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»Ja.«

Haldane sammelte Leisers übrige Kleidungsstücke zusammen. »Ich muß sie in den Rucksack packen«, sagte er mit einem Seitenblick zu Avery und verließ schnell den Raum. Leclerc nahm er mit. Leiser und Avery sahen einander schweigend an. Avery schämte sich, Leiser so häßlich zu sehen. Schließlich sagte Leiser: »Es gab nur uns drei: den Captain, Sie und mich - das war fein damals.

Kümmern Sie sich nicht um die anderen, John. Die sind ganz unwichtig.«

»Das stimmt, Fred.«

Leiser lächelte. »Diese Woche, John - das war prima. Komisch, nicht wahr: die ganze Zeit laufen wir den Mädchen nach, aber wirklich zählen, das tun die Männer, nur die Männer.«

»Sie gehören zu uns, Fred. Haben immer dazugehört. All die Jahre war Ihre Karte da, die ganze Zeit gehörten Sie zu uns. Wir vergessen das nicht.«

»Wie sieht sie aus?«

»Es sind zwei zusammengeheftete Blätter, eines für damals, eins für jetzt. Sie stehen in dem Kasten - wir nennen es >Agenten im Einsatz<. Ihr Name ist der erste. Sie sind unser bester Mann.« Er konnte es sich jetzt richtiggehend vorstellen. Diese Kartei war etwas, das sie gemeinsam geschaffen hatten, und er konnte an sie glauben wie an die Liebe. »Sie sagten aber, es sei alphabetisch geordnet«, sagte Leiser scharf. »Sie sagten, es gebe für die besten eine Spezialkartei.«

»Die Großen Tiere werden vorn eingestellt.«

»Und ihr habt eure Männer überall in der Welt?«

»Überall!«

Leiser runzelte nachdenklich die Stirn, als müsse er eine nur ihn allein angehende Frage entscheiden. Langsam ließ er seinen Blick durch das kahle Zimmer schweifen, dann sah er auf seine groben Jackenärmel hinunter und schließlich zu Avery, auf dem er seine Augen scheinbar endlos ruhen ließ, bis er endlich sein Handgelenk faßte - ganz leicht nur, mehr um zu fühlen, als um zu führen - und mit angehaltenem Atem sagte: »Gib mir etwas. Gib mir was, das ich mitnehmen kann. Etwas von dir, irgendwas.« Avery grub in seinen Taschen, aus denen er ein Taschentuch, Kleingeld und ein Stück zusammengefalteten dünnen Karton hervorkramte. Er klappte den Karton auseinander; es war das Foto von Taylors kleiner Tochter.

»Ist das dein Kind?« Leiser blickte über Averys Schulter auf das kleine bebrillte Gesicht hinunter. Seine Hand schloß sich um die Averys. »Das möchte ich.« Avery nickte. Leiser steckte das Bild in seine Brieftasche. Dann nahm er seine Uhr vom Tisch. Sie war aus Gold und hatte ein schwarzes Zifferblatt, das auch die Mondphasen anzeigte. »Nimm du sie«, sagte er. »Behalte sie.« Dann fuhr er fort: »Ich habe dauernd versucht, mich wieder an zu Hause zu erinnern. Wir hatten eine Schule: mit einem riesigen Hof wie in einer Kaserne, nichts als Fenster und Regenrinnen. Nach dem Essen haben wir dort immer Ball gespielt. - Da war ein Tor und dahinter der Weg zur Kirche, dahinter der Fluß.« Er beschrieb die Stadt mit seinen Händen, als lege er Ziegelsteine aufeinander. »Sonntags gingen wir immer hin, durch die Seitentür, die Kinder zuletzt, weißt du.« Plötzlich lächelte er überlegen. »Diese Kirche blickte nach Norden«, erklärte er, »und keineswegs nach Osten.« Unvermittelt fragte er dann: »Und du - wie lange? Wie lange bist du schon dabei?«

»Bei der Organisation?«

»Ja.«

»Vier Jahre.«

»Wie alt warst du damals?«

»Achtundzwanzig. Es ist das Mindestalter.«

»Du hast mir doch gesagt, du wärst vierunddreißig.«

»Man wartet auf uns«, sagte Avery. Rucksack und Koffer - aus grünem Leinen, mit Lederecken - standen in der Halle bereit. Er probierte den Sitz des Rucksacks und verstellte die Riemen, bis er ihm hoch auf dem Rücken hockte wie die Schultasche eines deutschen Jungen. Dann nahm er den Koffer auf und wog beides. »Nicht so schlimm«, murmelte er. »Weniger geht nicht«, sagte Leclerc. Sie flüsterten jetzt nur noch, obwohl niemand sie hören konnte. Einer nach dem anderen kletterte in das Auto. Ein hastiger Händedruck und dann marschierte er los, dem Hügel entgegen. Es gab keine großen Worte, nicht einmal von Leclerc. Fast schien es, als hätten sie sich schon vor langer Zeit von Leiser getrennt. Das letzte, was sie von ihm sahen, war der leise auf und ab schwankende Rucksack, während er in der Dunkelheit verschwand. Sein Gang hatte schon immer einen eigenen Rhythmus gehabt.

18. Kapitel

 

Leiser lag im dichten Farnkraut am Ende des Hügels. Er starrte auf das phosphoreszierende Zifferblatt seiner Uhr. Noch zehn Minuten. Der Schlüsselbund war ihm aus der Tasche geglitten, und er schob ihn zurück. Während er die Hand zurückzog, fühlte er die Glieder der Kette wie die Perlen eines Rosenkranzes durch seine Finger gleiten. Einen Augenblick ließ er sie verweilen: in dieser Berührung lag Trost, in ihr lag etwas von seiner Kindheit: »Sankt Christophorus und alle deine Engel, bitte beschütze uns auf der Reise.« Vor ihm fiel das Gelände steil bis zur Talsohle ab. Er hatte es gesehen, er wußte, daß es so war. Aber während er jetzt hinunterblickte, konnte er in der Dunkelheit nichts erkennen. Angenommen, dort unten war Sumpf? Es hatte geregnet und das Wasser hatte sich im Tal gesammelt. Er sah sich bis zum Bauch durch den Schlamm waten und den Koffer auf seinem Kopf balancieren, während rings um ihn die Kugeln ins Wasser klatschten.

Er versuchte, jenseits des Tales den Turm zu erkennen, aber falls es ihn noch gab, war er vom Schwarz der Bäume verschluckt.

Sieben Minuten. Machen Sie sich wegen der Geräusche keine Sorgen, hatten sie gesagt, der Wind wird sie nach Süden tragen. Bei diesem Wind werden sie überhaupt nichts hören. Laufen Sie neben dem Weg, auf der südlichen, das heißt also der rechten Seite, bleiben Sie auf dem neuen, durch das Farnkraut getrampelten Pfad. Er ist eng, aber frei. Wenn Ihnen jemand entgegenkommt, nehmen Sie das Messer. Aber gehen Sie um Gottes willen nicht auf dem Weg. Der Rucksack war schwer. Zu schwer. Der Koffer ebenso. Er hatte mit Jack schon darüber gestritten. Er machte sich nichts aus Jack. »Wir wollten lieber ganz sichergehen, Fred«, hatte Jack erklärt. »Diese kleinen Geräte sind empfindlich wie Jungfrauen: für siebzig Kilometer ganz brauchbar, aber bei achtzig schon tot wie ein gestochenes Kalb. Es ist besser, wenn wir Spielraum haben, Fred, dann sind wir ganz sicher. Die Leute, von denen wir dieses Ding haben, sind Fachleute, wirkliche Experten.«

Noch eine Minute. Sie hatten seine Uhr nach Averys Wecker gestellt.

Er hatte Angst. Plötzlich konnte er seine Gedanken nicht mehr ablenken. Vielleicht war er zu alt, zu müde, vielleicht hatte er schon genug geleistet. Vielleicht hatte ihn das Training erschöpft. Er fühlte, wie sein Herz gegen die Rippen schlug. Sein Körper würde es nicht durchhalten, er war nicht mehr stark genug. Er lag und redete in Gedanken auf Haldane ein: Mein Gott, Captain, sehen Sie denn nicht, daß meine Zeit vorüber ist? Der alte Knabe schafft's nicht mehr. So ungefähr würde er es ihnen sagen. Er würde liegen bleiben, wenn der Minutenzeiger auf seinen Platz rückte. Sein Körper würde zu schwer sein, er würde sich nicht bewegen können. »Es ist mein Herz«, würde er ihnen sagen. »Hatte 'nen Herzanfall, Chef, hab' ich Ihnen nichts von meinem wackligen Herz gesagt? Es streikte einfach, während ich hier im Kraut lag.« Er stand auf. Soll der Hund den Hasen sehen. Rennen Sie den Hügel hinunter, hatten sie gesagt. Bei diesem Wind werden sie nicht einen Ton hören. Rennen Sie den Hügel hinunter, denn das ist die Stelle, an der sie Sie noch am ehesten sehen könnten. Am wahrscheinlichsten ist, daß sie dort hinschauen, wo sie hoffen können, eine Silhouette zu sehen. Laufen Sie schnell durch das Farnzeug und machen Sie sich klein, dann kann nichts schiefgehen. Unten hinlegen und verschnaufen, dann zu kriechen anfangen. Er rannte wie ein Verrückter. Er stolperte, und der Rucksack brachte ihn zu Fall. Er spürte, wie das Knie gegen sein Kinn schlug, und dann den Schmerz, als er sich in die Zunge biß. Als er wieder hochkam, riß ihn der Koffer herum, er taumelte halb in den Weg hinein, und wartete auf den grellen Blitz der explodierenden Mine. Er hastete den Abhang hinunter. Der weiche Boden gab unter seinen Fersen nach, und der Koffer klapperte wie ein altes Auto. Warum hatten sie ihm nicht erlaubt, die Pistole mitzunehmen? Er fühlte, wie seine brennende Milz wuchs, sich unter den Rippen ausbreitete und feurige Stiche in die Lunge bohrte. Er zählte seine Schritte und spürte bei jedem einen Schlag und das drückende Gewicht von Koffer und Rucksack. Avery hatte gelogen. Die ganze Zeit nichts als Lügen. Sie sollten sich um Ihren Husten kümmern, Captain, besser gingen Sie mal zu 'nem Doktor, mit diesem Stacheldraht in Ihrem Gekröse. Der Boden wurde flach, er fiel wieder hin und lag still, keuchend wie ein Tier. Er fühlte nichts als Furcht und den Schweiß, der sein Wollhemd durchtränkte. Er preßte sein Gesicht an den Boden. Während er seinen Körper hochstemmte, glitt seine Hand unter seinen Bauch und zog den Riemen des Rucksacks fester.