»Ich gratuliere Ihnen und den Kindern zum Namenstag«, sagte sie mit ihrer lauten, vollen Stimme, die alle anderen übertönte. »Nun, und was machst du, alter Sünder?« wandte sie sich an den Grafen, der ihr die Hand küßte. »Du langweilst dich wohl hier in Moskau? Kannst wohl hier nicht mit deinen Hunden jagen? Ja, Väterchen, das ist nun einmal so; sieh, wie diese Vögelchen heranwachsen«, sie zeigte auf die Mädchen. »Ob man will oder nicht, man muß jetzt einen Bräutigam für sie suchen.«
»Na, und wie geht es denn dir, mein Kosak?« sagte sie zu Natascha, die sie immer so nannte, und streichelte sie. Natascha war fröhlich und durchaus nicht schüchtern auf sie zugelaufen, um ihr die Hand zu reichen. »Ich weiß, daß dieses Mädel ein richtiges Unkraut ist, aber ich habe sie doch gern.«
Sie holte aus ihrem mächtigen Ridikül ein Paar birnenförmige Saphirohrringe heraus, gab sie dem strahlenden und errötenden Namenstagskind und wandte sich dann von ihr ab, um Pierre anzureden.
»He, he, mein Lieber! Komm mal hierher«, sagte sie mit erkünstelt leiser und feiner Stimme, »komm mal her, mein Lieber!« Drohend streifte sie die Ärmel noch höher. Pierre trat auf sie zu und sah sie harmlos durch seine Brille an.
»Nun komm mal zu mir, mein Freund, komm mal zu mir! Ich bin die einzige gewesen, die auch deinem Vater schon die Wahrheit gesagt hat, als er an höchster Stelle noch so gut angeschrieben war, und nun befiehlt mir Gott, es bei dir ebenso zu machen.«
Sie schwieg. Alle waren still und warteten auf das, was nun kommen würde, da sie fühlten, daß dies erst die Vorrede war.
»Ein netter Junge, das kann man wohl sagen, ein netter Junge: Der Vater liegt auf dem Totenbett, und er amüsiert sich damit, den Polizeivorsteher auf einem Bären reiten zu lassen. Schäme dich, Väterchen, schäme dich! Besser wäre es, wenn du in den Krieg zögest.«
Sie wandte sich ab und reichte dem Grafen ihren Arm, der kaum das Lachen unterdrücken konnte. »Na also, zu Tisch? Ich glaube, es ist Zeit?« sagte sie zu ihm gewandt.
Voran ging der Graf mit Marja Dmitrijewna. Dann kam die Gräfin am Arm des Husarenobersten, der für die Rostows von großer Bedeutung war, da Nikolaj mit ihm das Regiment einholen sollte. Dann folgte Anna Michailowna mit Schinschin. Berg hatte Wera den Arm gereicht. Die lächelnde Julie Karagina ging mit Nikolaj zu Tische. Nach ihnen zogen die anderen Paare in langer Reihe durch den ganzen Saal. Ganz zuletzt kamen dann die Kinder mit ihren Erziehern und Gouvernanten. Die Dienerschaft eilte geschäftig hin und her. Stühle wurden gerückt. Die Musik setzte ein. Die Gäste nahmen Platz. In die Töne der gräflichen Hausmusik mischte sich das Klappern der Messer und Gabeln, die Reden der Gäste und die leisen Schritte der Diener. Am oberen Ende des Tisches saß die Gräfin, rechts von ihr Marja Dmitrijewna, links Anna Michailowna, und dann folgten die anderen Gäste. Am unteren Ende der Tafel saß der Graf, links von ihm der Husarenoffizier, rechts Schinschin und die anderen Herren. Auf der einen Seite des langen Tisches hatte die ältere Jugend Platz genommen: Wera neben Berg, Pierre neben Boris, auf der anderen Seite die Kinder mit den Gouvernanten und Erziehern. Der Graf blickte zwischen den Kristallflaschen und den Schalen mit Früchten ab und zu nach seiner Frau und ihrer hohen Haube mit den blauen Bändern und goß seinen Gästen eifrig Wein ein, ohne sich selber dabei zu vergessen. Ebenso warf auch die Gräfin, ohne dabei ihre Hausfrauenpflichten zu vergessen, hinter den Ananasfrüchten hervor bedeutsame Blicke ihrem Mann zu, dessen Glatze und Gesicht, wie ihr schien, von den grauen Haaren sich immer greller abhoben, je röter sie wurden. Aus der Ecke, wo die Damen saßen, war ein gleichmäßiges Geplauder zu hören, doch auf der Seite der Herren ertönten die Stimmen immer lauter und lauter, besonders die des Husarenobersten, der viel aß und viel trank und dabei immer röter wurde, so daß der Graf ihn den anderen Gästen schon als Muster hinstellte. Berg sprach, zärtlich lächelnd, mit Wera darüber, daß die Liebe kein irdisches, sondern ein himmlisches Gefühl sei. Boris nannte seinem Freunde Pierre die Namen der am Tisch sitzenden Gäste und wechselte Blicke mit Natascha, die ihm gegenüber saß. Pierre sprach wenig, musterte die ihm neuen Gesichter und aß sehr viel. Angefangen von den beiden Suppen, von denen er die Schildkrötensuppe wählte, bis zur Fischpastete und den Haselhühnern ließ er keinen einzigen Gang aus und auch keinen der Weine, die der Hausmeister in den mit Servietten umwickelten Flaschen hinter der Schulter seines Nachbarn geheimnisvoll hervorholte, indem er dazu bald ›Dry Madeira‹, bald ›Ungar-‹, bald ›Rheinwein‹ sagte. Er hielt ihm das erste beste von den vier mit dem Namenszug des Grafen versehenen Kristallgläsern hin, die bei jedem Gedeck standen, und trank mit viel Vergnügen. Mit immer freundlicherer Miene blickte er auf die Gäste. Natascha, die ihm gegenübersaß, sah Boris an, wie dreizehnjährige Mädchen einen Jüngling anblicken, in den sie verliebt sind und den sie soeben zum erstenmal geküßt haben. Denselben Blick warf sie bisweilen auch Pierre zu, und unter dem Blick dieses drolligen, lebhaften Mädchens bekam er selbst Lust zu lachen, ohne zu wissen warum.
Nikolaj saß weitab von Sonja neben Julie Karagina und sprach wieder mit demselben unwillkürlichen Lächeln auf sie ein. Sonja lächelte des Anstandes wegen, wurde aber augenscheinlich von Eifersucht gequält: sie wurde bald blaß, bald rot und hörte angestrengt zu, was Nikolaj und Julie miteinander sprachen. Die Gouvernante sah sich unruhig um, als mache sie sich zur Abwehr bereit, wenn es jemandem in den Sinn kommen sollte, die Kinder zu kränken. Der deutsche Erzieher bemühte sich, die Namen der Speisen, Desserts und Weine zu behalten, um sie in einem Brief ausführlich seinen Angehörigen in Deutschland zu beschreiben, und ärgerte sich sehr, daß der Haushofmeister mit den in Servietten eingewickelten Flaschen ihn manchmal überging. Der Deutsche zog die Stirne kraus, bemühte sich aber, so auszusehen, als ob er diesen Wein gar nicht möge. Er ärgerte sich darüber, daß niemand zu verstehen schien, daß er den Wein nicht etwa aus Gier und um seinen Durst zu stillen, haben wollte, sondern aus reinem Erkenntnisdrang.
19
In der Ecke, wo die Herren saßen, wurde die Unterhaltung immer lebhafter. Der Oberst erzählte, daß das Manifest über die Kriegserklärung schon in Petersburg erschienen sei, und daß ein Exemplar, das er selbst gesehen habe, heute dem Oberkommandierenden durch einen Kurier zugestellt worden sei.
»Und warum plagt uns der Teufel, mit Bonaparte zu kämpfen?« sagte Schinschin. »Er hat schon den Österreichern ihren Größenwahn ausgetrieben. Ich fürchte, dieses Mal kommen wir an die Reihe.«
Der Oberst war ein stämmiger, hoher und sanguinischer Deutscher, augenscheinlich ein alter Soldat und guter Patriot. Er fühlte sich durch Schinschins Worte beleidigt.
»Warum wir Krieg führen, mein Herr?« sagte er – an seiner Aussprache des Russischen merkte man deutlich den Deutschen. »Darum, weil der Kaiser es will. Er erklärt in seinem Manifest, daß er die Gefahren, die Rußland drohen, nicht gleichgültig mit ansehen darf, und daß die Sicherheit des Reiches und seine Würde und die Heiligkeit der Bündnisse …« Er betonte besonders das Wort ›Bündnisse‹, als ob dies das Wesentliche der ganzen Sache wäre, und mit dem ihm eigenen, unfehlbaren Gedächtnis für alle dienstlichen Angelegenheiten wiederholte er die einleitenden Worte des Manifestes: »und der das einzige und unabänderliche Ziel Seiner Majestät bildende Wunsch, den Frieden in Europa auf festen Grundlagen aufzubauen, hat ihn veranlaßt, jetzt einen Teil der Truppen über die Grenze rücken zu lassen, um diese Absicht unter neuen Bedingungen zu erreichen. Sehen Sie, das ist der Grund, mein Herr«, schloß er, leerte zur Bekräftigung sein Glas und sah sich beifallheischend nach dem Grafen um.