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»Malherbe? War das Taylors Deckname?«

»Ja. Ich muß aus dem Autopark des Ministeriums einige Wagen bekommen«, sagte Leclerc. »Direkt lächerlich, keine eigenen Autos zu haben. Das Rondell hat eine ganze Flotte.« Und dann fügte er hinzu: »Vielleicht wird mir jetzt das Ministerium glauben. Vielleicht nehmen sie doch endlich zur Kenntnis, daß wir noch immer eine im Einsatz stehende Organisation sind.«

»Hat Taylor den Film an sich genommen?« fragte Avery. »Wissen wir, ob er ihn bekommen hat?«

»Ich habe kein Inventar seines Besitzes. Im Augenblick sind alle seine Effekten von der finnischen Polizei beschlagnahmt. Vielleicht ist der Film darunter. Es ist ein kleiner Ort, und ich stelle mir vor, daß sie die gesetzlichen Vorschriften lieber genau beachten.« Und beiläufig, so daß Avery wußte, wie wichtig es war: »Das Auswärtige Amt befürchtet Schwierigkeiten.«

»Ach Gott«, sagte Avery automatisch. Es war in der Organisation üblich, derartige Reaktionen zu zeigen; man trat altmodisch und möglichst kühl auf. Leclerc sah ihn an. Jetzt zeigte er Interesse: »Vor einer halben Stunde hat der diensttuende Beamte des Auswärtigen Amtes mit dem Vertreter des Ministers gesprochen. Sie lehnen es ab, sich einzumischen. Sie sagen, wir seien ein Geheimdienst und müßten es auf unsere Art erledigen. Am liebsten hätten sie es, wenn irgend jemand von uns als nächster Angehöriger hinführe, um die Leiche und die persönlichen Habseligkeiten abzuholen. Ich möchte, daß Sie fahren.« Plötzlich bemerkte Avery an den Zimmerwänden die Bilder der Jungen, die im Krieg gekämpft hatten. Jeweils sechs hingen rechts und links neben dem ziemlich staubigen Modell eines schwarzlackierten Wellington-Bombers, der keine Kennzeichen trug. Die meisten Aufnahmen waren im Freien gemacht worden. Avery erkannte die Hangars im Hintergrund und die von den lächelnden jungen Gesichtern halbverdeckten Rümpfe der abgestellten Flugzeuge. Unter jedem Foto standen inzwischen vergilbte Unterschriften. Einige waren schwungvoll und zügig, während andere - wohl die der ranghöheren Offiziere - kunstvoll verschnörkelt wirkten, als seien die Schreiber über Nacht plötzlich berühmt geworden. Es standen keine Nachnamen da, sondern Spitznamen aus Kinderzeitschriften: Jacko, Shorty, Pip und Lucky Joe. Gemeinsam war allen nur die Schwimmweste, das lange Haar und das sonnige, jungenhafte Grinsen. Sie schienen am Fotografiertwerden Spaß gehabt zu haben, als sei ihr Zusammensein ein womöglich nie mehr wiederkehrender Anlaß zum Lachen und Fröhlichsein. Die Personen im Vordergrund hatten sich mit der Lässigkeit von Männern, die das Kauern in Geschützkanzeln gewohnt sind, niedergehockt, während die hinter ihnen Stehenden zwanglos die Arme um die Schultern des Nebenmannes gelegt hatten - eine spontane Geste, deren Überzeugungskraft den Krieg oder das Fotografiertwerden anscheinend nicht überleben kann.

Ein Gesicht wiederholte sich auf jedem Bild. Es war stets im Hintergrund - das Gesicht eines schlanken Mannes mit strahlenden Augen, der einen Dufflecoat und Kordhosen trug. Er war im Gegensatz zu den anderen ohne Schwimmweste und stand etwas abseits, als gehöre er irgendwie nicht dazu. Er war kleiner als die anderen und älter. Seine Gesichtszüge waren ausgeprägt: sie drückten eine Entschlossenheit aus, die den anderen fehlte. Er hätte ihr Lehrer sein können. Avery hatte einmal seine Unterschrift gesucht, um festzustellen, ob sie sich in den neunzehn Jahren verändert habe, aber Leclerc hatte nicht unterschrieben. Er sah seiner Fotografie noch immer ähnlich: das Kinn vielleicht eine Spur härter, das Haar etwas gelichtet.

»Aber das wäre doch ein Einsatz«, sagte Avery unsicher.

»Natürlich. Wir sind ja eine im Einsatz stehende Organisation.« Ein leichtes Kopfnicken. »Sie haben Anspruch auf Einsatzzulage. Alles, was Sie zu tun haben, ist Taylors Zeug zu holen. Sie haben alles bis auf den Film zurückzubringen. Den Film geben Sie in Helsinki bei einer bestimmten Adresse ab. Darüber werden Sie getrennte Instruktionen erhalten. Dann kommen Sie zurück und können mir bei Leiser helfen...«

»Könnte das nicht vom Rondell übernommen werden? Ich meine, könnten die das nicht einfacher erledigen?«

Dieses Lächeln kam langsam. »Ich fürchte, dieser Vorschlag wäre wohl nicht ganz passend. Das ist unsere Angelegenheit, John: das ganze Unternehmen fällt allein in unsere Kompetenz. Es handelt sich um ein militärisches Ziel. Wir würden uns vor unserer Verantwortung drücken, wenn wir das dem Rondell überließen. Deren Gebiet ist die Politik. Dort erledigt man rein politische Aufgaben.« Er strich sich mit seiner kleinen Hand in einer knappen, selbstbewußten Geste über das Haar. »Es ist also unser Problem. In dieser Beziehung ist das Ministerium ganz meiner Auffassung«

- eine seiner bevorzugten Wendungen. »Ich kann jemand anderen schicken, wenn Ihnen das lieber ist. Woodford, oder einen unserer älteren Mitarbeiter. Ich dachte aber, Sie würden es gerne machen. Es ist eine wichtige Aufgabe. Sie könnten damit einmal ganz etwas Neues anpacken.«

»Ja, sicherlich. Ich würde gerne fahren, wenn Sie mir soviel Vertrauen schenken.«

Leclerc genoß diese Situation. Nun drückte er Avery ein Blatt blauen Konzeptpapiers in die Hand. Es war mit Leclercs kindlichen runden Schriftzügen bedeckt. Auf den Kopf des Blattes hatte er >Ephemer< geschrieben und das Wort unterstrichen. Am linken Rand standen seine Initialen - alle vier - und darunter die Bezeichnung >Nicht geheim<. Wieder begann Avery zu lesen.

»Beim sorgfältigen Lesen werden Sie merken«, sagte Leclerc, »daß wir nicht direkt behaupten, Sie seien wirklich einer der nächsten Angehörigen. Wir zitieren nur die Angaben aus Taylors Paßantrag. Weiter wollen die Leute vom Auswärtigen Amt nicht gehen. Sie haben sich bereit erklärt, dies via Helsinki ans dortige Konsulat zu schicken.«

Avery las: »Auf Anforderung der Konsularabteilung. Ihr Fernschreiben in Sachen Malherbe. John Somerton Avery, Inhaber des britischen Passes No , Halbbruder des Verstorbenen, wird in Malherbes Paßantrag als nächster Angehöriger angegeben. In Kenntnis gesetzt, schlägt Avery heute Flugreise zur Übernahme von Leiche und persönlichem Besitz vor. NAS-Flug 201 über Hamburg, Ankunft mit ETA um 18.20 Uhr Ortszeit. Bitte leisten Sie übliche Unterstützung und Hilfe.«

Leclerc sagte: »Ich wußte Ihre Paßnummer nicht. - Die Maschine geht heute nachmittag um drei. Es ist ein sehr kleiner Ort. Ich könnte mir denken, daß der Konsul Sie am Flughafen abholen wird. Aus Hamburg kommt jeden zweiten Tag eine Maschine an. Wenn Sie nicht nach Helsinki müssen, könnten Sie mit derselben Maschine zurückfliegen.«

»Könnte ich nicht sein Bruder sein?« fragte Avery lahm. »Halbbruder sieht ein bißchen faul aus.«

»Wir haben keine Zeit, einen neuen Paß aufzutakeln. Im A.A. sind sie mit Pässen ungeheuer geizig. Schon wegen Taylor gab's eine Menge Schwierigkeiten.« Er hatte sich schon wieder seinen Akten zugewandt. »Wirklich eine Menge Schwierigkeiten. Wir müßten Sie ja auch Malherbe nennen, nicht wahr? Ich glaube nicht, daß man das dort gerne sehen würde.« Er sprach unaufmerksam, fast automatisch. Es war sehr kalt im Raum.

»Und was ist mit unserem skandinavischen Freund?« fragte Avery. Leclerc sah ihn verständnislos an. »Lansen. Sollte nicht jemand Verbindung mit ihm aufnehmen?«

»Ich kümmere mich schon darum.« Leclerc, der Fragen haßte, antwortete vorsichtig, als habe er Angst, irgendwo einmal zitiert zu werden. »Und Taylors Frau?« Es erschien ihm zu pedantisch, sie Witwe zu nennen. »Kümmern Sie sich um sie?«

»Ich hatte vor, daß wir morgen als erstes bei ihr vorbeischauen. Sie hat kein Telefon, und ein Telegramm wäre so geheimniskrämerisch.«

»Wir?« fragte Avery. »Müssen wir denn beide gehen?«

»Sie sind mein Assistent, nicht wahr?« sagte Leclerc. Diese Stille! Avery sehnte sich nach dem Geräusch des Straßenverkehrs und dem Schrillen der Telefone. Tagsüber war man immer von Leuten umgeben, Boten kamen und gingen, und die Aktenwagen klapperten über den Gang. Immer wenn er mit Leclerc allein war, hatte er das Gefühl, es fehle eine dritte Person. Niemand anderer brachte ihm sein eigenes Auftreten so zum Bewußtsein, niemand anderer strahlte eine derart lähmende Wirkung auf das Gespräch aus. Er wünschte, Leclerc würde ihm noch etwas zu lesen geben.