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»Haben Sie schon irgendwas über Taylors Frau gehört?« fragte Leclerc. »Ist sie vertrauenswürdig?« Als er sah, daß Avery ihn nicht verstand, fuhr er fort: »Sie könnte uns die größten Schwierigkeiten machen. Wenn sie wollte. Wir müssen sehr vorsichtig vorgehen.«

»Was werden Sie ihr sagen?«

»Wir müssen ganz nach dem Gefühl gehen. Wie wir es im Krieg gemacht haben. Sie wird nichts wissen, verstehen Sie? Sie wird nicht einmal wissen, daß er im Ausland war.«

»Er könnte es ihr doch erzählt haben.«

»Nicht Taylor. Er ist ein alter Hase. Er hatte seine Instruktionen und kannte die Spielregeln. Sie muß eine Pension bekommen. Das ist die Hauptsache. Er ist im aktiven Einsatz gefallen.«

Er machte wieder eine knappe, abschließende Handbewegung.

»Und unser Stab? Was werden Sie hier im Hause sagen?«

»Ich werde heute vormittag die Abteilungsleiter zu einer Besprechung zusammenrufen. Was die anderen anbelangt: denen werden wir sagen, es sei ein Unfall gewesen.«

»Vielleicht war's das wirklich«, gab Avery zu bedenken.

Leclerc lächelte wieder: ein starres, schmerzliches Lächeln. »In welchem Fall wir die Wahrheit gesagt und bessere Chancen hätten, den Film zurückzubekommen.«

Noch immer war auf der Straße draußen kein Verkehr. Avery merkte, daß er hungrig war. Leclerc schaute auf die Uhr.

»Sie haben sich gerade Gortons Bericht angesehen«, sagte Avery.

Während Leclerc nachdenklich einen der Ordner berührte, als habe er sein Lieblingsalbum entdeckt, schüttelte er den Kopf. »Es ist nichts dran. Ich hab es wieder und wieder durchgelesen, und die Fotos zu jeder nur denkbaren Größe entwickeln lassen. Haldanes Leute haben Tag und Nacht darüber gesessen. Wir kommen einfach keinen Schritt weiter.« Sarah hatte recht gehabt: er war nur hier, ihm warten zu helfen.

Dann schien plötzlich der Zweck ihrer Besprechung sichtbar zu werden, als Leclerc sagte: »Ich habe es arrangiert, daß Sie heute vormittag nach unserer Konferenz ein kurzes Gespräch mit George Smiley im Rondell haben können. - Sie haben schon von ihm gehört?«

»Nein«, log Avery. Bei diesem Thema mußte man vorsichtig sein.

»Er war einmal einer ihrer besten Leute. Er ist in gewisser Weise typisch für die bessere Sorte im Rondell. Er scheidet dort immer wieder mal aus, wissen Sie, kommt dann aber wieder zurück. Er macht sich Gewissensbisse. Man kann nie sicher sein, ob er gerade dort ist oder nicht. Er paßt dort nicht mehr ganz hinein. Es heißt, er trinke ziemlich viel. Er hat dort die Abteilung für Nordeuropa. Er kann Sie instruieren, wie Sie den Film weiterzugeben haben. Seit wir unseren eigenen Kurierdienst aufgelöst haben, und da uns das AA nicht kennen will, gibt es keine andere Möglichkeit. Nach dem Tod Taylors kann ich es nicht zulassen, daß Sie mit diesem Dings in der Tasche herumlaufen. Wieviel wissen Sie über das Rondell?« Es war, als erkundige sich ein älterer Herr ohne nennenswerte Erfahrung vorsichtig danach, wo er leichte Mädchen finden könne.

»Nicht viel«, sagte Avery. »Nur das übliche Geschwätz.«

Leclerc stand auf und ging zum Fenster hinüber. »Es ist ein seltsamer Verein. Einige sind gut, natürlich. Smiley war gut.« Plötzlich brach es aus ihm hervor: »Aber sie sind Betrüger. - Ich weiß: ein komisches Wort, für eine verwandte Organisation, John. Aber das Lügen ist denen zur zweiten Natur geworden. Die meisten von ihnen wissen nicht einmal mehr, wann sie die Wahrheit sagen.«

Er neigte den Kopf von einer Seite auf die andere und beobachtete sorgfältig jede Bewegung auf der langsam erwachenden Straße. »Was für ein scheußliches Wetter«, murmelte er schließlich. »Im Krieg waren wir ziemlich eifersüchtig aufeinander, wissen Sie.«

»Davon hörte ich.«

»Das ist jetzt vorbei. Ich beneide sie nicht um ihre Arbeit. Sie haben mehr Geld und mehr Leute als wir. Sie arbeiten im größeren Stil - ob jedoch auch besser, möchte ich freilich bezweifeln. An unsere Auswertungsabteilung zum Beispiel kommt nichts auch nur annähernd heran. Nichts.«

Plötzlich hatte Avery das Gefühl, daß ihm Leclerc ein persönliches Geheimnis enthüllt hatte, etwas wie eine zerrüttete Ehe oder eine unwürdige Handlung, und daß er dadurch erleichtert war. »Smiley wird Sie vielleicht nach Einzelheiten dieses Unternehmens fragen, wenn Sie bei ihm sind. Ich möchte, daß Sie ihm aber auch nicht das geringste erzählen, außer, daß Sie nach Finnland fahren und womöglich in die Situation kommen könnten, einen Film auf dem schnellsten Weg nach London schicken zu müssen. Wenn er Sie bedrängt, lassen Sie durchblicken, daß es eine Übung sei. Mehr dürfen Sie nicht verraten. Nichts vom bisher Vorgefallenen, von Gortons Bericht oder künftigen Aktionen. All das geht diese Leute nicht das geringste an. Es ist einfach ein Schulungskurs.«

»Das ist mir klar. Er wird doch aber von Taylor wissen - oder nicht? -, wenn das AA informiert ist.«

»Überlassen Sie das mir. Und lassen Sie sich nicht den falschen Glauben aufschwatzen, daß man im Rondell ein Monopol darauf habe, Agentengruppen unterhalten zu dürfen. Wir haben das gleiche Recht. Wir üben es nur nicht unnötig aus.« Er hatte in seine Rolle zurückgefunden.

Avery betrachtete Leclercs schmalen Rücken, der sich als schwarze Silhouette vor dem heller werdenden Himmel draußen abhob. Ein Ausgestoßener, ein Mann ohne Ausweis, dachte er.

»Könnten wir nicht das Feuer anmachen?« fragte er. Er ging auf den Gang hinaus, wo Pine in einem Regal neben Besen und Bürsten Späne und alte Zeitungen aufbewahrte. Er kam zurück und kniete sich vor den Kamin, in dem er - genau wie er es bei sich zu Hause getan hätte - die Asche so durch den Rost scharrte, daß die größeren Kohlenstückchen zurückblieben. »Ich frage mich«, sagte er, »ob es sehr schlau gewesen ist, zuzulassen, daß die beiden sich am Flugplatz treffen.«

»Die Zeit drängte. Nach Jimmy Gortons Bericht war es sehr dringend. Das ist es immer noch. Wir haben keinen Augenblick zu verlieren.«

Avery hielt ein Streichholz an das Zeitungspapier und beobachtete, wie die Flamme um sich griff. Als das Holz zu brennen begann, stieg ihm sanft der Rauch ins Gesicht und trieb hinter der Brille Tränen in seine Augen. »Woher konnten sie Lansens Bestimmungsort wissen?«

»Es war ein normal angemeldeter Flug. Er mußte die Route vorher von der Flugsicherung genehmigen lassen.«

Nachdem Avery Kohle über das brennende Holz gehäuft hatte, stand er auf und wusch sich an dem Becken in der Zimmerecke die Hände. Er trocknete sie mit seinem Taschentuch.

»Ich habe Pine immer wieder gesagt, er solle mir ein Handtuch herhängen«, sagte Leclerc. »Sie haben einfach zu wenig zu tun. Das ist die Schwierigkeit.«

»Es macht ja nichts.« Avery steckte das nasse Taschentuch ein. Er fühlte es kühl an seinem Oberschenkel. Dann fügte er ohne Ironie hinzu: »Vielleicht werden sie jetzt mehr zu tun bekommen.«

»Ich habe daran gedacht, mir von Pine hier ein Bett aufstellen zu lassen. Mein Büro als eine Art Einsatzleitung.« Leclerc sprach vorsichtig, als ob ihm Avery seinen Spaß verderben könnte. »Sie können mich dann hier anrufen, heute abend aus Finnland. Ob Sie den Film bekommen haben. Sie brauchen nur zu sagen, das Geschäft sei gelungen.«

»Und wenn nicht?«

»Dann sagen sie, nicht gelungen.«

»Das klingt aber ziemlich ähnlich«, gab Avery zu bedenken. »Wenn die Verbindung schlecht ist, meine ich. Gelungen und nicht gelungen.«

»Sagen Sie eben, man sei nicht interessiert. Sagen Sie etwas Verneinendes. Sie verstehen, was ich meine.«

Avery nahm den leeren Kohleneimer. »Ich werde ihn Pine geben.«

Als er durch das Bereitschaftszimmer ging, saß dort ein Luftwaffensoldat dösend vor seinen Telefonen. Avery ging über die Holztreppe zur vorderen Eingangstür.