen ist. Diese Illusion müssen Sie nähren, obwohl Sie natürlich« - er sagte es ohne zu lächeln - »viel zu jung sind, das überhaupt beurteilen zu können.«

Sie begannen am nächsten Morgen. Nach dem Frühstück kamen sie im Salon zusammen, und Haldane hielt eine kleine Rede.

Das Training werde in zwei jeweils vierzehn Tage dauernde und von einer kurzen Erholungspause unterbrochene Abschnitte zerfallen, sagte er. Im ersten Abschnitt sollten alte Kenntnisse aufgefrischt werden. Im zweiten werde man die neu belebten Fähigkeiten mit der bevorstehenden Aufgabe in Verbindung setzen. Erst während des zweiten Kurses würde Leiser seinen Decknamen, die dazugehörende Lebensgeschichte und den Zweck des Unternehmens erfahren; die Information würde aber nicht so weit gehen, daß man ihm das Zielgebiet oder die Einzelheiten der geplanten Einschleusung preisgeben werde. Ebenso wie in allen anderen Übungsfächern werde Leisers Training auch bei der Nachrichtenübermittlung zuerst das Grundsätzliche behandeln und dann zu den Einzelheiten seiner Aufgabe übergehen. Während der ersten Ausbildungsphase werde er sich wieder mit der Technik des Chiffrierens, mit dem Morsekode und den Wellenplänen vertraut machen. In der zweiten Phase werde er die meiste Zeit mit praktischen Sendeübungen unter beinahe einsatzmäßigen Bedingungen verbringen. Der Ausbilder werde im Laufe der Woche eintreffen.

Haldane erklärte all dies mit einer gewissen schulmeisterlichen Schärfe, während Leiser ihm aufmerksam zuhörte und durch ein gelegentliches Kopfnicken seine Zustimmung zum Ausdruck brachte. Avery fand es seltsam, daß Haldane kaum Anstrengungen machte, seinen Widerwillen zu verbergen. »In der ersten Phase werden wir feststellen, wieviel Sie noch beherrschen. Tut mir leid, aber wir werden Sie ziemlich in Trab halten. Wir möchten, daß Sie der Aufgabe gewachsen sind. Sie werden im Gebrauch von Handfeuerwaffen und unbewaffnetem Kampf unterrichtet, wir werden Ihre Nerven trainieren und die zum Handwerk gehörenden Fertigkeiten. An den Nachmittagen wollen wir so lange wie möglich Fußmärsche mit Ihnen machen.«