»Sicherheitszeichen?« fragte Avery. »Absichtlich gemachte Fehler, Sir; wie zum Beispiel ein Rechtschreibfehler in einer bestimmten Gruppe, statt eines A ein E oder so etwas. Wenn er uns mitzuteilen wünscht, daß man ihn geschnappt hat und er unter Aufsicht sendet, wird er das Zeichen auslassen.« Er wandte sich zu Haldane. »Sie kennen das ja, Captain.«
»Man hat in London davon gesprochen, ihm auch die Schnellübermittlung per Tonband beizubringen. Wissen Sie, was aus dieser Idee geworden ist?«
»Der Chef hat mir davon gesagt, Sir. Ich glaube, die Ausrüstung war nicht verfügbar. Ich kann auch nicht wirklich behaupten, daß ich viel davon verstehe. Seit meiner aktiven Zeit ist viel von diesem Transistorzeug dazugekommen. Der Chef sagte, wir sollten uns an die alten Methoden halten, aber die Frequenz alle zweieinhalb Minuten wechseln, Sir. Die Jerries sollen enorm scharf beim Peilen sein, heutzutage.«
»Welches Gerät hat man uns geschickt? Zum Herumtragen scheint es sehr schwer zu sein.«
»Es ist eines von der Art, die Mayfly im Krieg benützt hat, Sir. Das ist das Angenehme daran. Die alte B 2 im wasserdichten Gehäuse. Wenn wir wirklich nur ein paar Wochen haben, scheint kaum Zeit zu sein, irgend etwas anderes durchzunehmen. Nicht, daß er schon so weit wäre, damit arbeiten zu können.«
»Wieviel wiegt es?«
»Fast fünfzig Pfund, Sir, alles in allem. Das normale Koffergerät. Das Gewicht kommt durch die Wasserabdichtung, aber er braucht sie, wenn er über schwieriges Gelände muß. Besonders zu dieser Jahreszeit.« Er zögerte. »Aber beim Morsen ist er langsam, Sir.«
»Ja. Glauben Sie, daß Sie ihn rechtzeitig auf Touren bringen können?«
»Das kann ich nicht sagen, Sir. Nicht, bevor wir nicht auf dem Gerät arbeiten, daß uns die Finger krachen. Nicht vor dem zweiten Teil, nachdem er ein bißchen Urlaub gehabt hat. Im Augenblick werde ich ihn nur mal mit der Taste allein arbeiten lassen.«
»Danke«, sagte Haldane.
13. Kapitel
Nach Ablauf der ersten vierzehn Tage erhielt er achtundvierzig Stunden Urlaub. Er hatte es nicht verlangt, und als man ihm den Vorschlag machte, wegzufahren, schien er verwirrt. Unter keinen Umständen dürfe er sich in der Umgebung seiner Garage blicken lassen. Obwohl er schon am Freitag nach London hätte reisen können, meinte er, er wolle lieber erst am Samstag fahren, und obwohl man ihn nicht vor Montag früh zurückerwartete, sagte er, er werde womöglich schon Sonntag abend wieder da sein. Man betonte, daß er sich von allen seinen Bekannten fernhalten müsse. Seltsamerweise schien ihn das zu trösten. Avery war beunruhigt und ging zu Haldane. »Ich glaube nicht, daß wir ihn einfach so ins Blaue schicken sollten. Sie haben ihm gesagt, er dürfe weder nach South Park fahren noch seine Freunde besuchen, falls er welche hat. Ich sehe nicht ganz klar, wohin er dann gehen kann.«
»Sie glauben, er wird sich einsam fühlen?« Avery errötete. »Ich glaube, er wird sich die ganze Zeit über wünschen, zurückzukommen.«
»Dagegen können wir kaum etwas einzuwenden haben.«
Sie gaben ihm Tagegeld, alte Fünf- und Einpfundnoten. Er wollte es ablehnen, aber Haldane drängte es ihm auf, als gehe es dabei um ein Prinzip. Sie boten ihm an, ein Hotelzimmer für ihn zu bestellen, aber das lehnte er ab. Haldane schien es für selbstverständlich zu halten, daß er nach London fuhr, also machte er sich schließlich auf den Weg. Es war, als erfülle er eine Pflicht ihnen gegenüber.
»Er hat bestimmt irgendwo ein Weib«, sagte Johnson befriedigt.
Leiser fuhr mit dem Mittagszug und nahm einen schweinsledernen Koffer mit. Er trug seinen Kamelhaarmantel, der einen leicht militärischen Schnitt und Lederknöpfe hatte. Aber niemand mit Kinderstube hätte ihn je für einen englischen Offiziersmantel gehalten. Leiser gab seinen Koffer in der Aufbewahrung am Bahnhof Paddington ab und spazierte in die Praed Street hinaus, weil er nicht wußte, wo er hingehen sollte. Er schlenderte eine halbe Stunde umher, betrachtete die Schaufenster und las die in Anschlagkästen aufgehängten Anzeigen von leichten Mädchen. Es war Samstagnachmittag: eine Handvoll alter Männer mit Filzhüten und Regenmänteln strichen zwischen den Läden, die Pornographien feilboten, und den Zuhältern an der Ecke umher. Der Verkehr war sehr gering: eine hoffnungslose Feierabendstimmung erfüllte die Straße.
Im Filmklub verlangte man ein Pfund und gab ihm eine vordatierte Mitgliedskarte - wegen des Gesetzes. Dann hockte er zwischen schemenhaften Gestalten auf einem Küchenstuhl. Der Film war sehr alt; es hätte leicht sein können, daß er vor der Nazizeit aus Wien herübergekommen war. Zwei ganz nackte Mädchen tranken Tee. Es war ein Stummfilm, in dem nichts weiter geschah, als daß sie hin und wieder ihre Tassen zum Mund führten und dabei ihre Körperhaltung etwas veränderten. Sie wären jetzt wohl sechzig, wenn sie den Krieg überlebt hatten. Leiser stand auf, um zu gehen. Es war schon nach halb sechs, und die Kneipen machten auf. Als er am Kiosk neben dem Eingang vorbeikam, sagte der Manager: »Ich kenne ein Mädchen, das sich gerne einen netten Abend macht. Sehr jung.«
»Nein, danke.«
»Zweieinhalb Pfund; sie hat Ausländer gern. Sie macht es Ihnen ausländisch, wenn Sie wollen. Französisch.«
»Hauen Sie ab.«
»Sie haben's notwendig, mir das zu sagen.«
»Hauen Sie ab.« Leiser ging noch einmal zurück, und seine kleinen Augen funkelten plötzlich. »Wenn Sie mir das nächste Mal ein Mädchen anbieten, dann was Englisches, verstanden?«
Die Luft war jetzt milder. Der Wind hatte sich gelegt und die Straße war leer: der Betrieb hatte sich nach drinnen verlagert. Die Frau hinter der Bar sagte: »Kann Ihnen jetzt nichts mixen, mein Lieber, nicht ehe der Rummel vorbei ist. Sie sehen's ja selbst.«
»Ich trinke aber nichts anderes.«
»Tut mir leid, mein Lieber.«
Er bestellte Gin und Wermuth. Das Getränk war lauwarm und ohne Kirsche. Das Gehen hatte ihn ermüdet. Er saß auf der langen Polsterbank, die an der Wand entlanglief, und sah einer Runde von vier Männern zu, die Wurfpfeile in das an der Wand hängende Zielbrett schleuderten. Sie spielten, ohne ein Wort zu sagen, aber mit tiefer Hingabe, als seien sie sich bewußt, irgendeine rituelle Handlung auszuüben. Es war beinahe wie im Filmklub. Als einer von ihnen zu einer Verabredung mußte, riefen sie Leiser zu: »Machen Sie den Vierten?«
»Gerne.« Er war froh, daß ihn jemand angesprochen hatte, und stand auf. Aber im gleichen Augenblick kam ein Bekannter der drei herein, ein Mann namens Henry, und der spielte an seiner Stelle. Leiser war nahe daran, einen Streit zu beginnen, aber es schien ihm dann doch keinen Zweck zu haben. Auch Avery war allein ausgegangen. Zu Haldane hatte er gesagt, er mache einen Spaziergang, zu Johnson, er gehe ins Kino. Avery hatte eine Art zu lügen, die sich Vernunftsgründen entzog. Es trieb ihn einfach zu den alten, von früher her vertrauten Orten zurück: zu seinem College, zu den Buchläden, Kneipen und Bibliotheken. Das Semester ging gerade zu Ende. Oxford roch irgendwie weihnachtlich und trug dem Anlaß mit zimperlicher Bosheit Rechnung, indem es seine Schaufenster mit dem Flitter vergangener Weihnachten schmückte.
Er ging die Banbury Road bis zu der Straße hinunter, in der er und Sarah im ersten Jahr ihrer Ehe gewohnt hatten. Die Fenster der Wohnung waren dunkel. Während er vor dem Haus stand, versuchte er zuerst hinter den Mauern und dann in sich selbst eine Spur von Gefühl, Zuneigung, Liebe oder sonst etwas zu finden, das ihre Heirat gerechtfertigt hätte, aber er konnte nichts finden und nahm an, daß es nie etwas Derartiges gegeben hatte. Er suchte verzweifelt, wollte verstehen, was ihn bewegt hatte; aber er fand nichts: er starrte ein leeres Haus an. Er eilte heim, dorthin, wo Leiser wohnte.