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Wie gebannt starrte Ed hinaus und erwartete das Einsetzen von Motorengeräuschen. Dazu ein nackter Arm, der versuchte, das Missgeschick abzuwehren, mit einer verzweifelten Gebärde.

Der Lichtkegel des Suchscheinwerfers hatte seine Wurzel irgendwo im Wald hinter dem Klausner. Manchmal hob sich der Finger und zeigte weiter hinaus, aufs offene Wasser. Ed stellte sich vor, wie die Bewohner des gegenüberliegenden Landes beim Abendbrot saßen und ab und zu die Augen mit der Hand beschatten mussten, um die Blendung abzuwehren. Tagsüber, bei guter Sicht, war Møn zu sehen, die Kreidefelsen von Møns Klint, die zum Königreich Dänemark gehörten, aber natürlich reichte das Licht nicht fünfzig Kilometer weit, und in Wahrheit ging die Entfernung zum anderen Ufer gegen unendlich. Gerade deshalb reizte es Ed, sich diese Menschen vor Augen zu führen, phantastische Bewohner eines fremden Planeten beim Abendbrot …»Es ist ein Traum«, flüsterte Ed ins Licht der rasch abtauchenden Sonne, und das neue Glück stimmte ihm zu, wenn auch auf eine verhaltene, undurchsichtige Weise.

Ein Nachteil seines Zimmers war die Lage zur Treppe und zum Flur. Gegen Mitternacht hob ein Rumoren an, Stimmen und das Schlagen der Dienstbotentür, eingeleitet vom Aufjaulen der Feder, wenn sie sich spannte, ein Geräusch, das ihn schmerzte, weil es an Matthew erinnerte, seinen kleinen beleidigten Schrei kurz vor dem Sprung (nicht gesprungen). Dann die Schritte, das Getrappel, das erschöpfte Atmen am Ende der Treppe. Ab und zu hatte er auch das Gefühl, jemand verharre dort vor seiner Tür, um zu lauschen. Aber das war lächerlich, und mit der Zeit gewöhnte sich Ed an das Geräuschtheater. Er nahm sich vor, dem Ganzen keine besondere Beachtung zu schenken.»Es ist das Inselleben, das ganze Treiben da draußen, von dem du keine Ahnung hast«, flüsterte er ins Dunkel hinaus, seine Stimme klang vollkommen ruhig, sein Spiegelbild stand still im geöffneten Fensterflügel. Den Kopf hielt er vorgebeugt, als wollte er jetzt noch tiefer hinein ins ewige Rauschen. Aber noch ehe der Stoff zu strömen begann, machte Ed einen großen Schritt zurück. Er schaltete die Nachttischlampe ein und zog seinen kleinen Hermes-Kalender aus der Reisetasche, die er wegen der Kakerlaken nicht im Schrank aufbewahrte. Seine Augen brannten. Sobald er sie schloss, loderte ein kleines Feuer. Nicht reiben, ich hätte nicht reiben dürfen, dachte Ed.

19. JUNI

Wieder Zwiebeln, aber alles schon viel besser. Muss mir Sonnencreme besorgen, Augentropfen viell. Was sind Esskaas? Wer ist Crusoe? Hab gar nichts schriftlich. Nachfragen bei K.?

Das Schreiben beruhigte Ed. Jeder Tag hatte nur fünf Zeilen. Raum für» Termine und Notizen«. Er blätterte eine Seite zurück und schrieb:

18. JUNI

Der Mann mit dem Verpiss-dich-Gebet ist hier der Eisverkäufer, schlimmer Typ. Lieber vorsichtig sein. Hat mich aus der Gaststube gezerrt. Ein Gesicht wie Rilke, langgezogen, dicke Augen und Schnauzbart, wie fast alle hier.

Ed überlegte, ob es sinnvoll gewesen war, seine fünf Zeilen für diesen Eintrag zu verbrauchen. Sicher nicht, wenn er eine Art Tagebuch mit den wichtigsten Ereignissen führen wollte. Andererseits war das seit Krombach seine einzige wirkliche Begegnung gewesen, von Koch-Mike abgesehen. Auf halbem Weg durch die Gaststube hatte ihn der Eisverkäufer eingeholt, von hinten am Hemd gepackt und durch die Vordertür wieder hinausgestoßen, vor allen Gästen. Offensichtlich war die Gästetoilette während der Öffnungszeiten tabu. Schon das Benutzen der Vordertür galt wahrscheinlich als Verstoß, dachte Ed, und noch einmal spürte er die Kränkung. Er war so überrascht gewesen, dass er sich sofort ergeben und widerstandslos hatte abführen lassen — wie ein Kind; er entschuldigte sich sogar. Er hatte nicht nach oben gehen wollen auf die Dienstbotenetage, um dem Eindruck vorzubeugen, er stehle sich während der Arbeitszeit auf sein Zimmer. Das war alles gewesen.»Geh doch in das verdammte Meer zum Scheißen«, hatte der Eisverkäufer gesagt. Er trug eine schwarzsamtene Weste mit silbern glänzenden Knöpfen, vielleicht hielt er sich für eine Art Torero. Noch einmal blätterte Ed zurück:

17. JUNI

Der Kochgehilfe spricht kein Wort, taubstumm viell. Auch ich bin still. Hab meine Ruhe. Das Zimmer ist ein Geschenk, das Essen reicht aus. Kämpfe mit den Zwiebeln, reinstes Zwiebeldelirium!

Stellenweise klang sein Eintrag nach Post aus dem Ferienlager, aber das war nicht wichtig. Sobald Ed etwas Eigenes schrieb, mit eigenen Worten, führte er den Stift gegen das Summen der Bestände in seinem Kopf, wie einen Hobel über die Halde, dachte Ed, oder durch die Halde hindurch; ja, es war doch mehr eine Bohrung, er schrieb und bohrte auf etwas zu, auf G. vielleicht, auf sich selbst, auf einen großen freien Raum, eine helle Bucht mit Wind, wo er stundenlang das sandige Ufer entlangging, mit stummem Schädel und kühlen Schläfen, die Füße überspült vom Saum des Meeres …

Aus der unteren Etage kamen Radiogeräusche, Stimmen, manchmal Musik, aber sehr unregelmäßig, schwankend, unterbrochen von einer Art Husten oder Krächzen. Vor Mitternacht Haydn, eigentlich schön und rätselhaft in seinem zittrigen Klang, aber dann war es wieder zu laut auf dem Flur.

Ed zog sich seine Sachen über und schlüpfte nach draußen. Geräuschlos nahm er die Treppe in den Hof und marschierte über die Lichtung ein Stück auf den Wald zu; die Schwärze tat seinen Augen gut. Im Abwasch brannte Licht. Jemand musste vergessen haben, es zu löschen, oder es brannte die ganze Nacht. Nicht unüblich, dachte Ed, es gab diese Häuser, gerade in den großen Küchen brannte alle Nächte irgendeine Lampe, seltsamerweise, eine Art Ritual vielleicht, ein Positionslicht der Trostlosigkeit. Gern hätte Ed all diese Lampen ausgemerzt, abgeschossen zu Gunsten einer guten, behütenden Dunkelheit — ein kleiner, spitzer Schrei zuckte durch die Nacht. Durch die verschmierten Fensterscheiben des Abwaschs waren Gestalten zu sehen, Umrisse, Schatten. Ed rückte ein Stück die Böschung hinauf. Einige der Gestalten reichten fast bis zur Decke. Dann duckten sie sich und verschwanden. Ed war bemüht, mehr zu erkennen, aber seine Augen tränten wieder. Jemand machte sich an den großen Figuren zu schaffen, er fuhr ihren Umriss entlang, auf und ab, er streichelte sie, mal mit langen, langsamen, dann wieder mit schnellen, kleineren Bewegungen. Vielleicht wird ihre Größe vermessen, dachte Ed und spürte die Scham. Seine Mutter hatte daneben gesessen, als der Schneider mit seinem Maßband und seinen Fingern am Maßband in seinen Schritt vorgedrungen war; er war dreizehn Jahre alt, und alles war normal gewesen. Auch die Gestalten im Abwasch schrumpften nach und nach auf übliche Größe. Eine war bereits im Hof und kam auf ihn zu. Ed wischte sich über die Augen — ein Gespenst mit langen, nassen Haaren? Eine Frau? Gehüllt in ein Laken? Die Gestalt huschte über den Hof und nahm die Dienstbotenstiege. Matthews Schrei, das Schlagen der Tür, dann ein neues und noch ein weiteres Gespenst; dann kehrte Ruhe ein. Die Trostlosigkeit erlosch, und das gute Dunkel nahm den Abwasch des Klausners in seine Obhut. Ed sah einen Mann, der über den Hof ging und den Weg hinunter zum Meer einschlug.

Kruso

Während er redete, bot der Mann dem Bärenpferd zärtlich die Stirn — als hätte er das Pferd und nicht Ed begrüßt. Mit fester Hand schlug er die Flanke, so derb, wie es nur Menschen tun, die mit Tieren vertraut sind. Ed wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Langsam beugte sich der Mann zu ihm herunter und Ed sah, dass er lächelte.

«Alexander Krusowitsch, die meisten sagen Kruso, ein paar Freunde nennen mich Losch, von Alexander, das heißt von Aljoscha, Aloscha — Losch. «Lächelnd nahm er Ed das Kleinespitze aus der Hand und führte ihn wie einen Blinden über die Rampe ins Innere des Klausners. Deutlich spürte Ed den leichten Druck am Oberarm. Eine länger andauernde Berührung war er seit G. (seit über einem Jahr also) nicht mehr gewöhnt, genauer gesagt, er war ihr nicht mehr gewachsen, weshalb er sich beinah wie verloren fühlte, als der Mann ihn wieder freigab.