Выбрать главу

»Meinst du etwa, daß ich es leichter habe?« sagte er. »Ich bin abgehetzt wie ein Postpferd; aber ich muß doch mit dir sprechen, Catiche, und zwar sehr ernsthaft.«

Fürst Wasili schwieg; seine Wangen fingen nervös zu zucken an, bald auf der einen, bald auf der andern Seite, und verliehen seinem Gesicht einen unangenehmen Ausdruck, den es sonst niemals trug, wenn er in einem Salon war. Auch seine Augen sahen anders aus als gewöhnlich: bald blickten sie dreist und spöttisch, bald scheu und ängstlich umher.

Die Prinzessin, die mit ihren dürren, mageren Händen das Hündchen auf dem Schoß festhielt, blickte dem Fürsten Wasili aufmerksam in die Augen; aber es war klar, daß sie das Schweigen nicht durch eine Frage unterbrechen würde, und wenn sie bis zum Morgen schweigen müßte.

»Also siehst du, meine liebe Prinzessin und Kusine Katerina Semjonowna«, fuhr Fürst Wasili fort, der sich offenbar nicht ohne einen inneren Kampf dazu entschloß, seine angefangene Rede wiederaufzunehmen, »in solchen Momenten, wie die jetzigen, muß man alles erwägen. Wir müssen an die Zukunft denken, an euch denken. Ich liebe euch alle wie meine eigenen Kinder, das weißt du.«

Die Prinzessin blickte ihn ebenso trübe und starr an wie vorher.

»Schließlich muß ich doch auch an meine Familie denken«, redete Fürst Wasili, ohne die Prinzessin anzusehen, weiter und stieß ingrimmig ein neben ihm stehendes Tischchen von sich weg. »Du weißt, Catiche, daß ihr drei Schwestern Mamontow und dazu noch meine Frau, daß ihr vier die einzigen rechtmäßigen Erben des Grafen seid. Ich weiß, ich weiß, wie schwer es dir wird, von derartigen Dingen zu reden oder auch nur daran zu denken. Und mir wird das wahrlich nicht leichter. Aber, meine Beste, ich bin ein hoher Fünfziger; da muß man auf alles gefaßt sein. Weißt du wohl, daß ich Pierre habe rufen lassen müssen, weil der Graf geradezu auf sein Bild gezeigt und verlangt hat, er solle zu ihm kommen?«

Fürst Wasili blickte die Prinzessin fragend an, konnte aber nicht ins klare darüber kommen, ob sie über das, was er ihr gesagt hatte, nachdachte oder ihn, ohne etwas zu denken, ansah.

»Ich bitte Gott unablässig nur um das eine, Kusin«, antwortete sie, »daß er sich seiner erbarmen und seine herrliche Seele ruhig aus dieser Zeitlichkeit hinscheiden lassen wolle …«

»Jawohl, ganz gewiß«, fuhr Fürst Wasili ungeduldig fort, indem er sich die Glatze rieb und ärgerlich das vorhin weggestoßene Tischchen wieder zu sich heranzog. »Aber schließlich … es handelt sich schließlich darum … du weißt ja selbst, daß der Graf im vorigen Winter ein Testament abgefaßt hat, in dem er mit Übergehung der rechtmäßigen Erben, die wir doch sind, sein ganzes Vermögen diesem Pierre vermacht.«

»Er hat ja eine ganze Menge Testamente gemacht!« antwortete die Prinzessin mit aller Seelenruhe. »Aber Pierre konnte er nichts vermachen; Pierre stammt nicht aus einer richtigen Ehe.«

»Meine Liebe«, sagte Fürst Wasili und drückte das Tischchen fest an sich; er wurde lebhafter und begann schneller zu sprechen, »wie aber, wenn der Graf eine Eingabe an den Kaiser abgefaßt hat und ihn bittet, Pierre zu legitimieren? Du kannst dir wohl denken, daß mit Rücksicht auf die Verdienste des Grafen diese Bitte Beachtung finden würde …«

Die Prinzessin lächelte wie jemand, der überzeugt ist, eine Sache besser zu verstehen als der, mit dem er redet.

»Ich will dir noch mehr sagen«, fuhr Fürst Wasili fort und ergriff sie bei der Hand. »Geschrieben ist die Eingabe, aber nicht abgeschickt, und der Kaiser hat von ihr erfahren. Die Frage ist nur, ob diese Eingabe wieder vernichtet worden ist oder nicht. Wenn nicht, so wird, sobald alles zu Ende ist« (hier seufzte Fürst Wasili und gab dadurch zu verstehen, was er mit den Worten »sobald alles zu Ende ist« meinte) »und die Papiere des Grafen untersucht worden sind, das Testament mit der Eingabe dem Kaiser zugestellt werden, und das Gesuch des Grafen wird dann unfehlbar erfüllt. Dann erhält Pierre als legitimer Sohn das ganze Vermögen.«

»Aber kann ihm denn unser Anteil zufallen?« fragte die Prinzessin ironisch lächelnd, als ob alles andere passieren könne, nur das nicht.

»Aber, liebe Catiche, das ist doch alles sonnenklar. Er allein ist dann der legitime Erbe der ganzen Hinterlassenschaft, und ihr bekommt auch nicht so viel! Du wirst ja wissen, meine Liebe, ob das Testament und die Eingabe nach ihrer Abfassung wieder vernichtet sind. Und wenn sie aus irgendeinem Grund in Vergessenheit geraten sein sollten, so wirst du ja wissen, wo sie sich befinden, und mußt sie heraussuchen, da …«

»Das sollte mir fehlen!« unterbrach ihn die Prinzessin spöttisch lächelnd, ohne daß sich der Ausdruck ihrer Augen geändert hätte. »Ich bin eine Frau, und ihr Männer glaubt ja, daß wir Frauen alle dumm sind; aber so viel weiß ich denn doch, daß ein unnatürlicher Sohn nicht erben kann … Un bâtard!« fügte sie hinzu, in dem Glauben, durch diese Übersetzung dem Fürsten die Unrichtigkeit seiner Anschauung zwingend zu beweisen.

»Aber wie ist es nur möglich, Catiche, daß du das nicht verstehst! Du bist doch so klug; du mußt das doch begreifen: wenn der Graf eine Eingabe an den Kaiser geschrieben hat, in der er ihn bittet, seinen Sohn als legitim anzuerkennen, dann wird infolgedessen Pierre nicht mehr Pierre, sondern Graf Besuchow sein und erbt dann aufgrund des Testaments das ganze Vermögen. Wenn nun das Testament und die Eingabe nicht vernichtet sind, so bleibt dir außer dem tröstlichen Bewußtsein, an dem Grafen ein gutes Werk getan zu haben, und andern schönen Dingen von gleichem Wert nichts, aber auch rein gar nichts. Das ist völlig sicher.«

»Ich weiß, daß das Testament abgefaßt ist; aber ich weiß auch, daß es ungültig ist; Sie scheinen mich ja für eine vollständige Idiotin zu halten, Kusin«, sagte die Prinzessin mit der Miene, mit welcher Frauen zu sprechen pflegen, wenn sie etwas recht Scharfsinniges und Kränkendes zu sagen glauben.

»Meine liebe Prinzessin Katerina Semjonowna!« begann Fürst Wasili ungeduldig von neuem. »Ich bin nicht zu dir gekommen, um mich mit dir herumzustreiten, sondern um mit dir als meiner Verwandten, einer guten, trefflichen, echten Verwandten, über deine eigenen Interessen zu sprechen. Ich sage dir zum zehntenmaclass="underline" wenn die Eingabe an den Kaiser und das zu Pierres Gunsten abgefaßte Testament in den Papieren des Grafen vorhanden sind, so erbst du, meine Beste, mit deinen Schwestern gar nichts. Wenn du mir nicht glaubst, so glaube sachverständigen Männern: ich habe soeben mit Dmitri Onufriitsch« (dies war der Advokat des Hauses) »gesprochen; er hat genau dasselbe gesagt.«

Offenbar ging jetzt plötzlich irgendeine Veränderung in dem Denkapparat der Prinzessin vor. Ihre schmalen Lippen wurden blaß (die Augen dagegen blieben wie sie gewesen waren), und als sie zum Sprechen ansetzte, klang ihre Stimme so rauh und zornig, wie sie es anscheinend selbst nicht erwartet hatte.

»Das wäre ja noch schöner!« rief sie. »Ich habe nichts für mich gewollt und will nichts für mich.« Sie warf das Hündchen vom Schoß herunter und strich sich den Rock ihres Kleides glatt. »Das ist also sein Dank und seine Erkenntlichkeit Leuten gegenüber, die für ihn alles geopfert haben! Vortrefflich! Sehr schön! Ich verlange für mich nichts, Fürst!«

»Gewiß, aber du bist nicht allein, du hast Schwestern«, antwortete Fürst Wasili. Aber die Prinzessin hörte nicht auf ihn.

»Ich habe es schon längst gewußt, aber ich hatte es wieder vergessen, daß ich in diesem Haus nichts anderes als Gemeinheit, Betrug, Neid, Intrigen und Undank, schwärzesten Undank zu erwarten hatte …«

»Weißt du oder weißt du nicht, wo sich dieses Testament befindet?« fragte Fürst Wasili mit noch stärkerem Zucken der Wangen als vorher.

»Ja, ich bin dumm gewesen; ich glaubte noch an Menschen und liebte sie und opferte mich für sie auf. Aber Erfolg haben in der Welt nur diejenigen, die schändlich und nichtswürdig sind. Ich weiß, wessen Intrigen dahinterstecken.«