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Und gerade zu einer Zeit, als sich die Verhältnisse des Grafen dermaßen verwirrt hatten, daß nicht auszudenken war, was für ein Ende dies nehmen werde, wenn es nur noch ein Jahr so fortginge, war er nun plötzlich gestorben.

Nikolaj befand sich mit den russischen Truppen in Paris, als ihn die Nachricht vom Tod seines Vaters traf. Er reichte sogleich seinen Abschied ein, wartete aber die Antwort nicht ab, nahm Urlaub und fuhr nach Moskau. Vier Wochen nach dem Tod des alten Grafen war der Stand des Vermögens klargestellt, und alle staunten über die Riesensumme der verschiedenen kleinen Schulden, von denen niemand auch nur eine Ahnung gehabt hatte. Seine Schulden waren noch einmal so groß wie das Vermögen.

Verwandte und Freunde rieten Nikolaj, auf die Erbschaft zu verzichten. Aber Nikolaj erblickte in einer solchen Ablehnung der Erbschaft einen Ausdruck des Vorwurfs gegen das ihm heilige Andenken seines Vaters, wollte von einem Verzicht nichts wissen und nahm die Erbschaft und mit ihr die Verpflichtung zum Bezahlen der Schulden an.

Die Gläubiger, die solange geschwiegen hatten, weil sie bei Lebzeiten des Grafen durch jenen unbestimmbaren, aber mächtigen Einfluß gebunden waren, den seine haltlose Güte auf sie ausübte, kamen plötzlich alle mit ihren Forderungen an. Und wie das immer so geht, wetteiferten sie nun förmlich, wer zuerst Geld bekomme, und jene selben Leute, die, wie der Sekretär Mitenka und andere, Wechsel ohne Gegenleistung als Geschenk erhalten hatten, zeigten sich nun als die erbittertsten Gläubiger. Sie gönnten Nikolaj weder Frist noch Erholung, und jene, die scheinbar mit dem Alten, der doch schuld an ihrem Verlust war, soweit man von einem solchen überhaupt sprechen konnte, noch Mitleid gehabt hatten, fielen nun ohne Erbarmen über den jungen Erben her, der doch zweifellos ihnen gegenüber unschuldig war und nur die Bezahlung gutmütig auf sich genommen hatte.

Nicht einer der Schachzüge Nikolajs gelang. Das Gut wurde für den halben Preis gerichtlich versteigert, und dennoch blieb die Hälfte der Schulden unbezahlt. Nikolaj nahm die ihm von seinem Schwager angebotenen dreißigtausend Rubel an und bezahlte damit jene Schulden, die er als wirkliche Geldschulden anerkannte. Um für den noch verbleibenden Rest nicht ins Gefängnis gesteckt zu werden, womit die Gläubiger ihm drohten, trat er wieder in den Dienst ein.

Sich wieder zur Armee zu begeben, wo er bei der ersten Vakanz Regimentskommandeur geworden wäre, war deshalb nicht möglich, weil sich die Mutter jetzt an den Sohn wie an das letzte, was ihr das Leben noch lebenswert machte, klammerte. Und obgleich er lieber nicht in Moskau im Kreis jener Leute, die ihn früher gekannt hatten, geblieben wäre und eine Abneigung gegen den Zivildienst besaß, zog er dennoch seine geliebte Uniform aus, nahm in Moskau eine Stelle im Staatsdienst an und siedelte mit der Mutter und Sonja in eine kleine Wohnung am Siwzewi-Wraschek über.

Natascha und Pierre lebten zu dieser Zeit in Petersburg und hatten von Nikolajs Verhältnissen keine klare Vorstellung. Nikolaj, der von seinem Schwager Geld geliehen hatte, suchte seine ärmliche Lage vor ihm geheim zu halten. Er befand sich deshalb in einer so besonders schwierigen Lage, weil er von seinen zwölfhundert Rubeln Gehalt nicht nur sich, Sonja und die Mutter erhalten mußte, sondern diese auch so erhalten mußte, daß sie nicht merkte, wie arm sie geworden waren. Die Gräfin konnte sich ein Leben ohne den ihr von Kindheit an zur Gewohnheit gewordenen Luxus nicht denken und verlangte ununterbrochen und ohne Verständnis dafür, wie schwer es dem Sohne wurde, bald einen Wagen, den sie nicht mehr besaßen, um eine Bekannte holen zu lassen, bald ein teures Gericht für sich selber oder Wein für den Sohn, und bald Geld, um Natascha, Sonja und Nikolaj selbst mit Geschenken zu überraschen.

Sonja führte den Haushalt, pflegte die Tante, las ihr vor, ertrug ihre Launen und ihre versteckte Abneigung und half Nikolaj, die dürftige Lage, in der sie sich befanden, vor der alten Gräfin geheim zu halten. Nikolaj fühlte eine nie abzutragende Schuld der Dankbarkeit gegen Sonja für alles, was sie an seiner Mutter tat, bewunderte ihre Geduld und Hingabe, suchte sich aber doch von ihr fernzuhalten.

Es war, als mache er es ihr im Grund seines Herzens zum Vorwurf, daß sie zu vollkommen war und nichts an sich hatte, was man hätte tadeln können. Sie besaß alles, wofür man Menschen schätzt, aber wenig von dem, weswegen man sie liebt. Und er fühlte: je mehr er sie hochschätzen mußte, um so weniger liebte er sie. Er nahm sie beim Wort, da sie ihm durch ihren Brief die Freiheit wiedergegeben hatte, und begegnete ihr jetzt so, als sei alles, was zwischen ihnen gewesen war, lang, lang vergessen und könne auf keinen Fall wiederkehren.

Nikolajs Lage gestaltete sich immer schwieriger. Der Gedanke, von seinem Gehalt etwas zurückzulegen, erwies sich als Trugbild. Er konnte nicht nur nichts zurücklegen, sondern geriet dadurch, daß er alle Wünsche seiner Mutter befriedigte, nach und nach in kleine Schulden. Nirgends zeigte sich ihm ein Ausweg aus dieser Lage. Der Gedanke an eine Heirat mit einer reichen Erbin, wie sie ihm die Damen seiner Verwandtschaft vorschlugen, war ihm zuwider. Der zweite Ausweg, der Tod seiner Mutter, kam ihm niemals in den Sinn. Er hatte keinen Wunsch, keine Hoffnung und weidete sich in tiefster Seele an dem finsteren, herben Genuß, seine Lage ohne Murren zu ertragen. Nur gab er sich Mühe, allen seinen früheren Bekannten, die ihn immer bloß bemitleideten und ihm Hilfe anboten, was ihn verletzte, aus dem Weg zu gehen, mied alle Zerstreuungen und Unterhaltungen, und beschäftigte sich sogar zu Hause mit nichts anderem, als daß er mit seiner Mutter Karten legte oder schweigend im Zimmer auf und ab ging und eine Pfeife nach der andern rauchte. Es war, als gehe sein ganzes Bestreben nur dahin, diese düstere Gemütsstimmung zu wahren, in der allein er sich imstande fühlte, seine jetzige Lage zu ertragen.

6

Zu Anfang des Winters kam Prinzessin Marja nach Moskau. Aus den Gerüchten, die in der Stadt umliefen, erfuhr sie von der Lage der Rostows und wie der Sohn sich für die Mutter aufopfere, was man überall in der Stadt erzählte.

Ich habe von ihm nichts anderes erwartet, sagte sich Prinzessin Marja und fühlte mit Freuden ihre Liebe zu ihm gerechtfertigt. Sie dachte an ihre freundschaftlichen, fast verwandtschaftlichen Beziehungen zur ganzen Familie und hielt es für ihre Pflicht, diese aufzusuchen. Doch wenn sie sich an ihre Beziehungen zu Nikolaj in Woronesch erinnerte, scheute sie sich doch auch wieder, hinzugehen. Endlich überwand sie sich mit großer Anstrengung, und ein paar Wochen nach ihrer Ankunft in der Stadt fuhr sie zu den Rostows.

Nikolaj war der erste, der ihr entgegenkam, da man in das Zimmer der Gräfin nur durch sein Zimmer gelangen konnte.

Beim ersten Blick auf Prinzessin Marja nahm Nikolajs Gesicht statt des Ausdrucks der Freude, den sie bei ihm zu sehen gehofft hatte, einen von ihr früher nie an ihm wahrgenommenen Ausdruck der Kälte, Trockenheit und des Stolzes an. Nikolaj erkundigte sich nach ihrer Gesundheit, geleitete sie zu seiner Mutter, blieb fünf Minuten sitzen und zog sich dann in sein Zimmer zurück.

Als die Prinzessin dann von der Gräfin herauskam, trat Nikolaj wieder auf sie zu und brachte sie besonders feierlich und förmlich ins Vorzimmer. Auf ihre Bemerkungen über die Gesundheit der Gräfin erwiderte er kein Wort. Was geht Sie das an? Lassen Sie mich in Ruhe, sagte sein Blick.

»Wozu kriecht sie überall herum? Was will sie nur? Ich kann diese Damen und alle diese liebenswürdigen Reden nicht ausstehen!« sagte er, da er seinen Ärger sichtlich nicht zurückhalten konnte, laut zu Sonja, als der Wagen der Prinzessin vom Hause fortfuhr.

»Ach, wie können Sie nur so etwas sagen, Nicolas«, erwiderte Sonja, die kaum ihre Freude verbergen konnte. »Sie ist so gut, und maman hat sie so gern.«

Nikolaj gab keine Antwort und wollte nun überhaupt nicht mehr von der Prinzessin reden. Doch seit sie diesen Besuch gemacht hatte, fing die alte Gräfin jeden Tag immer wieder von ihr an.