Выбрать главу

»Chère comtesse, il y a si longtemps … Sie hat zu Bett gelegen, das arme Kind … au bal des Razoumowsky … et la comtesse Apraksine … j’ai été si heureuse …« so hörte man lebhafte weibliche Stimmen reden, die sich gegenseitig ins Wort fielen und mit dem Rascheln der Kleider und dem Stühlerücken in eins verschmolzen. Nun begann eines jener Gespräche, die man nur deshalb anknüpft, um sich bei der ersten Pause zu erheben, mit den Kleidern zu rauschen und zu sagen: »Ich war sehr erfreut …, die Gesundheit Mamas … und der Fürstin Apraxina«, um dann wieder mit den Kleidern zu rauschen, ins Vorzimmer zu gehen, den Pelz oder Mantel anzuziehen und wieder abzufahren.

Das Gespräch drehte sich um die wichtigste Neuigkeit, die damals in der Stadt besprochen wurde, um die Krankheit des alten Grafen Besuchow, eines der reichsten und schönsten Männer aus der Zeit Katharinas, und um seinen unehelichen Sohn Pierre, der sich auf der Abendgesellschaft Anna Pawlowna Scherers so ungehörig benommen habe.

»Der arme Graf tut mir sehr leid«, sagte die Besucherin, »sein Befinden ist schon sowieso so schlecht und nun noch dieser Kummer mit dem Sohn, das wird sein Ende sein.«

»Was ist denn nur geschehen?« fragte die Gräfin, als ob sie nicht wüßte, wovon ihre Besucherin sprach, obwohl sie doch heute bereits fünfzehnmal die Ursache von Graf Besuchows Kummer gehört hatte.

»Ja, ja, das ist die heutige Erziehung. Schon im Ausland«, sagte die Besucherin, »ist dieser junge Mensch immer nur sich selbst überlassen gewesen, und jetzt richtet er nun, wie man sagt, in Petersburg solch fürchterliche Dinge an, daß ihn die Polizei ausgewiesen haben soll.«

»Was Sie sagen«, erwiderte die Gräfin.

»Er hat sich seine Gesellschaft schlecht ausgewählt«, mischte sich die Fürstin Anna Michailowna ins Gespräch. »Der Sohn des Fürsten Wassilij, er und ein gewisser Dolochow haben, sagt man, Gott weiß was für Dinge ausgefressen. Und beide haben es büßen müssen. Dolochow ist zum Gemeinen degradiert, und Besuchows Sohn ist nach Moskau verwiesen.«

»Bei Anatol Kuragin hat der Vater die Sache noch irgendwie eingerenkt. Doch aus Petersburg ist er ebenfalls verwiesen worden.«

»Ja, aber was haben sie denn eigentlich verbrochen?« fragte die Gräfin.

»Das sind die reinsten Verbrecher, besonders Dolochow«, erwiderte die Besucherin. »Er ist ein Sohn Marja Iwanownas, einer durchaus ehrwürdigen Dame. Und was macht er? Können Sie sich das vorstellen? Da treiben sie zu dreien irgendwo einen Bären auf, setzen den zu sich in den Wagen und fahren mit ihm zu irgendwelchen Schauspielerinnen. Natürlich kommt gleich die Polizei herbei, um dem Unfug zu steuern. Da nehmen sie den Polizeiaufseher, binden ihn Rücken an Rücken mit dem Bären zusammen und stoßen den Bären in die Moskwa; der Bär schwimmt, und der Polizeiaufseher liegt oben darauf.«

»Nett muß da der Polizeiaufseher ausgesehen haben«, rief der Graf berstend vor Lachen.

»Aber das ist ja entsetzlich, wie kann man nur über so etwas lachen, Graf?«

Doch die Damen lachten unwillkürlich ebenfalls. »Und mit großen Anstrengungen konnte man den Unglücklichen noch retten«, fuhr die Besucherin fort, »und auf solch geistreiche Weise belustigt sich nun der Sohn des Grafen Kirill Wladimirowitsch Besuchow!« fügte sie hinzu. »Dabei behauptet man, daß er gut erzogen und sehr klug sei. Da sieht man, wozu die ganze Erziehung im Ausland führt! Ich hoffe, daß ihn hier niemand empfangen wird, wenn er auch noch so reich ist. Man wollte ihn mir vorstellen. Ich habe es aber abgelehnt: ich habe Töchter.«

»Warum sagen Sie, daß dieser junge Mann so reich sein soll?« fragte die Gräfin und wandte sich von den jungen Mädchen ab, die auch gleich so taten, als ob sie nicht zuhörten. »Der Graf hat doch nur uneheliche Kinder. Und dieser Pierre scheint doch auch ein solches zu sein.«

Die Besucherin machte eine wegwerfende Handbewegung.

»Er hat, glaube ich, zwanzig uneheliche Kinder.«

Jetzt mischte sich die Fürstin Anna Michailowna wieder ins Gespräch. Sie wollte wahrscheinlich zeigen, was für einflußreiche Verbindungen sie habe und wie gut sie über alles, was in der höheren Gesellschaft vor sich ging, Bescheid wisse.

»Die Sache ist nämlich so«, sagte sie wichtig und halbflüsternd, »Graf Kirill Wladimirowitschs Ruf ist ja bekannt. Wieviel Kinder er eigentlich hat, das weiß er wohl selber kaum, aber dieser Pierre ist entschieden sein Liebling.«

»Wie der alte Mann doch noch schön war«, warf die Gräfin ein, »noch im vorigen Jahr! Einen schöneren Mann habe ich niemals gesehen.«

»Jetzt hat er sich sehr verändert«, fuhr Anna Michailowna fort. »Ich wollte aber sagen«, wiederholte sie, »durch seine Frau ist eigentlich Fürst Wassilij der rechtmäßige Erbe des ganzen Besitzes, aber der Vater liebt Pierre sehr, er hat sich um seine Erziehung gekümmert, auch seinetwegen an den Kaiser geschrieben, so daß jetzt niemand weiß, wer das ungeheure Vermögen, wenn der Graf stirbt, einmal erben wird, Fürst Wassilij oder Pierre. Und augenscheinlich geht es ihm so schlecht, daß man jede Minute das Schlimmste befürchtet. Sogar Doktor Lorrain ist aus Petersburg herübergekommen. Vierzigtausend Seelen[27] und dazu noch viele Millionen! Ich weiß das ganz genau, weil Fürst Wassilij es mir selber gesagt hat. Und außerdem ist Kirill Wladimirowitsch ein Onkel zweiten Grades von mir, und zwar durch meine Mutter. Er ist auch Boris’ Pate«, fügte sie in einem Ton hinzu, als ob sie diesem Umstand keine so große Bedeutung beilege.

»Fürst Wassilij ist gestern in Moskau angekommen, er fährt zu einer Revision, sagte man mir«, schaltete die Besucherin ein.

»Ja, aber entre nous«, bemerkte die Fürstin, »das ist nur ein Vorwand. Er ist eigentlich nur des Grafen Kirill Wladimirowitsch wegen hergekommen, weil er gehört hat, daß es ihm so schlecht geht.«

»Meine Liebe, das ist doch aber ein famoser Scherz«, sagte der Graf; doch als er merkte, daß die ältere Dame nicht zuhörte wandte er sich zu den jungen Mädchen: »Ich kann mir vorstellen, was für eine köstliche Figur der Revieraufseher abgegeben haben mag!« Und er machte es nun vor, wie der Revieraufseher mit den Armen gezappelt haben mochte, und lachte dabei wieder mit seinem lauten, tiefen Lachen, das seinen ganzen Körper ins Schwanken brachte, wie etwa Leute lachen, die immer gut gegessen und getrunken haben. »Und nicht wahr, ich darf Sie bitten, heute bei uns zu speisen?« fügte er hinzu.

11

Alle schwiegen einen Augenblick. Die Gräfin blickte ihren Gast an und lächelte freundlich, ohne aber dabei zu verbergen, daß sie nicht im geringsten beleidigt wäre, wenn dieser sich jetzt erhöbe und fortginge. Die Tochter der Karagina strich bereits ihr Kleid glatt, um aufzustehen, und sah fragend ihre Mutter an. Da hörte man plötzlich aus dem Nebenzimmer, wie mehrere männliche und weibliche Füße zur Tür liefen. Ein Stuhl, an den jemand gestoßen war, fiel mit Gepolter um, und ein etwa dreizehnjähriges Mädchen kam ins Zimmer gelaufen, hielt etwas in ihrem kurzen Musselinröckchen verborgen und blieb mitten im Zimmer stehen. Augenscheinlich war sie, ohne es zu wollen, so weit hereingestürzt, da sie ihren schnellen Lauf nicht mehr hatte hemmen können. In der Tür erschienen im selben Augenblick ein Student mit einem himbeerfarbenen Uniformkragen, ein Gardeoffizier, ein fünfzehnjähriges Mädchen und ein dicker rotbackiger Junge in einem Kinderjäckchen. Der Graf sprang auf, wiegte sich hin und her und umfing das hereinstürmende Mädchen mit ausgebreiteten Armen.

»Ah, da ist sie ja«, rief er lachend, »unser Namenstagskind! Ma chère Natalie!«

»Ma chère, il y a un temps pour tout«, sagte die Gräfin in verstellt strengem Ton. »Du verwöhnst sie immer, Elie!« fügte sie dann, zu ihrem Mann gewandt, hinzu.

»Bonjour ma chère, je vous félicite«, sagte die Besucherin. »Quelle délicieuse enfant!« setzte sie hinzu und wandte sich an die Mutter.

Das schwarzäugige, nicht schöne, aber lebhafte Mädchen mit dem großen Mund, mit ihren bloßen Kinderschultern, die sich infolge des schnellen Laufs in ihrem Mieder hoben und senkten, mit ihren zurückgeworfenen schwarzen Locken, den dünnen nackten Armen, den schmalen Beinen in Spitzenhöschen und den kleinen Füßen in ausgeschnittenen Schuhen war gerade in dem lieblichen Alter, in dem ein Mädchen schon nicht mehr Kind ist, aber auch noch nicht junge Dame. Nachdem sie dem Vater entschlüpft war, lief sie zu ihrer Mutter hin und verbarg unter Lachen ihr Gesicht in deren Spitzenmantille, ohne ihre strenge Bemerkung zu beachten. Sie erzählte unter stoßweisem Lachen etwas von einer Puppe, die sie aus ihrem Röckchen hervorholte.

вернуться

27

vierzigtausend Seelen: als Seelen bezeichnete man damals Leibeigene, d. h. Menschen, über die man als »Eigentum« verfügte, und die man wie Objekte als Zahlungsmittel einsetzen konnte. Vgl. ›Siebenter Teil, Kapitel 6‹, wo ein Gutsbesitzer mit seiner Jagdhündin prahlt, die er für drei Familien Leibeigener erworben habe.