In dem von Rauch erfüllten Zimmer des Grafen unterhielt man sich über den Krieg, der durch ein Manifest erklärt war, und über die Aushebung. Das Manifest selber hatte zwar noch niemand gelesen, aber alle wußten, daß es erschienen war. Der Graf saß auf einer Ottomane zwischen zwei Herren, die rauchten und sich angeregt unterhielten. Er selbst rauchte nicht und beteiligte sich auch nicht an der Unterhaltung. Den Kopf bald auf die eine, bald auf die andere Seite neigend, betrachtete er mit offenbarem Vergnügen die beiden Rauchenden und hörte ihrem Gespräch zu; er selber hatte sie erst aufeinandergehetzt.
Der eine der beiden Redenden war ein Zivilist mit runzligem, galligem, magerem, glattrasiertem Gesicht; ein schon älterer Herr, wenn er auch wie ein junger Mann nach der neuesten Mode gekleidet war. Er hatte wie einer, der zum Hause gehört, die Füße auf die Ottomane gelegt, sich eine Bernsteinspitze in eine Ecke des Mundes gesteckt und zog nun mit zusammengekniffenen Augen den Rauch ruckweise ein. Es war ein alter Junggeselle, Schinschin mit Namen, ein Vetter der Gräfin, in der Moskauer Gesellschaft durch seine böse Zunge bekannt. Er schien den Herrn, mit dem er sich unterhielt, ziemlich herablassend zu behandeln. Der andere, ein frischer, rotbackiger Gardeoffizier, in einer bis oben zugeknöpften Uniform, tadellos gewaschen und frisiert, hielt die Bernsteinspitze in der Mitte des Mundes, zog mit seinen rosigen Lippen den Rauch leicht ein und blies ihn in Ringen aus seinem schönen Mund. Es war der Leutnant Berg, ein Offizier des Semjonower Regiments, in dessen Begleitung sich Boris zu seiner Truppe begeben sollte, jener Berg, mit dem Natascha ihre ältere Schwester geneckt, indem sie ihn als ihren Bräutigam bezeichnet hatte. Der Graf saß zwischen diesen Herren und hörte zu. Mit Ausnahme des Bostonspiels, das er sehr schätzte, war seine Lieblingsbeschäftigung das Zuhören, besonders, wenn es ihm gelungen war, zwei gewandte Redner aufeinanderzuhetzen.
»Nun wie denn, Väterchen, mon très honorable Alfons Karlowitsch«, sagte Schinschin spöttisch lachend, indem er echt russische Volksausdrücke mit gewähltesten französischen Phrasen durcheinandermischte, eine besondere Eigentümlichkeit von ihm, »vous comptez-vous faire des rentes sur l’état, Sie wollen von Ihrer Kompanie Nebeneinkünfte beziehen?«
»Nein, Peter Nikolajewitsch, ich wollte nur beweisen, daß die Kavallerie weniger Vorteile bietet als die Infanterie. Stellen Sie sich nur meine Lage vor, Peter Nikolajewitsch …«
Berg sprach immer sehr korrekt – ruhig und höflich. Er redete stets nur von sich. Wenn man über irgend etwas sprach, das nicht direkt zu ihm in Beziehung stand, hörte er zu und schwieg. Und so konnte er stundenlang schweigen, ohne Verlegenheit zu empfinden oder sie bei anderen hervorzurufen. Aber sobald das Gespräch ihn persönlich betraf, begann er weitschweifig und mit sichtlichem Behagen zu reden.
»Versetzen Sie sich nur einmal in meine Lage, Peter Nikolajewitsch. Bei der Kavallerie würde ich als Leutnant nicht mehr als zweihundert Rubel in vier Monaten erhalten. Jetzt aber bekomme ich zweihundertunddreißig«, sagte er mit einem freudigen und angenehmen Lächeln und sah Schinschin und den Grafen an, als sei es für ihn selbstverständlich, daß seine Erfolge auch das Hauptziel der Wünsche aller übrigen Menschen seien.
»Außerdem, Peter Nikolajewitsch, wenn ich jetzt zur Garde versetzt werde, bin ich an einer Stelle, wo man eher auf mich aufmerksam wird«, fuhr Berg fort, »und bei der Gardeinfanterie erhält man auch öfter Urlaub. Und dann bedenken Sie, wie gut ich mit zweihundertunddreißig Rubeln auskommen kann. Ich lege sogar noch zurück und kann meinem Vater etwas schicken«, fuhr er fort und blies einen Ring aus seiner Spitze.
»La balance y est … der Deutsche drischt sein Getreide auf dem Beilrücken, comme dit le proverbe«, sagte Schinschin, indem er die Bernsteinspitze in den anderen Mundwinkel schob, und zwinkerte dem Grafen zu.
Der Graf lachte auf. Als die anderen Gäste sahen, daß Schinschin das Wort führte, kamen sie herbei, um zuzuhören. Berg, der weder ihren Spott noch ihre Gleichgültigkeit bemerkte, fuhr fort, zu erzählen, wie er durch seine Versetzung zur Garde schon einen Rang vor seinen Kameraden bei der Linie gewonnen habe. Wenn zum Beispiel der Kompanieführer im Krieg fiele, könne er, da er der Rangälteste in der Kompanie sei, sehr leicht schon Hauptmann werden. Und alle im Regiment hätten ihn so gern, und sein Papa sei äußerst zufrieden mit ihm. Berg empfand, als er dies alles erzählte, augenscheinlich einen Hochgenuß, und schien gar nicht zu ahnen, daß andere Leute auch ihre Interessen haben. Und alles, was er sagte, war so nett und so ernsthaft gesprochen und die Naivität seines jugendlichen Egoismus so offenbar, daß er seine Zuhörer einfach entwaffnete.
»Na, Väterchen, Sie werden überall, sowohl bei der Infanterie als auch bei der Kavallerie, vorwärtskommen, das prophezeie ich Ihnen«, sagte Schinschin, indem er ihm auf die Schulter klopfte und seine Beine von der Ottomane herunternahm. Berg lächelte freudig. Der Graf und seine Gäste gingen in den Salon.
Es war jene Zeit vor dem Diner, wo die versammelten Gäste in der Erwartung, zum Einnehmen der Vorspeisen ans Büfett gerufen zu werden, keine langen Gespräche mehr anfangen, es aber für nötig halten, hin und her zu gehen und nicht zu schweigen, um nicht etwa irgendwelche Ungeduld, sich an den Tisch setzen zu können, zu verraten. Der Hausherr und die Hausfrau schauen oft nach der Tür und wechseln hin und wieder einen Blick. Die Gäste bemühen sich aus diesen Blicken zu erraten, wen oder was man noch erwarte: einen vornehmen Verwandten, der sich verspätet hat, oder eine Speise, die noch nicht fertig ist.
Pierre war erst kurz vor Beginn des Diners gekommen und saß nun ungeschickt mitten im Salon auf dem ersten besten Sessel, der ihm zur Hand gewesen war, wodurch er allen den Weg versperrte. Die Gräfin wollte ihn zum Reden bringen, doch er sah sich durch seine Brille naiv um, als suche er jemanden, und antwortete einförmig auf alle ihre Fragen. Das wirkte peinlich, und er selber war der einzige, der das nicht bemerkte. Die meisten Gäste, die die Geschichte mit dem Bären kannten, betrachteten neugierig diesen großen, dicken, friedlichen jungen Mann und konnten nicht verstehen, wie ein so unbeholfener und bescheidener Mensch einen solchen Streich mit dem Polizeivorsteher habe anstellen können.
»Sind Sie schon lange hier?« fragte ihn die Gräfin.
»Oui, madame«, antwortete er und sah sich um.
»Haben Sie nicht meinen Mann gesehen?«
»Non, madame.« Er lächelte, was hier gar nicht am Platze war.
»Sie waren unlängst in Paris, das muß doch sehr interessant gewesen sein.«
»Ja, sehr interessant.«
Die Gräfin wechselte einen Blick mit Anna Michailowna. Diese begriff, daß man sie bat, sich mit diesem jungen Mann zu beschäftigen. Sie setzte sich zu ihm und fing an, von seinem Vater zu reden. Aber ebenso wie der Gräfin, antwortete er auch ihr nur einförmig.
Alle Gäste waren in eifrigem Gespräch. »Les Razoumovsky … Ça a été charmant … Vous êtes bien bonne … la comtesse Apraksine«, hörte man von allen Seiten. Die Gräfin stand auf und ging in den Saal.
»Marja Dmitrijewna?« hörte man ihre Stimme draußen.
»Ist schon da«, ertönte als Antwort eine derbe Frauenstimme, und gleich darauf trat Marja Dmitrijewna ins Zimmer.
Alle jungen und sogar die verheirateten Damen, mit Ausnahme der älteren, erhoben sich. Marja Dmitrijewna blieb in der Tür stehen und musterte, ihren fünfzigjährigen Kopf mit den grauen Locken hochhebend, die Gäste von der Höhe ihrer massiven Gestalt herab. Gemächlich brachte sie die breiten Ärmel ihres Kleides in Ordnung, was so aussah, als ob sie sie hochstreifen wollte. Marja Dmitrijewna sprach immer russisch.