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»Der Chef möchte Kohlen, Pine.«

Der Portier stand auf, wie immer, wenn jemand zu ihm sprach. Er stand stramm, als befinde er sich in einem Kasernenzimmer neben seinem Bett.

»Tut mir leid, Sir. Kann von der Tür nicht weg.«

»In Gottes Namen, dann werde eben ich auf die Tür aufpassen. Wir erfrieren da oben.«

Pine nahm den Eimer, knöpfte seine Uniform zu und verschwand im dunklen Durchgang. Heutzutage pfiff er nicht mehr.

Als Pine zurückkam, fuhr Avery fort: »Außerdem wünscht er ein Bett in seinem Zimmer. Sie könnten es dem diensthabenden Sekretär sagen, sobald er aufwacht. O ja, und ein Handtuch. Er braucht ein Handtuch für sein Waschbecken.«

»Jawohl, Sir. Es ist fein, die alte Einheit wieder im Einsatz zu sehen.«

»Können wir hier irgendwo ein Frühstück bekommen? Gibt's in der Nähe so etwas?«

»Da gibt's das >Cadena<«, antwortete Pine nachdenklich. »Aber ich weiß nicht recht, ob's für den Chef gut genug ist.« Ein Grinsen. »In den alten Zeiten gab's die Kantine. Würstchen und Kartoffelbrei.«

Es war Viertel vor sieben. »Wann macht es auf?«

»Keine Ahnung, Sir.«

»Sagen Sie: kennen Sie eigentlich Mr. Taylor?« Fast hätte er >kannten< gesagt. »Ja sicher, Sir.«

»Haben Sie mal seine Frau gesehen?«

»Nein, Sir.«

»Wie ist sie? Haben Sie eine Ahnung? Haben Sie irgend etwas über sie gehört?«

»Ich kann nichts darüber sagen, Sir. Sicher nicht. Ziemlich traurige Angelegenheit, Sir.« Avery sah ihn erstaunt an. Leclerc muß es ihm gesagt haben, dachte er und ging hinauf.

3. Kapitel

 

Irgendwo frühstückten sie. Leclerc weigerte sich, das >Cadena< zu betreten und sie gingen unendlich lang, bis sie ein anderes Cafe fanden, das schlechter und teurer als das >Cadena< war.

»Ich kann mich nicht an ihn erinnern«, sagte Leclerc. »Das ist das Absurde daran. Er ist offenbar gelernter Funker. Jedenfalls war er es damals.« Avery war der Ansicht, er spreche von Taylor. »Wie alt war er, sagten Sie?«

»Vierzig, etwas darüber. Das ist ein gutes Alter. Ein Pole aus Danzig. Man spricht dort Deutsch, müssen Sie wissen. Nicht so verrückt wie die reinen Slawen. Nach dem Krieg ließ er sich einige Jahre lang treiben, schwamm ein bißchen herunter, dann riß er sich zusammen und kaufte eine Garage. Muß ganz nett verdient haben.«

»Dann glaube ich nicht, daß er...«

»Unsinn. Er wird dankbar sein, oder sollte es wenigstens.«

Leclerc zahlte die Rechnung und steckte sie ein. Als sie das Restaurant verließen, sagte er irgend etwas von Diäten und daß er die Rechnung der Buchhaltung gebe. »Man kann auch den Nachtdienst verrechnen, wissen Sie. Oder Zeitausgleich nehmen.« Sie gingen die Straße hinunter. »Ihr Flugticket ist gebucht. Carol hat das von ihrer Wohnung aus erledigt. Besser, wir geben Ihnen einen Spesenvorschuß. Sie werden die Überführung der Leiche regeln müssen und ähnliches. Ich habe gehört, daß das sehr kostspielig sein kann. Lassen Sie ihn per Flugzeug hierher transportieren. Wir werden hier ganz im stillen eine Obduktion durchführen lassen.«

»Ich habe noch nie einen Toten gesehen«, sagte Avery.

Sie standen an einer Straßenecke in Kennington und hielten nach einem Taxi Ausschau. Auf der einen Seite der Straße war ein Gaswerk, auf der anderen nichts: eine Gegend, in der ein ganzer Tag vergehen konnte, bis ein Taxi kam.

»John, Sie müssen über diese Seite der Angelegenheit absolutes Stillschweigen bewahren - daß wir einen Mann hineinschicken. Niemand darf es wissen, nicht einmal innerhalb der Organisation, absolut niemand. Ich glaube, wir sollten ihn Mayfly [Anm: Eintagsfliege (Ephemerida)] nennen. Leiser, meine ich. Ja, wir werden ihn Mayfly nennen.«

»In Ordnung.«

»Es ist eine sehr heikle Sache, eine Frage des Zeitplans. Ich zweifle nicht daran, daß es Widerstand geben wird, innerhalb der Organisation genauso wie außerhalb.«

»Was ist mit meiner Tarnung und ähnlichem?« fragte Avery. »Ich bin nicht ganz.« Ein freies Taxi fuhr an ihnen vorbei, ohne anzuhalten.

»Scheißkerl«, zischte Leclerc. »Warum hat er uns nicht mitgenommen?«

»Ich nehme an, er wohnt hier in der Gegend. Er fährt Richtung West End.« Dann wiederholte er. »Was die Tarnung betrifft.«

»Sie reisen unter Ihrem eigenen Namen. Ich sehe darin keine Schwierigkeit. Sie können Ihre eigene Adresse verwenden. Geben Sie sich als Verleger aus. Schließlich waren Sie einer. Der Konsul wird Ihnen an die Hand gehen. Worüber machen Sie sich Sorgen?«

»Nun ja, einfach über die Einzelheiten.« Leclerc erwachte aus seiner Träumerei und lächelte. »Ich werde Ihnen etwas über Tarnung erzählen. Den Rest werden Sie selbst lernen. Geben Sie niemals unaufgefordert Auskunft. Die Leute erwarten gar keine Erklärungen von Ihnen. Was ist da schließlich auch zu erklären? Es ist alles vorbereitet. Der Konsul hat unser Fernschreiben bekommen. Weisen Sie einfach Ihren Paß vor und im übrigen verlassen Sie sich auf ihr Fingerspitzengefühl.«

»Ich werde es versuchen«, sagte Avery. »Sie werden es schaffen«, versicherte Leclerc mitfühlend. Beide lächelten zaghaft.

»Wie weit ist es in die Stadt?« fragte Avery. »Vom Flughafen.«

»Ungefähr fünf Kilometer. Er stellt die Verbindung zu den wichtigsten Wintersportorten her. Der Himmel weiß, was der Konsul den ganzen Tag macht.«

»Und nach Helsinki?«

»Ich sagte es schon: Hundertsechzig Kilometer. Vielleicht etwas mehr.«

Avery schlug vor, mit dem Bus zu fahren, aber Leclerc wollte sich nicht ans Ende der wartenden Schlange stellen, deshalb blieben sie an der Ecke. Er begann wieder von Dienstwagen zu sprechen. »Es ist völlig absurd«, sagte er. »Früher hatten wir einen eigenen Fuhrpark. Jetzt haben wir nur zwei Lieferwagen, und das Schatzamt erlaubt uns nicht, den Fahrern Überstunden zu bezahlen. Wie kann ich unter diesen Bedingungen eine Organisation führen?« Schließlich gingen sie zu Fuß. Leclerc wußte die Adresse auswendig: Er hatte es sich zum Prinzip gemacht, sich an solche Dinge zu erinnern. Es war Avery unangenehm, lange Zeit an seiner Seite zu gehen, weil Leclerc seinen Schritt dem des größeren Mannes anpaßte. Avery war bemüht, kleine Schritte zu machen, aber manchmal vergaß er es, und dann mußte sich Leclerc anstrengen und bei jedem Schritt fast einen kleinen Sprung machen. Es regnete leicht und es war noch immer sehr kalt.

Es gab Zeiten, da empfand Avery für Leclerc eine innige, beschützende Liebe. Leclerc besaß die undefinierbare Gabe, Schuldgefühle erwecken zu können, als ersetze der Begleiter nur schlecht einen verstorbenen Freund. Es hatte jemanden gegeben, und der war gegangen; vielleicht eine ganze Welt, eine Generation. Jemand schien ihn geschaffen und dann verleugnet zu haben. Avery konnte Leclerc wegen seiner durchsichtigen Intrigen hassen oder Widerwillen gegen seine anmaßenden und selbstgefälligen Gesten empfinden, so wie ein Kind die übertriebenen Affektiertheiten von Erwachsenen verabscheut. Und im nächsten Augenblick konnte er das Bedürfnis empfinden, ihn voll Verantwortungsbewußtsein und inniger Zuneigung zu beschützen. Abgesehen von all diesen wechselnden Stimmungen war er Leclerc aber irgendwie dankbar, daß er ihn aufgebaut hatte. All dies zusammen erzeugte zwischen ihnen jene Zuneigung, die nur die Schwachen füreinander empfinden können: jeder war für den anderen das Publikum, für das die Rolle gespielt wurde.

»Es wäre gut«, sagte Leclerc unvermittelt, »wenn Sie beim Unternehmen Mayfly mitmachen würden.«

»Würde ich gerne tun.«

»Nach Ihrer Rückkehr.«

Sie harten die Adresse auf dem Stadtplan nachgesehen: »Roxburgh Gardens 34«. Es war jenseits der Kennington High Street. Bald wurde die Straße schäbiger, die Häuser standen dichter. Die Gaslaternen brannten gelb und flach wie Papiermonde. »Im Krieg hatten wir für den Stab sogar ein Wohnhaus.«

»Vielleicht bekommen wir wieder eines«, meinte Avery.