»Seht unser Väterchen! Wie ein Adler!« rief in der einen Tür laut die Kinderfrau.
Der Graf tanzte gut und wußte das auch, doch seine Dame konnte nicht gut tanzen und wollte es auch nicht. Steif und aufrecht bewegte sich ihr riesiger Körper mit den schlaff herunterhängenden Armen – ihren Ridikül hatte sie der Gräfin gegeben – und nur ihr strenges, aber schönes Gesicht schien zu tanzen. Was sich beim Grafen in seiner ganzen rundlichen Figur ausprägte, das zeigte sich bei Marja Dmitrijewna nur in ihrem immer fröhlicher lächelnden Gesicht und in ihrer sich immer höher reckenden Nase. Und wenn auch der Graf, der immer mehr in Schwung kam, die Zuschauer durch unerwartete, geschickte Pas und leichte Sprünge seiner geschmeidigen Beine entzückte, so rief Marja Dmitrijewna trotz des geringeren Eifers, den sie beim Bewegen der Schultern oder Krümmen der Arme in den Drehungen oder beim Aufstampfen an den Tag legte, einen nicht geringeren Eindruck hervor, da jeder verdientermaßen ihre Beleibtheit und ihr sonst stets ernstes Wesen dabei in Betracht zog. Der Tanz wurde immer lebhafter. Das ihnen gegenüber tanzende Paar konnte auch nicht einen Augenblick die Aufmerksamkeit auf sich lenken und bemühte sich auch gar nicht darum. Alles war mit dem Grafen und Marja Dmitrijewna beschäftigt. Natascha zupfte die Umstehenden, die schon ohnehin kein Auge von den Tanzenden verwandten, am Ärmel oder am Kleid, damit sie ihrem Papa zusehen sollten. Während der kurzen Pausen winkte der Graf ganz außer Atem den Musikanten zu, sie sollten noch schneller spielen. Schneller und schneller und immer geschickter drehte er sich, bald auf den Fußspitzen schwebend, bald auf den Hacken stampfend, um Marja Dmitrijewna herum. Endlich führte er seine Dame wieder ihrem alten Platze zu und machte den letzten Pas, warf sein geschmeidiges Bein nach hinten in die Höhe, neigte den in Schweiß gebadeten Kopf mit dem lächelnden Gesicht nach vorn und schwenkte seinen rechten Arm rund herum, was ein donnerndes Händeklatschen und Gelächter, namentlich von seiten Nataschas, hervorrief. Die beiden Tanzenden machten halt, holten mühsam Atem und trockneten sich mit ihren Batisttaschentüchern den Schweiß ab.
»Ja, so hat man zu unserer Zeit getanzt, meine Liebe«, sagte der Graf.
»Ach ja, der ›Danilo Kupor‹!« seufzte Marja Dmitrijewna und streifte ihre Ärmel hoch.
21
Während man bei den Rostows zu den Klängen der aus Müdigkeit schon falsch spielenden Musikanten bereits die sechste Anglaise tanzte und die müden Diener und Köche das Souper bereiteten, bekam Graf Besuchow den sechsten Schlaganfall. Die Ärzte hatten erklärt, eine Hoffnung auf Genesung bestehe nicht mehr. Man nahm dem Kranken die stumme Beichte ab, reichte ihm das Abendmahl und traf die Vorbereitungen zu seiner letzten Ölung. Im Hause herrschte ein dauerndes Hin- und Herlaufen und eine erwartungsvolle Unruhe, wie es ja in solchen Augenblicken stets der Fall zu sein pflegt. Draußen aber vor dem Tor drängten sich die Sargmacher und warteten auf die reichen Gewinn versprechende Bestellung für das Begräbnis des Grafen, versteckten sich aber schnell, sobald nur ein Wagen nahte. Der Oberkommandierende von Moskau, der immer wieder Adjutanten geschickt hatte, um sich nach dem Befinden des Grafen zu erkundigen, war am Abend selbst gekommen, um vom Grafen Besuchow, diesem berühmten Würdenträger aus der Zeit der Kaiserin Katharina, Abschied zu nehmen.
Das prächtige Empfangszimmer war voller Menschen. Alle erhoben sich ehrerbietig, als der Oberkommandierende, der ungefähr eine halbe Stunde allein bei dem Kranken geweilt hatte, wieder das Zimmer verließ. Mit leichtem Nicken erwiderte er die Verbeugungen und bemühte sich, möglichst schnell an allen diesen auf ihn gerichteten Blicken der Ärzte, Geistlichen und gräflichen Verwandten vorbeizukommen. Fürst Wassilij, der in den letzten Tagen ganz mager und blaß geworden war, geleitete ihn hinaus und sagte mit leiser Stimme noch ein paar Worte zu ihm.
Nachdem Fürst Wassilij den Oberkommandierenden hinausgeleitet hatte, setzte er sich abseits im Saal auf einen Stuhl, schlug ein Bein hoch über das andere, stützte die Ellbogen auf die Knie und bedeckte seine Augen mit der Hand. Als er so eine Zeitlang gesessen hatte, erhob er sich und ging mit ungewöhnlich schnellen Schritten, sich mit erschrockenen Augen rings umblickend, durch den langen Korridor in die hinteren Gemächer des Hauses zu der ältesten Prinzessin. Die übrigen Personen, die sich in dem nur matt erleuchteten Empfangszimmer befanden, sprachen in unruhigem Geflüster miteinander; dann schwiegen sie wieder und sahen sich mit fragenden und erwartungsvollen Augen nach der Tür um, die in das Zimmer des Sterbenden führte und stets ein schwaches Knarren hören ließ, sobald jemand hinein- oder herausging.
»Uns Menschen«, sagte ein alter Herr, ein Geistlicher, zu der Dame, die neben ihm saß und ihm vertrauensvoll zuhörte, »uns Menschen ist eine Grenze gesteckt, die man nicht überschreiten kann.«
»Wird es auch nicht zu spät zur letzten Ölung sein?« fragte die Dame, den Geistlichen mit seinem Titel anredend, als hätte sie in diesen Dingen keine eigene Meinung.
»Es ist etwas Großes um dieses Sakrament, meine Liebe«, antwortete der Geistliche und fuhr sich mit der Hand über die Glatze, auf der einige graue, nach hinten gekämmte Haarsträhnen lagen.
»Wer ist denn das? War das der Oberkommandierende selbst?« fragte man am anderen Ende des Zimmers. »Was für ein jugendlicher Mann er noch ist!«
»Und dabei ist er schon in den Sechzigern. Wie? Man sagt, der Graf erkennt niemanden mehr. Man wolle ihm die letzte Ölung geben?«
»Ich habe einen gekannt, der siebenmal die letzte Ölung bekommen hat.«
Da trat die zweitälteste Prinzessin mit verweinten Augen aus dem Zimmer des Kranken und setzte sich zu Doktor Lorrain, der in graziöser Pose neben dem Porträt Katharinas saß und den Ellbogen auf den Tisch gelehnt hatte.
»Très beau«, beantwortete der Doktor ihre Frage über das Wetter, »très beau et puis, à Moscou on se croit à la campagne.«
»N’est-ce pas«, sagte die Prinzessin aufseufzend. »Darf er wohl jetzt etwas trinken?«
Lorrain dachte nach.
»Hat er die Medizin genommen?«
»Ja.«
Der Doktor sah nach seiner Uhr. »Nehmen Sie ein Glas abgekochtes Wasser und tun Sie une pincée cremor tartari hinein.« Er zeigte ihr mit den Fingern, wieviel une pincée bedeute.
»Es ist wohl noch nie der Fall gewesen«, bemerkte der deutsche Doktor in schlechtem Russisch zu dem Adjutanten, »daß jemand nach dem dritten Schlaganfall noch leben geblieben ist.«
»Und wie frisch er bis zuletzt noch gewesen ist!« warf der Adjutant ein. »Doch wem fällt nun dieser Reichtum zu?« fügte er flüsternd hinzu.
»Wird sich schon ein Liebhaber finden«, antwortete lächelnd der Deutsche.
Wieder sahen sich alle nach der Tür um: sie knarrte und herein trat wieder die zweitälteste Prinzessin, die das von Lorrain verordnete Getränk bereitet hatte und es jetzt dem Kranken hintrug. Der deutsche Arzt trat auf Lorrain zu.
»Vielleicht kann es sich doch noch bis morgen früh hinziehen?« fragte der Deutsche auf französisch, das er ebenso schlecht aussprach wie das Russische.
Lorrain preßte die Lippen zusammen und bewegte streng und verneinend den Zeigefinger vor seiner Nase hin und her.