»Auf Wiedersehen, Fürstin!« rief er und verwickelte sich dabei mit der Zunge ebenso wie mit den Beinen.
Die Fürstin faßte ihr Kleid zusammen und setzte sich in dem dunklen Wagen zurecht; ihr Mann brachte seinen Säbel in Ordnung, um auch einzusteigen; Fürst Ippolit gab sich den Anschein, als wolle er gute Dienste erweisen, war aber nur hinderlich.
»Erlauben Sie, mein Herr«, sagte Fürst Andrei auf russisch trocken und unfreundlich zu dem Fürsten Ippolit, der ihn behinderte vorbeizukommen.
»Ich erwarte dich, Pierre!« rief dann dieselbe Stimme des Fürsten Andrei in freundlichem, herzlichem Ton aus dem Wagen heraus.
Der Vorreiter setzte sich in Bewegung, und der Wagen fuhr davon. Fürst Ippolit brach in sein stoßweises Lachen aus, während er auf den Stufen vor der Haustür stand und auf den Vicomte wartete, dem er versprochen hatte, ihn nach Hause zu bringen.
»Nun, mein Teuerster«, sagte der Vicomte, nachdem er sich mit Ippolit in den Wagen gesetzt hatte, »Ihre kleine Fürstin ist ja allerliebst! Ganz allerliebst!« Er küßte seine Fingerspitzen. »Und vollständig, vollständig wie eine Französin!«
Ippolit prustete und lachte laut los.
»Und wissen Sie, Sie sind ja ein ganz gefährlicher Mensch mit Ihrer Unschuldsmiene«, fuhr der Vicomte fort. »Ich bedaure den armen Ehemann, diesen kleinen Wicht von Offizier, der sich ein Air gibt, als wäre er ein regierender Herr.«
Ippolit prustete immer noch und sagte mühsam während des Lachens:
»Und da haben Sie gesagt, die russischen Damen seien im Vergleich mit den Französinnen doch rückständig. Aber man muß die Sache nur richtig anzufassen wissen.«
Pierre, der den Wagen des Fürsten Andrei überholt hatte, ging als Freund des Hauses in das Arbeitszimmer des Fürsten Andrei, legte sich dort sofort seiner Gewohnheit nach auf das Sofa, nahm aus einem Regal das erstbeste Buch, das ihm in die Hände kam (es waren die Kommentare Cäsars), stützte sich auf den Ellbogen und begann irgendwo in der Mitte zu lesen.
»Wie hast du nur der armen Anna Pawlowna mitgespielt? Sie wird jetzt gewiß ganz krank davon sein!« sagte Fürst Andrei, ins Zimmer tretend, und rieb sich die kleinen, weißen Hände.
Pierre wälzte sich mit dem ganzen Körper herum, so daß das Sofa knarrte, wendete sein lebhaft erregtes Gesicht dem Fürsten Andrei zu, lächelte und machte eine Handbewegung, die ungefähr besagte: »Ach Gott, Anna Pawlowna!«
»Nein«, sagte er, »dieser Abbé ist wirklich ein sehr interessanter Mann; nur hat er eine falsche Auffassung der Sache, mit der er sich beschäftigt … Möglich ist meiner Ansicht nach der ewige Friede; aber ich weiß nicht, wie ich mich ausdrücken soll … indessen gewiß nicht durch das politische Gleichgewicht.«
Fürst Andrei schien sich für derartige abstrakte Gespräche nicht zu interessieren.
»Man darf nicht an jedem Ort alles sagen, was man denkt, mein Lieber. – Nun, wie ist’s?« fragte er dann nach einem kurzen Stillschweigen. »Hast du dich nun endlich für irgendeinen Beruf entschieden? Willst du zur Gardekavallerie gehen oder Diplomat werden?«
Pierre setzte sich auf dem Sofa aufrecht hin, indem er die Beine unter den Leib schob.
»Können Sie sich das vorstellen? Ich weiß es immer noch nicht. Von diesen beiden Berufen gefällt mir der eine so wenig wie der andre.«
»Aber du mußt dich doch für irgend etwas entscheiden. Dein Vater wartet darauf.«
Pierre war in seinem zehnten Lebensjahr mit einem Abbé, der ihn erziehen sollte, ins Ausland geschickt worden, wo er dann bis zu seinem zwanzigsten Jahr gelebt hatte. Als er nach Moskau zurückgekehrt war, hatte sein Vater den Abbé entlassen und zu dem jungen Mann gesagt: »Fahr du jetzt nach Petersburg, sieh dich um und wähle. Ich bin mit allem einverstanden. Da hast du einen Brief an den Fürsten Wasili, und hier hast du Geld. Schreibe mir über alles; ich werde dir in allen Dingen behilflich sein.« Nun wählte Pierre schon drei Monate lang einen Beruf und tat nichts. Und über diese Wahl beabsichtigte Fürst Andrei jetzt mit ihm zu reden. Pierre rieb sich die Stirn.
»Aber er wird wohl Freimaurer sein«, sprach er; er sprach von dem Abbé, den er auf der Abendgesellschaft kennengelernt hatte.
»Das ist ja alles Torheit«, unterbrach ihn Fürst Andrei wieder in seinem Gedankengang. »Laß uns doch lieber von etwas Ernstem reden! Bist du in der Gardekavalleriekaserne gewesen?«
»Nein, ich bin nicht dagewesen. Aber da ist mir etwas durch den Kopf gegangen; das wollte ich Ihnen sagen. Wir haben jetzt Krieg gegen Napoleon. Wäre das ein Krieg für die Freiheit, dann würde ich für ihn Verständnis haben und würde der erste sein, der in den Kriegsdienst träte; aber den Engländern und Österreichern gegen den größten Mann der Welt beizustehen … das ist nicht schön.«
Fürst Andrei zuckte zu Pierres kindlichen Reden nur die Achseln. Er machte ein Gesicht, welches besagte, daß man auf solche Dummheiten eigentlich nicht antworten könne; und wirklich war es schwer, auf diese naive Äußerung etwas anderes zu erwidern als das, was Fürst Andrei zur Antwort gab:
»Wenn alle Menschen nur nach Maßgabe ihrer Überzeugungen Krieg führten, so würde es keinen Krieg geben«, sagte er.
»Das wäre ja aber wunderschön«, erwiderte Pierre.
Fürst Andrei lächelte.
»Wunderschön wäre es vielleicht; aber dahin wird es niemals kommen.«
»Nun, warum ziehen Sie denn in den Krieg?« fragte Pierre.
»Warum ich in den Krieg ziehe? Das weiß ich nicht. Ich muß eben. Außerdem ziehe ich in den Krieg …« Er stockte. »Ich ziehe in den Krieg, weil das Leben, das ich hier führe, nicht nach meinem Geschmack ist.«
VII
Im Nebenzimmer raschelte ein Frauenkleid. Wie wenn er plötzlich aus dem Schlaf aufwachte, schüttelte sich Fürst Andrei, und sein Gesicht nahm denselben Ausdruck an, den es in Anna Pawlownas Salon gehabt hatte. Pierre schob seine Beine vom Sofa herunter. Die Fürstin trat ein. Sie hatte sich bereits umgezogen und trug jetzt ein Hauskleid, das aber ebenso elegant und frisch war. Fürst Andrei stand auf und rückte ihr höflich einen Sessel heran.
»Ich denke oft darüber nach«, begann sie, wie immer auf französisch, indem sie sich eilig und eifrig in dem Lehnstuhl zurechtsetzte, »warum Annette sich eigentlich nicht verheiratet hat. Wie dumm ihr Herren doch alle seid, daß ihr sie nicht geheiratet habt. Nehmt es mir nicht übel, aber Frauen könnt ihr absolut nicht beurteilen … Was sind Sie für ein Kampfhahn, Monsieur Pierre!«
»Auch mit Ihrem Mann streite ich mich immerzu; ich verstehe nicht, warum er in den Krieg ziehen will«, sagte Pierre, zu der Fürstin gewendet, ohne jede Künstelei, die doch im Verkehr eines jungen Mannes mit einem jungen weiblichen Wesen etwas ganz Gewöhnliches ist.
Die Fürstin zuckte zusammen; offenbar hatten Pierres Worte bei ihr einen empfindlichen Punkt berührt.
»Ach, ganz dasselbe sage ich ja auch!« antwortete sie. »Ich verstehe nicht, verstehe schlechterdings nicht, warum die Männer nicht ohne Krieg leben können. Woher kommt es, daß wir Frauen keine Wünsche haben, deren Erfüllung uns Lebensbedürfnis wäre? Nun, seien Sie einmal selbst Richter! Ich sage immer zu ihm: hier ist er Adjutant bei seinem Onkel, eine glänzende Stellung. Jeder Mensch kennt ihn und schätzt ihn hoch. Erst neulich hörte ich bei Aprarins, wie eine Dame sagte: ›Ist das nicht der berühmte Fürst Andrei?‹ Mein Ehrenwort darauf, so hat sie sich ausgedrückt.« Sie lachte. »Er ist überall so beliebt. Selbst Flügeladjutant könnte er mit größter Leichtigkeit werden. Sie wissen, der Kaiser hat sehr gnädig mit ihm gesprochen. Ich habe mit Annette darüber geredet; es ließe sich sehr leicht erreichen. Wie denken Sie darüber?«
Pierre sah den Fürsten Andrei an, und da er bemerkte, daß dieses Gespräch seinem Freund nicht behagte, so antwortete er nicht.
»Wann reisen Sie ab?« fragte er.