Das Zimmer war groß und kahl, und in einer Ecke gab es ein rundes Waschbecken aus Marmor. Unter dem Becken führte ein Rohr zum Fußboden, und er hoffte, daß es für die Erdung genügen würde. Er drehte den Wasserhahn auf, und zu seiner Erleichterung kam kaltes Wasser, denn Jack hatte gesagt, bei einer Heißwasserleitung sei es riskant. Er nahm sein Messer und kratzte das Rohr an einer Seite sorgfältig sauber. Die Erdung war sehr wichtig - Jack hatte das gesagt. Wenn es gar keine andere Möglichkeit gibt, hatte er gesagt, dann legen Sie das Erdkabel im Zick-Zack unter den Teppich, und zwar in der gleichen Länge, die die Antenne hat. Aber es gab hier keinen Teppich.
Er mußte es mit dem Rohr versuchen. Kein Teppich, keine Gardinen.
An der gegenüberliegenden Wand stand ein ausladender schwerer Kleiderschrank. Früher mußte es einmal das beste Hotel am Platz gewesen sein. Es roch nach türkischen Zigaretten und Desinfektionsmitteln. Die Wände waren grau getüncht, und die Feuchtigkeit hatte über sie dunkle Schatten verteilt, nach der gleichen geheimnisvollen Eigengesetzlichkeit des Mauerwerks, durch die auch der trockene Streifen entstanden war, der quer über die Decke lief. An manchen Stellen war der Verputz abgebröckelt und hatte gezackte Inseln aus weißem Schimmel hinterlassen, an anderen hatte er sich zusammengezogen und die Sprünge waren vom Maler mit der gleichen Masse gefüllt worden, die in den Ecken des Zimmer weiße Flußläufe zeichnete. Leiser s Blick folgte ihnen aufmerksam, während er angestrengt auf das leiseste Geräusch außerhalb des Raumes achtete. An der Wand hing ein Bild. Es zeigte Feldarbeiter und ein Pferd vor einem Pflug. Am Horizont war ein Traktor zu sehen. Er hörte Johnsons gutmütige Stimme die Anweisungen wegen der Antenne herunterleiern: »In einem geschlossenen Raum ist es ein Jammer, und es wird in einem geschlossenen Raum sein. Also hören Sie zu: im Zick-Zack durchs Zimmer, ein Viertel Ihrer Wellenlänge und dreißig Zentimeter unterhalb der Decke. Zwischenräume möglichst weit, Fred, und auf keinen Fall parallel zu Eisenträgern, elektrischen Leitungen und derartigem. Lassen Sie sie gestreckt, biegen Sie sie nicht auf sich selbst zurück, sonst gibt's eine schöne Schweinerei, klar?« Immer der gleiche Scherz, die Anspielung auf den Geschlechtsakt, um das Gedächtnis eines einfachen Mannes zu stützen. Leiser dachte: Ich werde sie zum Bilderrahmen spannen und von dort hin und her bis zur hinteren Ecke. In diesen weichen Verputz werde ich sicher einen Nagel stecken können. Er sah sich nach einem Nagel oder etwas Ähnlichem um und entdeckte im Holz des Fensterrahmens einen alten Gardinenhaken. Er stand auf und schraubte den Griff seines Rasierapparates auf. Man mußte ihn dazu nach rechts drehen, was allgemein für einen genialen Einfall gehalten wurde, da ein mißtrauischer Fremder, den Griff wie üblich nach links zu drehen versuchte, gegen das Gewinde schrauben würde. Aus der Höhlung zog er das zusammengefaltete Seidentuch heraus und glättete es mit seinen dicken Fingern über dem Knie. In der Tasche fand er einen Bleistift. Er spitzte ihn, wobei er auf der Bettkante sitzen blieb, damit ihm das Seidentuch nicht verrutschte. Zweimal brach ihm die Spitze ab. Zwischen seinen Füßen sammelten sich auf dem Boden die Späne an. Dann begann er in seinem Notizbuch zu schreiben. Er kritzelte mit großen Buchstaben wie ein Häftling, der an seine Frau schreibt, und um jeden Punkt zog er einen Kreis, wie man es ihm vor langer Zeit beigebracht hatte.
Als er seine Nachricht formuliert hatte, zog er nach jeweils zwei Buchstaben einen senkrechten Strich und unter die so entstehenden Abteilungen schrieb er die der Buchstabengruppe entsprechende Zahl, wie er es von der Tabelle auswendig gelernt hatte. Manchmal mußte er sich auf einen mnemonischen Reim stützen, um sich an die Zahlenkolonnen zu erinnern. Manchmal hatte er eine falsche Zahl geschrieben, dann mußte er sie ausradieren und von neuem beginnen. Als er fertig war, teilte er die Zahlenreihe in Gruppen von jeweils vier Zahlen und zog sie von den Zahlen auf dem Seidentuch ab. Schließlich übertrug er die Zahlen wieder in Buchstaben, die er wieder in Vierergruppen aufteilte.
Wie ein altes Leiden machte sich wieder die Furcht in seinem Leib bemerkbar. Er blickte bei jedem eingebildeten Geräusch scharf zur Tür hinüber. Seine Hand stockte dabei mitten im Schreiben. Aber er hörte nichts, nur das Knarren im Gebälk eines alten Hauses, das klang wie das Geräusch des Windes in der Takelage eines Schiffes. Er betrachtete den fertigen Text mit dem Bewußtsein, daß er viel zu lang geworden war und daß er ihn kürzen könnte, wäre er nur etwas besser in dieser Art Arbeit und wäre sein Geist nur ein wenig beweglicher, aber im Augenblick fiel ihm beim besten Willen keine Lösung ein. Außerdem hatte er gelernt, daß es besser war, ein Wort oder zwei zuviel zu schreiben, als daß die Nachricht am anderen Ende mißverstanden werden konnte. Es waren zweiundvierzig Buchstabengruppen.
Er zog den Tisch vom Fenster weg und hob den Koffer hinauf. Mit dem Schlüssel von seiner Kette sperrte er ihn auf, wobei er betete, es möge auf der Reise nichts kaputtgegangen sein. Er öffnete die Schachtel mit den Ersatzteilen und ertastete mit zitternden Fingern den seidenen, oben mit einem grünen Band zusammengebundenen Beutel, in dem die Kristalle waren. Er knüpfte das Band auf und schüttelte die Kristalle auf die rauhe Bettdecke. An jedem klebte ein kleines Etikett, auf dem mit Johnsons Schrift die Frequenz und darunter mit einer Zahl die Stelle vermerkt war, auf der der Kristall im Sendeplan stand. Er ordnete sie entsprechend und legte sie in einer Reihe nebeneinander, wobei er sie auf die Decke preßte, damit sie nicht umherkollerten. Die Kristalle waren das einfachste. Er versuchte, ob sich die Tür trotz des unter die Klinke geschobenen Stuhls öffnen ließ. Die Klinke rutschte in seiner Handfläche, der Stuhl leistete Widerstand. Ihm fiel ein, daß er im Krieg immer Metallkeile mitbekommen hatte. Er ging zu dem Koffer zurück und schloß Sender und Empfänger an den Transformator an, stöpselte die Kopfhörer ein und löste die Schraube, die die Morsetaste im Deckel der Schachtel festhielt. Dabei sah er es.
In den Deckel des Koffers war ein Stück Papier geklebt, auf dem ein halbes Dutzend Buchstabengruppen und daneben die dazugehörenden Morsezeichen vermerkt waren. Es war der internationale Morsekode für die stehenden Phrasen, die er sich nie hatte merken können.
Als er diese mit Johnsons säuberlicher Buchhalterschrift gemalten Buchstaben sah, stiegen Tränen der Dankbarkeit in seine Augen. Das hat er mir gar nicht gesagt, dachte er, er hat gar nicht gesagt, daß er das gemacht hat. Jack war doch ganz in Ordnung, trotz allem. Jack, der Captain und Johnnyboy: welch ein Team, für das er arbeitete. Andere Leute hatten nicht das Glück, solche Burschen zu finden, egal, wie lange sie suchten. Er versuchte ruhig zu werden und preßte seine Hände fest gegen die Tischplatte. Er zitterte ein wenig, es mochte vor Kälte sein. Sein verschwitztes Hemd klebte an seinem Rücken, aber er war glücklich. Er warf einen schnellen Blick auf den Sessel vor der Tür und dachte: Wenn ich die Kopfhörer aufhabe, werde ich sie gar nicht kommen hören, so wie mich der Junge wegen des Windes nicht gehört hatte. Als nächstes steckte er Erde und Antenne in ihre Buchsen, zog das Erdkabel bis zur Wasserleitung und befestigte die blanken Enden mit Klebestreifen auf der abgeschabten Stelle des Rohres. Er stieg auf das Bett und spannte die Antenne in acht Windungen dicht unter der Decke aus, wie Johnson ihn angewiesen hatte, wobei er sie an der Vorhangstange und mit Hilfe des Gardinenhakens an der Wand befestigte. Nachdem das erledigt war, setzte er sich wieder vor das Gerät und drehte den Zeiger der Bandskala zwischen die Drei und die Vier, weil er wußte, daß die Frequenzen aller Kristalle im Drei-Megahertz-Bereich lagen. Er nahm den ersten der in einer Reihe auf dem Bett liegenden Kristalle, steckte ihn an der hinteren linken Ecke des Gerätes in seinen Sockel und begann, den Sender abzustimmen, wobei er jeden Handgriff vor sich hinmurmelte: Stelle Kristallknopf auf >Alle Kristalle< stecke die Spule ein, Anodenabstimmung und entsprechende Antennenkontrolle auf zehn. Er zögerte, während er versuchte, sich an den nächsten Schritt zu erinnern. In seinem Kopf bildete sich ein Klumpen. »V - wissen Sie nicht, was V bedeutet?« Er schaltete den Knopf des Meßgerätes auf drei, um die Netzspannung am Verstärker abzulesen. ASE-Knopf auf A für Abstimmung. Jetzt kam die Erinnerung langsam zurück. Meßinstrument auf sechs, um die Verstärker-End-Spannung abzulesen. Anodenknopf bis zum geringsten Anschlag des Zeigers drehen. Nun schaltete er den ASE-Knopf auf S für Senden, drückte kurz auf die Morsetaste, las dabei die Messung ab, drehte die Antennenabstimmung, bis der Zeiger etwas höher kletterte, und stellte hastig die Anodenabstimmung neu ein. Dann wiederholte er die Prozedur, bis er mit unendlicher Erleichterung vor dem weißen Hintergrund der nierenförmigen Skala den Zeiger ausschlagen sah und wußte, daß Sender und Antenne einwandfrei abgestimmt waren, und daß er nun mit John und Jack sprechen konnte. Er lehnte sich mit einem zufriedenen Grunzen zurück und zündete eine Zigarette an. Er wünschte, es wäre eine englische gewesen, denn wenn sie jetzt hereingeplatzt kämen, spielte die Zigarettensorte schon keine Rolle mehr. Er sah auf die Uhr und zog sie, entsetzt von der Vorstellung, daß sie abgelaufen sein könnte, bis zum Anschlag auf. Sie war nach Averys Uhr gestellt, und diese Tatsache gab ihm auf simple Art ein beruhigendes Gefühl. Wie zwei voneinander getrennte Liebende blickten sie zu demselben Stern empor.