So endete der erste Tag, der für alle folgenden den Rhythmus ihres Ablaufes festgelegt hatte: für beide sorglose, erfüllte Tage voll Arbeit und vorsichtiger, aber sich vertiefender Zuneigung, während sich die Fertigkeiten der Knabenzeit erneut zu Waffen des Krieges wandelten.
Für den unbewaffneten Kampf hatten sie einen kleinen Turnsaal nahe Headington gemietet, den sie im Krieg benutzt hatten. Per Bahn war ein Ausbilder gekommen. Sie nannten ihn Sergeant. »Wird er überhaupt ein Messer in seiner Ausrüstung haben?« fragte er und setzte höflich hinzu: »Ich will nicht neugierig sein.« Er sprach mit walisischem Akzent.
Haldane zuckte die Achseln. »Wenn er es selbst will. Wir wollen ihn nicht zu sehr behängen.«
»Ein Messer hat viel für sich, Sir.« Leiser war noch im Umkleideraum. »Wenn er damit umgehen kann. Und die Jerries haben für so was nichts übrig, nicht das geringste.« In einem Handkoffer hatte er mehrere Messer mitgebracht, die er jetzt in der Art eines Handelsreisenden, der seine Muster vorlegt, auspackte. »Sie haben kalten Stahl niemals vertragen können«, erklärte er. »Der Trick ist, daß es nicht zu lange ist, Sir. Flach, mit zwei Schneiden.« Er wählte eines aus und hielt es in die Höhe. »Es gibt tatsächlich kaum etwas Besseres als das.« Es war ein breites flaches Messer wie ein Lorbeerblatt, mit unpolierter Klinge, der Griff war geformt wie ein Stundenglas , kreuzweise schraffiert, damit er fest in der Hand lag. Leiser kam auf sie zu, während er sich mit einem Kamm das Haar glattstrich.
»Schon mal mit so was gearbeitet?« Leiser betrachtete das Messer eingehend und nickte. Der Sergeant sah ihn genau an. »Ich kenne Sie, nicht wahr? Ich bin Sandy Löwe. Ein verdammter Waliser.«
»Sie haben mich im Krieg ausgebildet.«
»Himmelherrgott«, sage Löwe leise, »natürlich. Sie haben sich nicht sehr verändert, oder?« Sie grinsten sich scheu an und wußten nicht, ob sie sich die Hände schütteln sollten. »Also, los, wollen mal sehen, was Sie noch können.« Sie gingen zu der Kokosmatte in der Mitte des Saales, Löwe warf sein Messer Leiser vor die Füße, der sich brummend danach bückte. Löwe trug eine abgeschabte, sehr alte Tweedjacke. Er trat schnell ein paar Schritte zurück, während er sie auszog und sie sich mit einer einzigen Bewegung um den linken Arm wickelte, wie ein Mann, der sich anschickt, mit einem Hund zu kämpfen. Er bewegte sich langsam um Leiser herum, wobei er sein eigenes Messer zog und sein Gewicht leicht von einem Fuß auf den anderen verlegte. Er stand gebeugt, hielt den angewinkelten Arm mit ausgestreckten Fingern und der Handfläche nach unten locker vor seinen Leib. So gedeckt, ließ er seine Klinge rastlos vor sich hin- und hertanzen, während Leisers Augen auf ihn geheftet waren. Eine Zeitlang täuschten sie einander mit Finten und Ausweichmanövern. Einmal, als Leiser ausbrach, ließ Löwe es im Zurückweichen zu, daß Leisers Messer in den Stoff der um seinen Arm gewickelten Jacke schnitt. Dann ließ sich Löwe auf die Knie fallen und tat so, als wolle er das Messer hinter Leisers Deckung hinaufstoßen, und jetzt war es an Leiser, zurückzuspringen, aber er war wohl zu langsam, denn Löwe schüttelte den Kopf und rief »Halt!«, während er aufstand.
»Erinnern Sie sich?« Er zeigte auf Bauch und Oberschenkel, wobei er Arme und Ellbogen andrückte, als wolle er sich schmaler machen. »Halten Sie die Angriffsfläche klein.« Er ließ Leiser sein Messer weglegen und zeigte ihm Griffe. Er schlang seinen linken Arm um Leisers Nacken und gab vor, ihn in die Nieren oder Magen zu stechen. Dann bat er Avery, sich als Demonstrationsobjekt zur Verfügung zu stellen, und sie gingen gelockert um ihn herum, wobei Löwe mit seinem Messer auf die betreffenden Körperteile wies und Leiser zustimmend nickte. Hie und da, wenn ihm ein besonderer Trick wieder einfiel, lächelte er. »Sie halten die Klinge nicht genügend in Bewegung. Vergessen Sie nicht: Daumen oben, Klinge parallel zum Boden, Unterarm steif, Gelenk locker. Der Gegner darf Sie nie ruhig in den Blick bekommen, keinen einzigen Augenblick. Und die linke Hand zu Ihrer eigenen Deckung, ob Sie ein Messer haben oder nicht. Seien Sie niemals großzügig mit Ihrem eigenen Körper, das sage ich auch meiner Tochter immer.« Alle außer Haldane lachten pflichtschuldig. Danach kam Avery an die Reihe. Leiser schien darauf gewartet zu haben. Er nahm seine Brille ab und hielt das Messer so, wie Löwe es ihm zeigte. Er war wachsam und zurückhaltend, während Leiser breitbeinig wie eine Krabbe von einem Fuß auf den anderen trat, mal näher kommend, mal zurückweichend, wobei ihm der Schweiß über das Gesicht lief und seine kleinen Augen in Konzentration zusammengekniffen waren. Die ganze Zeit über spürte Avery, wie sich die Rillen des Messergriffes in seine Handfläche preßten, und seine Waden und Gesäßmuskeln begannen zu schmerzen, da er sein ganzes Gewicht auf den Zehen hielt, und Leisers zornige Augen suchten seinen Blick. Dann hatte sich Leisers Fuß hinter seine Ferse gehakt. Während er das Gleichgewicht verlor, fühlte er, wie das Messer seiner Hand entwunden wurde. Er fiel unter Leisers Gewicht nach hinten, wobei sich die Hand des Angreifers an seinen Hemdkragen klammerte.
Auch er lachte mit, während sie ihm auf die Beine halfen. Leiser bürstete den Staub von seinem Anzug. Die Messer wurden während der folgenden Turnübungen weggelegt. Avery machte mit.
Als sie damit zu Ende waren, sagte Löwe: »Jetzt machen wir noch einen Augenblick Selbstverteidigung, und damit ist Schluß für heute.« Haldane sah Leiser an. »War's zuviel für Sie?«
»Keine Spur.«
Löwe nahm Avery beim Arm und führte ihn auf die Matte. Zu Leiser sagte er: »Sie setzen sich auf die Bank, während ich Ihnen ein paar Dinge zeige.« Er legte Avery eine Hand auf die Schulter. »Uns interessieren nur fünf Stellen, ob wir jetzt ein Messer haben oder nicht. Welche sind das?«
»Leisten, Nieren, Bauch, Herz und Hals«, entgegnete Leiser müde.
»Wie bricht man einem Mann den Hals?«
»Gar nicht. Man zerschlägt die Luftröhre.«
»Was ist mit einem Schlag in den Nacken?«
»Nicht mit der bloßen Hand. Nicht ohne Waffe.« Er hatte das Gesicht in die Hände genommen. »Richtig.« Löwe bewegte seine offene Hand mit langsamer Bewegung auf Averys Hals zu. »Hand offen, Finger ausgestreckt, verstanden?«
»Verstanden«, sagte Leiser. »Was fällt Ihnen noch ein?«
Pause. »Die Tigerklaue. Angriff auf die Augen.«
»Das nie«, antwortete der Sergeant kurz. »Nicht als Angriff. Es läßt Sie völlig ungeschützt. Jetzt zu den Würgegriffen. Immer von hinten, ist das klar? Biegen Sie den Kopf zurück, so, die Hand auf die Kehle, so, und jetzt zupressen.« Löwe sah über die Schulter: »Schauen Sie hierher, bitte, ich mache das nicht zu meinem eigenen Vergnügen... also kommen Sie her, wenn Sie schon alles kennen, und zeigen Sie uns ein paar Griffe!«
Leiser stand auf, umschloß Lowes Arme, und eine Zeitlang rangen sie hin und her, wobei jeder darauf wartete, daß der andere eröffnete. Dann ließ Löwe los, Leiser stolperte, und ein Schlag von Lowes Hand auf seinen Hinterkopf ließ ihn vornüber hart auf die Matte fallen.
»Das kostet Sie eine Runde«, sagte Löwe grinsend, aber da war Leiser schon über ihm, drehte ihm den Arm brutal nach hinten und warf ihn hart zu Boden, wobei Lowes schmächtiger Körper auf die Matte prallte wie ein Vogel gegen die Windschutzscheibe eines Autos.
»Spielen Sie fair!« keuchte Leiser. »Oder ich werde Ihnen verdammt weh tun.«
»Niemals auf den Gegner stützen«, sagte Löwe kurz. »Und im Turnsaal nicht die Beherrschung verlieren.« Er rief zu Avery hinüber: »Jetzt sind Sie dran, Sir. Lassen Sie ihn tüchtig arbeiten.« Avery stand auf, zog seine Jacke aus und wartete auf Leisers Angriff. Er fühlte den starken Griff auf seinen Arm, und beim Vergleich mit dieser ausgewachsenen Kraft wurde ihm plötzlich die Schwäche seines eigenen Körpers bewußt. Er versuchte, die Unterarme des älteren Mannes zu packen, aber seine Hände vermochten sie nicht zu umfassen. Er versuchte, sich loszureißen, aber Leiser hielt ihn fest. Leisers Kopf war gegen den seinen gepreßt und der Geruch von Haaröl stieg ihm in die Nase. Er spürte die feuchten Bartstoppeln und die Hitze von Leisers angespanntem Körper. Er stemmte sich gegen Leisers Brust und bemühte sich verzweifelt, der erstickenden Umklammerung dieses Mannes zu entkommen. Als er sich zurückstieß, trafen sich ihre Blicke über der schlingernden Wiege ihrer verschlungenen Arme, als sähen sie einander zum erstenmal, und Leisers vor Anstrengung verzerrtes Gesicht löste sich in einem Lächeln, sein Griff lockerte sich.