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»Ich streite mich auch schon mit Ihrem Mann: Ich verstehe einfach nicht, warum er in den Krieg ziehen will«, sagte Pierre zu der Fürstin ohne jede Ziererei, wie sie im Verkehr zwischen einem jungen Mann und einer jungen Frau sonst so üblich ist.

Die Fürstin zuckte zusammen. Offenbar hatten Pierres Worte einen wunden Punkt bei ihr berührt.

»Ach, ich sage ja dasselbe«, meinte sie. »Ich verstehe nicht, ich verstehe wirklich nicht, warum die Männer nicht ohne Krieg leben können. Warum wollen wir Frauen niemals so etwas, warum brauchen wir das nicht? Nun, Sie sollen Schiedsrichter sein. Ich sage ihm immer: Hier ist er Adjutant beim Onkel, die glänzendste Stellung. Alle kennen ihn, alle schätzen ihn. Kürzlich hörte ich bei den Apraxins, wie eine Dame fragte: ›Ist das der berühmte Fürst Andrej?‹ Mein Ehrenwort!« Sie lachte. »Überall wird er gern aufgenommen. Er könnte schon Flügeladjutant sein. Sie wissen, der Kaiser sprach sehr gnädig mit ihm. Ich habe darüber mit Annette gesprochen, das ginge sehr leicht zu machen. Wie denken Sie darüber?«

Pierre sah den Fürsten Andrej an und merkte, daß seinem Freund diese Unterhaltung nicht gefiel. Daher antwortete er nicht.

»Wann reisen Sie ab?« fragte er.

»Ach, reden Sie nicht von dieser Abreise, ne m’en parlez pas. Ich will davon gar nichts hören«, sagte die Fürstin in demselben launischscherzenden Ton, in dem sie mit Hippolyt gesprochen hatte, einem Ton, der gar nicht in diesen häuslichen Kreis paßte, als dessen Mitglied sich Pierre schon beinahe fühlte. »Heute, als ich daran dachte, daß ich diesen ganzen lieben Verkehr abbrechen soll … Und dann, du weißt, Andre«, sie zwinkerte ihm bedeutsam zu, »… ich habe Angst, ich habe Angst«, flüsterte sie und bebte am ganzen Körper.

Ihr Mann sah sie mit einem Ausdruck an, als ob er erstaunt wäre, außer sich und Pierre noch jemand andern im Zimmer zu bemerken. Mit kühler Höflichkeit fragte er seine Frau: »Wovor hast du denn Angst, Lisa? Ich kann das nicht verstehen.«

»Da sieht man, wie egoistisch alle Männer sind. Alle, alle sind sie Egoisten. Aus irgendwelchen Launen, Gott weiß, weshalb, verläßt er mich und sperrt mich ganz allein auf dem Lande ein.«

»Mit meinem Vater und meiner Schwester, vergiß das nicht«, sagte Fürst Andrej leise.

»Ganz gleich, ich bin allein, ohne meine Freunde. Und da will er, daß ich mich nicht fürchten soll.«

Das sagte sie in ziemlich mürrischem Ton. Ihre Oberlippe zog sich nach oben und verlieh dadurch ihrem Gesicht keinen frohen Ausdruck, sondern vielmehr einen tierischen, den eines wütenden Eichhörnchens. Sie schwieg, als ob sie es ungehörig fände, in Pierres Gegenwart von ihrer Schwangerschaft zu sprechen, während doch gerade darin der Kern der Sache lag.

»Ich habe immer noch nicht verstanden, wovor du Angst hast«, sagte Fürst Andrej zögernd, ohne den Blick von ihr zu wenden.

Die Fürstin errötete und hob verzweifelt die Arme.

»Non, André, je dis, que vous avez tellement, tellement changé.«

»Dein Arzt wünscht, daß du dich früher hinlegen sollst«, sagte Fürst Andrej, »du solltest schlafen gehen.«

Die Fürstin erwiderte nichts, und plötzlich begann ihre kurze Oberlippe mit dem Schnurrbärtchen zu zittern. Fürst Andrej stand auf, zuckte mit den Achseln und ging im Zimmer auf und ab. Pierre betrachtete erstaunt und naiv bald ihn, bald die Fürstin durch seine Brille und machte eine Bewegung, als ob er ebenfalls aufstehen wollte; dann aber überlegte er es sich wieder anders.

»Was kümmert es mich, daß Monsieur Pierre hier ist«, sagte plötzlich die kleine Fürstin, und ihr hübsches Gesicht verzog sich auf einmal zu einer weinenden Grimasse. »Ich habe es dir schon lange sagen wollen, Andre: Warum bist du zu mir so anders geworden? Was habe ich dir getan? Du gehst jetzt zur Armee. Du hast kein Mitleid mit mir. Weshalb?«

»Lise!« sagte Fürst Andrej nur. Aber in diesem Wort lag Bitte und Drohung und vor allem die Überzeugung, daß sie selbst ihre Worte bereuen werde.

Doch sie fuhr hastig fort: »Du behandelst mich wie eine Kranke oder wie ein Kind. Ich merke das wohl. Warst du etwa vor einem halben Jahr so?«

»Lise, ich bitte Sie aufzuhören«, wiederholte Fürst Andrej noch eindringlicher.

Pierre, der während dieser Unterhaltung mehr und mehr in Aufregung geraten war, stand auf und trat zu der Fürstin. Es schien, als ob er den Anblick ihrer Tränen nicht ertragen könne und selber bereit sei mitzuweinen.

»Beruhigen Sie sich, Fürstin; das kommt Ihnen nur so vor, weil … ich versichere Sie, ich habe von ihm selbst erfahren … weswegen … weil … Nein, entschuldigen Sie, ein Fremder ist hier überflüssig … Aber beruhigen Sie sich doch … Leben Sie wohl …«

Doch Fürst Andrej hielt ihn am Arm zurück: »Nein, halt, Pierre. Die Fürstin ist so gut, daß sie mich nicht des Vergnügens berauben will, mit dir den Abend zu verbringen.«

»Sehen Sie, er denkt nur an sich«, klagte die Fürstin, ohne die Tränen des Ärgers unterdrücken zu können.

»Lise«, sagte trocken Fürst Andrej und hob die Stimme, was bedeutete, daß seine Geduld erschöpft sei.

Plötzlich verwandelte sich der ärgerliche, eichhörnchenartige Zug in dem hübschen Gesichtchen der Fürstin in einen anziehenden und mitleiderregenden Ausdruck der Furcht. Sie sah ihren Mann von untenher mit ihren schönen Augen an, und auf ihrem Gesicht erschien jener schüchterne und schuldbewußte Ausdruck, wie man ihn oft bei einem Hund sieht, wenn er schnell, aber nur schwach, mit dem herabhängenden Schwänze wedelt.

»Mon Dieu, mon Dieu!« seufzte die Fürstin, raffte mit einer Hand ihr Kleid hoch und trat auf ihren Mann zu, um ihn auf die Stirn zu küssen.

»Gute Nacht, Lise«, sagte Fürst Andrej, stand auf und küßte ihr wie einer Fremden die Hand.

8

Die Freunde schwiegen. Weder der eine noch der andere wollte anfangen zu reden. Pierre sah hin und wieder den Fürsten Andrej an. Der rieb sich mit seiner kleinen Hand die Stirn. »Komm, wir wollen essen«, sagte er mit einem Seufzer, stand auf und ging zur Tür.

Sie gingen in das vornehm, neu und reich ausgestattete Eßzimmer. Alles, von den Servietten und dem Silber angefangen bis zum Porzellan und Kristall, trug jenen besonderen Stempel der Neuheit, wie er in der Wirtschaft junger Eheleute immer zu finden ist. Während des Essens stützte sich Fürst Andrej plötzlich auf seine Arme wie ein Mensch, der schon lange etwas auf dem Herzen hat und sich plötzlich entschließt, es frei herauszusagen. Mit einem Ausdruck nervöser Erregung, wie sie Pierre noch nie an seinem Freund wahrgenommen hatte, begann er zu sprechen: »Heirate niemals, niemals, mein Freund! Dies ist mein Rat: Heirate erst dann, wenn du dir sagen kannst, daß du alles getan hast, was in deiner Kraft steht, erst dann, wenn du aufgehört hast, die Frau zu lieben, die du dir auserwählt hast, erst dann, wenn du sie klar erkannt hast. Sonst irrst du dich grausam, und das ist nicht wiedergutzumachen. Heirate, wenn du uralt bist, wenn du zu nichts mehr taugst. Sonst geht alles Hohe und Gute in dir verloren. Alles wird in Kleinigkeiten ausgegeben. Ja, ja, ja! Sieh mich nicht so erstaunt an! Wenn du dann von dir noch etwas für die Zukunft erwartest, so wirst du auf Schritt und Tritt fühlen, daß für dich alles zu Ende ist, alles verschlossen, außer dem Salon, wo du mit allerlei Hoflakaien und Idioten auf einer Stufe stehen wirst. Und das heißt Leben!«

Er machte eine energische, verächtliche Handbewegung.

Pierre nahm die Brille ab, wodurch sein Gesicht einen anderen Ausdruck bekam, weil dann seine Güte noch deutlicher hervortrat. Erstaunt blickte er seinen Freund an.

»Meine Frau«, fuhr Fürst Andrej fort, »ist eine ausgezeichnete Gattin. Sie ist eine von den seltenen Frauen, bei denen man für seine Ehre nichts zu fürchten braucht. Und doch, was würde ich darum geben, wenn ich nicht verheiratet wäre. Das sage ich dir zuerst und dir allein, weil ich dich liebe.«

Während Fürst Andrej dies sagte, hatte er noch weniger Ähnlichkeit als vorhin mit jenem Bolkonskij, der nachlässig hingestreckt auf Anna Pawlownas Lehnstuhl gesessen und mit zugekniffenen Augen französische Phrasen durch die Zähne gesprochen hatte. In seinem trockenen Gesicht zitterte infolge der nervösen Erregung jeder Muskel. Die Augen, in denen vorhin jedes Lebensfeuer erloschen schien, glänzten jetzt in strahlendem, leuchtendem Schein. Es war offensichtlich, in diesen Minuten einer fast krankhaften Erregung zeigte er sich um so energischer, je matter er sonst schien.