»Ich werde es ihm sagen.« Der Feldwebel sah verängstigt aus.
»Wenn er ganz aufhört, suchen Sie ihn weiter und lassen Sie es mich wissen.«
»Passen Sie auf«, warnte der Hauptmann, während er hinauskletterte. Der Unteroffizier wartete schon ungeduldig. Der Hauptmann sah hinter ihm ein großes Gebäude auf einem öden Platz.
Entfernt standen kleine Häuser, halb verborgen vom fallenden Schnee, Reihe an Reihe. Kein Laut war zu hören.
»Wie heißt das hier?« fragte der Hauptmann.
»Es ist ein Hochhaus mit Arbeiterwohnungen. Man hat ihm noch keinen Namen gegeben.«
»Nein, dahinter.«
»Weiß nicht. - Kommen Sie«, sagte der Unteroffizier. Fast in jedem Fenster schimmerte fahles Licht, sechs Stockwerke hoch. Dick mit Laub bedeckte Steinstufen führten in den Keller hinunter. Der Unteroffizier ging voran, wobei er mit seiner Taschenlampe die schäbige Mauer vor ihnen ableuchtete. Der Hauptmann stürzte beinahe. Der erste Kellerraum war groß und stickig, mit Wänden aus rohen Ziegeln, nur teilweise verputzt. Am anderen Ende waren zwei Stahltüren. Von der Decke fiel das Licht einer Birne, die von einem Drahtkäfig geschützt war. Die Taschenlampe des Unteroffiziers brannte immer noch, er leuchtete damit sinnlos in alle Ecken.
»Wonach suchen Sie?« fragte der Hauptmann. Die Stahltüren waren abgesperrt. »Holen Sie den Hausmeister. Schnell!« befahl der Unteroffizier.
Der Hauptmann rannte die Treppe hinauf und kam mit einem alten unrasierten Mann zurück, der leise vor sich hin brummte. Er hatte an einer Kette einen Bund langer Schlüssel bei sich. Einige waren rostig. »Die Sicherungen«, sagte der Unteroffizier. »Für die Wohnungen. Wo sind sie?«
Der alte Mann suchte an seinem Schlüsselbund. Er steckte einen Schlüssel in das Schloß der Stahltür, aber er paßte nicht. Er versuchte es mit weiteren. »Schnell, Sie Idiot!« schrie der Hauptmann.
»Bringen Sie ihn nicht durcheinander«, sagte der Unteroffizier.
Die Tür ging auf. Sie drängten sich in den dahinter liegenden Korridor. Die Kegel ihrer Lampen tanzten über den weißen Verputz. Der Hausmeister hielt grinsend einen Schlüssel in die Höhe. »Immer ist es der letzte«, sagte er. Der Unteroffizier hatte gefunden, was er suchte. Hinter der Tür verborgen, hing ein Kasten mit Glastüren an der Wand. Der Hauptmann legte seine Hand auf den Hauptschalter und hatte ihn schon halb heruntergezogen, als der andere ihn unsanft wegstieß.
»Nein. Gehen Sie zur Treppe hinauf. Sagen Sie mir, wann die Scheinwerfer ausgehen.«
»Wer befiehlt hier?« beschwerte sich der Hauptmann. »Tun Sie, was ich sage.« Er hatte den Kasten geöffnet und drehte vorsichtig an der ersten Sicherung. Seine Augen blinzelten durch die goldumrandete Brille - ein gütiger älterer Mann.
Mit emsigen Chirurgenfingern schraubte der Unteroffizier die Sicherung heraus, vorsichtig, als erwarte er einen elektrischen Schlag. Dann schraubte er sie sofort wieder fest, wobei sich sein Blick der Gestalt am oberen Ende der Kellertreppe zuwandte. Er schraubte an der zweiten Sicherung. Noch immer sagte der Hauptmann nichts. Draußen beobachteten die bewegungslosen Soldaten die Fenster des Häuserblocks, in denen Stockwerk nach Stockwerk die Lichter erloschen und gleich wieder aufflammten. Der Unteroffizier versuchte eine dritte und vierte Sicherung. Diesmal hörte er einen aufgeregten Ruf von oben: »Die Scheinwerfer! Jetzt sind sie ausgegangen!«
»Ruhig! Gehen Sie und fragen Sie den Fahrer, in welchem Stock. Aber bitte leise!«
»Bei diesem Wind kann uns niemand hören«, sagte der Hauptmann gereizt. Einen Augenblick später kam er zurück: »Der Fahrer sagt, im dritten. Als im dritten das Licht ausging, hörte auch das Funken auf. Es hat jetzt wieder angefangen.«
»Lassen Sie das Gebäude umstellen«, sagte der Unteroffizier. »Und nehmen Sie fünf Mann, die mit uns hinaufgehen. Er sitzt im dritten Stock.« Leise wie Tiere kletterten die Vopos von den Lastwagen herunter, die Karabiner locker in den Händen. Sie gingen in unregelmäßiger Linie gegen das Gebäude vor. Ihre Stiefel durchpflügten den dünnen Schnee und verwandelten ihn in Nichts. Einige gingen bis zur Hausmauer, andere blieben entfernter stehen und starrten zu den Fenstern hinauf. Einige hatten Stahlhelme auf, und ihre eckigen Silhouetten erinnerten an den Krieg. Von da und dort kam ein leises Klicken, als die erste Patrone weich in den Lauf geschoben wurde. Das Geräusch steigerte sich zu einem schwachen Prasseln und erstarb.
Leiser hakte die Antenne aus und spulte sie auf, schraubte die Morsetaste in den Deckel, legte die Kopfhörer in die Schachtel zurück und faltete das Seidentuch in den Griff des Rasierapparates. »Zwanzig Jahre«, protestierte er, indem er den Rasierapparat hochhielt. »Und noch immer haben sie keinen besseren Platz dafür gefunden!«
»Warum machst du das?« Sie saß zufrieden auf dem Bett, im Nachthemd und darüber den Regenmantel, als fühle sie sich damit weniger allein. »Mit wem sprichst du da?« fragte sie noch einmal. »Mit niemandem. Niemand hat es gehört.«
»Warum machst du es dann?« Er mußte etwas sagen, also sagte er: »Für den Frieden.«
Er zog seine Jacke an, ging zum Fenster und spähte hinaus. Auf den Dächern lag Schnee. Der Wind pfiff bösartig über sie hinweg. Er sah in den Hof hinunter, wo die Silhouetten warteten.
»Wessen Frieden?« fragte sie.
»Das Licht ging einmal aus, während ich am Gerät war, nicht?«
»Tatsächlich?«
»Nur ganz kurz, eine Sekunde oder zwei, wie manchmal bei einer Störung im Werk?«
»Ja.«
»Mach's jetzt wieder aus.« Er war sehr ruhig. »Mach das Licht aus.«
»Warum?«
»Ich schau gerne auf den Schnee hinaus.« Sie löschte das Licht, und er zog die verschlissenen Vorhänge zur Seite. Der Schnee draußen warf einen blassen Schimmer zum Himmel zurück. Im Zimmer war es fast ganz finster.
»Du hast gesagt, jetzt würden wir uns lieben«, beschwerte sie sich. »Paß auf: wie heißt du?« Er hörte das Rascheln des Regenmantels. »Also wie?« Seine Stimme war rauh. »Anna.«
»Hör zu, Anna.« Er ging zum Bett. »Ich möchte dich heiraten«, sagte er. »Als ich dich traf, in diesem Lokal, als ich dich dort sitzen und den Platten zuhören sah, da habe ich mich in dich verliebt, verstehst du? Ich bin ein Monteur aus Magdeburg, das habe ich dir dort gesagt. Hörst du mir zu?«
Er griff ihre Arme und schüttelte sie. Seine Stimme klang drängend.
»Nimm mich von hier fort«, sagte sie. »Das ist richtig: ich habe dir dort gesagt, ich würde dich lieben und dich mitnehmen, überallhin in die Länder, von denen du immer geträumt hast, verstehst du?« Er deutete auf die Plakate an den Wänden. »Auf Inseln, in sonnige Gegenden.«
»Warum?« flüsterte sie.
»Ich habe dich hierher begleitet. Du dachtest, ich käme mit, um mit dir ins Bett zu gehen, aber als ich hier war, zog ich mein Messer heraus und bedrohte dich. Ich sagte, daß ich dich beim geringsten Laut umbringen würde, wie diesen - ich erzählte dir, daß ich den Jungen umgebracht hätte und daß ich auch dich töten würde.«
»Warum?«
»Ich mußte mein Funkgerät benützen. Ich brauchte einen Unterschlupf, klar? Eine Möglichkeit, das Gerät aufzustellen. Ich wußte ja nicht, wohin ich gehen sollte. Also habe ich dich aufgelesen und dich benützt. Hör gut zu: wenn sie dich fragen, dann mußt du es genau so erzählen.«
Sie lachte. Sie hatte Angst. Sie legte sich zögernd auf ihrem Bett zurück, eine Aufforderung an ihn, sie zu nehmen, als wäre es dies, was er wollte. »Wenn man dich fragt, dann erinnere dich, was ich dir gesagt habe.«