»Ich hoffe auf Sie, liebe Freundin«, erwiderte Anna Pawlowna ebenfalls leise. »Sie werden ihr also schreiben und mir dann berichten, comment le père envisagera la chose. Au revoir.« Damit verließ sie das Vorzimmer.
Fürst Hippolyt trat zu der kleinen Fürstin, neigte sein Gesicht nahe zu ihr herab und flüsterte ihr etwas zu.
Zwei Lakaien, von denen der eine der Fürstin, der andere Hippolyt gehörte, warteten mit ihrem Schal und seinem Mantel, bis beide ihr Gespräch beendet hatten. Sie hörten die ihnen unverständliche französische Sprache mit einem Gesicht an, als verstünden sie, was da gesprochen wurde, wollten es aber nicht zeigen.
Die Fürstin unterhielt sich wie immer lächelnd und hörte lachend zu.
»Ich freue mich nur, daß ich nicht zu dem Gesandten gefahren bin«, sagte Fürst Hippolyt. »Sehr langweilig ist es da. Ein herrlicher Abend war das doch heute, nicht wahr, ein herrlicher Abend.«
»Man sagt, daß der Ball heute dort sehr nett werden wird«, antwortete die Fürstin und zog ihre kleine Lippe mit dem Schnurrbärtchen hoch. »Alle schönen Frauen der Gesellschaft werden dort sein.«
»Nicht alle, da Sie ja nicht dort sein werden, nicht alle!« sagte Fürst Hippolyt und lachte froh. Er nahm dem Lakaien den Schal weg, stieß ihn sogar zurück und hängte ihn selber der Fürstin um. Nachdem er das getan hatte, ließ er aus Ungeschicklichkeit oder Absicht – das war nicht zu entscheiden – seine Arme lang auf ihr ruhen und umarmte so beinahe die junge Frau.
Graziös machte sie sich los, ohne ihr Lächeln zu verlieren, drehte sich um und sah ihren Mann an. Fürst Andrej hatte die Augen geschlossen, so ermüdet und schläfrig schien er zu sein.
»Sind Sie fertig?« fragte er seine Frau und sah an ihr vorbei.
Fürst Hippolyt zog eilig seinen Mantel an, der ihm nach der neuesten Mode bis auf die Fersen ging, verwickelte sich darin und eilte auf der Treppe hinter der Fürstin her, der ein Lakai in den Wagen half. »Auf Wiedersehen, Fürstin!« rief er und verwickelte sich dabei mit der Zunge genau so wie mit den Beinen.
Die Fürstin raffte ihr Kleid etwas hoch und setzte sich in den dunklen Wagen. Ihr Mann brachte seinen Säbel in Ordnung. Fürst Hippolyt tat, als wolle er beiden behilflich sein, war aber dabei allen nur im Wege.
»Erlauben Sie, mein Herr«, sagte Fürst Andrej trocken und unfreundlich auf russisch zu ihm, weil er ihn behinderte.
»Ich erwarte dich, Pierre«, rief dann dieselbe Stimme des Fürsten Andrej in freundlichem und zärtlichem Ton.
Der Vorreiter ließ die Pferde anziehen, und der Wagen rasselte dahin. Fürst Hippolyt lachte gezwungen, während er auf der Vortreppe stand und auf den Vicomte wartete, den nach Hause zu fahren er versprochen hatte.
»Eh bien, mon cher, votre princesse est très bien, très bien«, sagte der Vicomte, als er sich mit Hippolyt in den Wagen gesetzt hatte. »Mais très bien.« Er küßte seine Fingerspitzen. »Und ganz und gar wie eine Französin.«
Hippolyt prustete los und brach in lautes Lachen aus.
»Und wissen Sie, Sie sind ein ganz fürchterlicher Mensch mit Ihren unschuldigen Augen. Ich bedaure den armen Gatten, diesen kleinen Offizier, der sich ein Air gibt, als wäre er ein regierender Fürst.«
Hippolyt prustete immer noch und sagte, während er lachte: »Und Sie haben behauptet, die russischen Damen hielten keinen Vergleich aus mit den französischen. Man muß sie nur richtig zu nehmen verstehen.«
Pierre, der als erster im Hause des Fürsten Andrej anlangte, ging wie einer, der schon zum Haus gehört, in das Arbeitszimmer des Fürsten und legte sich nach alter Gewohnheit sofort aufs Sofa. Er nahm das erste beste Buch vom Regal – es waren Cäsars Kommentare[23] –, stützte sich auf seinen Ellbogen und begann in der Mitte des Buches zu lesen.
»Was hast du Mademoiselle Scherer getan? Sie wird jetzt ganz krank sein«, sagte Fürst Andrej, als er ins Zimmer trat, und rieb seine kleinen weißen Hände.
Pierre drehte sich mit dem ganzen Körper um, daß das Sofa krachte, wandte sein Gesicht dem Fürsten zu und machte lächelnd eine abwehrende Handbewegung.
»Nein«, sagte er, »dieser Abbe ist doch sehr beachtlich. Nur versteht er die Sache nicht richtig … Meiner Meinung nach ist ein ewiger Friede sehr wohl möglich, doch ich weiß nicht recht, wie ich das sagen soll … Jedenfalls aber nicht durch ein politisches Gleichgewicht.«
Fürst Andrej hatte offensichtlich keinen Sinn für diese abstrakten Gespräche.
»Mein Lieber, man darf nicht überall alles sagen, was man denkt«, erwiderte er und fuhr dann nach kurzem Schweigen fort: »Nun, wie steht’s, hast du dich endlich für etwas entschieden? Wirst du nun Gardekavallerist oder Diplomat werden?«
Pierre setzte sich aufrecht aufs Sofa und zog die Beine unter sich. »Können Sie sich das vorstellen, ich weiß es immer noch nicht. Weder das eine noch das andere sagt mir zu.«
»Aber du mußt dich doch für etwas entscheiden. Dein Vater wartet darauf.«
Pierre war in seinem zehnten Jahre mit einem Abbe ins Ausland geschickt worden, wo er bis zu seinem zwanzigsten Lebensjahr geweilt hatte. Als er dann nach Moskau zurückgekehrt war, hatte der Vater den Abbe entlassen und zu seinem Sohn gesagt: »Jetzt fahre nach Petersburg, sieh dich dort um und wähle dann. Ich bin mit allem einverstanden. Hier hast du einen Brief an den Fürsten Wassilij und Geld. Schreib mir über alles, ich werde dir in allem helfen.« Pierre wählte nun schon drei Monate einen Beruf, hatte noch nichts weiter getan, und über diese Wahl wollte nun Fürst Andrej mit ihm reden.
Pierre wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Er muß wohl ein Freimaurer[24] sein«, sagte er, und meinte damit den Abbe, den er soeben kennen gelernt hatte.
»Das ist ja alles dummes Zeug«, unterbrach ihn Fürst Andrej. »Wir wollen doch lieber zur Sache kommen. Bist du nun in der Gardekavalleriekaserne gewesen?«
»Nein, da bin ich nicht gewesen, aber mir ist da etwas eingefallen, das ich Ihnen sagen wollte. Wir haben jetzt Krieg gegen Napoleon. Wenn das ein Kampf für die Freiheit wäre, dann könnte ich es verstehen und träte als erster in den Kriegsdienst. Aber England und Österreich gegen den größten Menschen auf der Welt zu helfen … nein, das ist nicht schön.«
Fürst Andrej zuckte die Achseln über diese kindlichen Worte Pierres. Er machte ein Gesicht, als ob man auf einen solchen Ausspruch eigentlich gar nicht antworten dürfe, und in Wirklichkeit war ja auch auf diese naiven Äußerungen keine andere Antwort zu geben als die, die Fürst Andrej eben gab.
»Wenn alle Menschen nur nach ihrer Überzeugung kämpften, dann gäbe es keinen Krieg«, sagte er.
»Das wäre ja gerade sehr schön«, entgegnete Pierre.
Fürst Andrej lächelte. »Schon möglich, daß es schön wäre, aber das wird nie geschehen.«
»Na, warum gehen Sie denn in den Krieg?« fragte Pierre.
»Weswegen? Ich weiß nicht. Man muß eben. Außerdem gehe ich …« Er hielt inne. »Ich gehe deshalb, weil das Leben, das ich hier führe, weil dieses Leben – mir nicht paßt!«
7
Im Zimmer nebenan rauschte ein Damenkleid. Fürst Andrej schüttelte sich, wie wenn er plötzlich erwachte. Sein Gesicht nahm wieder den Ausdruck an, den es in Anna Pawlownas Salon gehabt hatte. Pierre zog die Beine vom Sofa. Die Fürstin trat ein. Sie hatte bereits ein Hauskleid angezogen, das aber ebenso elegant war wie ihre Gesellschaftstoilette. Fürst Andrej stand höflich auf und schob ihr einen Sessel hin.
»Warum, denke ich oft«, sagte sie, wie immer auf französisch, und setzte sich hastig und geschäftig in den Sessel, »warum hat sich Annette nicht verheiratet? Wie sind Sie doch alle so dumm, meine Herren, daß Sie sie nicht geheiratet haben. Verzeihen Sie, aber Sie verstehen nichts von Frauen. Was sind Sie bloß für ein streitbarer Herr, Monsieur Pierre.«
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