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Löwe gesellte sich zu Haldane. »Er ist Ausländer, nicht wahr?«

»Pole. Wie macht er sich?«

»In seiner besten Zeit war er recht gut, würde ich sagen. Gefährlich, unangenehm. Guter Körper. Ist noch verhältnismäßig fit.«

»Ich verstehe.«

»Wie geht es Ihnen selbst, Sir? Alles in Ordnung?«

»Ja, danke.«

»Das ist gut. Zwanzig Jahre. Wirklich erstaunlich. Die Kinder sind alle schon erwachsen.«

»Tut mir leid, aber ich habe keine.«

»Ich spreche von meinen.«

»Ach so.«

»Sehen Sie noch irgendwen vom alten Verein, Sir? Wie geht's Mr. Smiley?«

»Ich fürchte, ich habe keinen Kontakt mehr. Ich bin kein geselliger Mensch. Wollen wir abrechnen?« Löwe nahm Haltung an, während Haldane sich anschickte, ihn zu bezahlen; Reisespesen, Honorar, siebenunddreißig Shilling für das Messer und zweiundzwanzig für die Scheide, die mit einer Feder versehen war, um das Herausziehen zu erleichtern. Löwe stellte ihm eine Empfangsbestätigung aus, die er aus Sicherheitsgründen mit S. L. unterschrieb. »Das Messer ist zu den Selbstkosten«, erklärte er. »Wir beziehen so was durch den Sportklub.« Er schien sehr stolz darauf zu sein.

Haldane gab Leiser einen Trenchcoat und halbhohe Stiefel, und Avery forderte ihn zu einem Spaziergang auf. Sie fuhren im Oberdeck des Autobusses bis Headington.

»Was war eigentlich heute morgen los?« fragte Avery. »Ich dachte, wir würden nur so herumblödeln, weiter nichts. Dann warf er mich.«

»Er konnte sich noch an Sie erinnern, nicht wahr?«

»Natürlich konnte er: warum hat er mir dann weh getan?«

»Es war nicht so gemeint.«

»Na gut, lassen wir das.« Er war noch immer aufgebracht.

Sie stiegen bei der Endstation aus und trotteten durch den Regen. Avery sagte: »Der Grund ist, daß er keiner von uns war - deshalb mochten Sie ihn nicht.« Leiser lachte und hakte sich bei Avery ein. Der in Schwaden langsam über die leere Straße treibende Regen lief über ihre Gesichter und in die Kragen ihrer Regenmäntel. Avery drückte seinen Arm an den Leib und hielt Leisers Hand darunter gefangen. Sie setzten ihren Spaziergang fort, beide waren zufrieden. Den Regen hatten sie vergessen oder nahmen ihn nicht ernst und sie scherten sich nicht darum, daß er ihre Kleider verdarb.

»Ist der Captain zufrieden, John?«

»Sehr. Er sagt, alles liefe nach Wunsch. Wir fangen bald mit dem Funken an, nur die Grundbegriffe. Jack Johnson soll morgen ankommen.«

»Es fällt mir alles wieder ein, John, das Schießen und all das. Ich hab' nichts vergessen.« Er lächelte. »Die alte Dreiacht.«

»Die Neun-Millimeter. Sie machen es großartig, Fred.

Wirklich gut. Der Captain hat's gesagt.«

»Der Captain hat's gesagt, John?«

»Genau das. Und er hat es nach London berichtet. Dort ist man auch zufrieden. Wir haben nur Angst, daß Sie ein bißchen zu.«

»Zu was?«

»Nun - zu britisch sind.« Leiser lachte. »Keine Bange, John.« Auf der Innenseite seines Armes, dort wo Leisers Hand lag, fühlte Avery eine angenehme, trockene Wärme.

Den Vormittag verbrachten sie mit dem Verschlüsseln. Haldane unterrichtete. Er hatte Seidentücher mitgebracht, die jeweils mit einem Kode von der Art bedruckt waren, wie Leiser ihn verwenden würde. Außerdem hatte er eine auf Karton geklebte Tabelle zur Umwandlung von Buchstaben in Zahlen bei sich. Er klemmte die Tabelle hinter die Marmoruhr auf dem Kaminsims und erläuterte sie in einem Vortrag. Seine Art war der Leclercs sehr ähnlich, aber ohne jede Geziertheit. Avery und Leiser saßen mit gezücktem Bleistift am Tisch und übertrugen nach Haldanes Anweisungen einen Text Absatz für Absatz in die auf der Tabelle angegebenen Zahlen, zogen diese von den Zahlenkolonnen auf den Seidentüchern ab und übersetzten das Ergebnis wieder zurück in Buchstaben. Es war eine Arbeit, die eher Geschicklichkeit als Konzentration erforderte, und da sich Leiser vielleicht allzusehr bemühte, wurde er unruhig und verwirrt. »Wir werden jetzt einmal zwanzig Gruppen nach der Stoppuhr übertragen«, sagte Haldane und diktierte von einem Blatt in seiner Hand eine aus elf Worten bestehende Meldung und die Unterschrift >Mayfly<. »Ab nächster Woche werden Sie es ohne Tabelle schaffen müssen. Ich stelle sie in Ihr Zimmer, und Sie müssen sie auswendig lernen. Los!«

Er drückte auf die Stoppuhr und ging zum Fenster, während die beiden Männer am Tisch fieberhaft arbeiteten und mit beinahe einstimmigem Murmeln einfache Additionen auf das Schmierpapier vor sich kritzelten. Avery konnte die wachsende Zerfahrenheit in Leisers Bewegungen bemerken, die unterdrückten Seufzer und Flüche, das ärgerliche Durchstreichen. Während er selbst nun absichtlich langsamer arbeitete, spähte er über Leisers Arm, um dessen Fortschritte festzustellen, und er sah, daß der Bleistiftstummel in Leisers Hand schweißverschmiert war. Ohne ein Wort zu sagen, tauschte er ruhig sein eigenes Blatt gegen das Leisers aus. Haldane, der sich gerade umwandte, schien es nicht bemerkt zu haben. Schon diese ersten Tage hatten genügt, deutlich zu machen, daß Leiser zu Haldane aufsah wie ein Kranker zu seinem Arzt, oder wie ein Sünder zu seinem Priester. Dieser Mann, der seine Stärke aus einem so gebrechlichen Körper gewann, hatte etwas Furchterregendes an sich.

Haldane tat so, als bemerke er Leiser gar nicht. Er hielt starrköpfig an seinen privaten Gewohnheiten fest. So unterließ er es nie, sein Kreuzworträtsel zu lösen, und bei den Mahlzeiten, während sie die Tonbänder ablaufen ließen, trank er allein seinen Burgunder, von dem er eine Kiste halber Flaschen aus der Stadt hatte liefern lassen. Seine Verschlossenheit war so vollkommen, daß man tatsächlich glauben konnte, allein die Nähe des Menschen widere ihn an. Und doch zog Haldane Leiser mit immer unwiderstehlicherer Kraft an, je ausweichender, je verschlossener er wurde. Auf Grund irgendwelcher geheimnisvoller Maßstäbe erschien er Leiser als Musterexemplar des englischen Gentleman, und was immer Haldane tat oder sagte, bestärkte Leiser nur in seiner Auffassung. Haldane war eindrucksvoller geworden. In London war er ein Mann, der langsam und pedantisch über die Korridore tappte, als suche er für seine Füße Halt. Hinter ihm stauten sich dann immer ungeduldig Büroboten und Sekretärinnen, die es nicht wagten, ihn zu überholen. Hier in Oxford dagegen zeigte er eine Beweglichkeit, die seine Londoner Kollegen erstaunt hätte. Seine vertrocknete Figur war wieder zum Leben erwacht, er hielt sich aufrecht. Selbst seine Unfreundlichkeit schien nun ein Zeichen besonderer Autorität. Nur sein Husten blieb - dasselbe gequälte, hoffnungslose Schluchzen, das diesen schmalen Brustkorb zu sprengen schien und in Haldanes magere Wangen rote Flecken trieb, was Leiser mit der stummen Sorge eines Schülers für seinen bewunderten Meister erfüllte.

»Ist der Captain krank?« fragte er Avery einmal, während er eine alte Ausgabe von Haldanes Times in die Hand nahm.

»Er spricht nie darüber.«

»Ich nehme an, das wäre ungezogen.« Seine Aufmerksamkeit war plötzlich von der Zeitung gefesselt, die offenbar noch niemand gelesen hatte - nur das Kreuzworträtsel war gelöst. Rundherum waren auf den Rand verstreut die Abwandlungen eines aus neun Buchstaben bestehenden Anagrammes gekritzelt. Verwirrt zeigte Leiser seine Entdeckung Avery. »Er liest sie nicht«, sagte er. »Er löst nur das Kreuzworträtsel.«